Abschiebungsentscheid in der Schweiz Raus, raus, Hauptsache raus

Erst das Minarettverbot und nun das: Schweizer Rechtspopulisten lassen in einer Volksabstimmung darüber entscheiden, ob straffällige Ausländer künftig automatisch abgeschoben werden sollen - selbst wenn es EU-Bürger sind. Die Schwarze-Schafe-Kampagne findet große Unterstützung im Volk.
Von Paula Scheidt
Broschüre zur Schweizer "Ausschaffungsinitiative": Verfassungsänderung wahrscheinlich

Broschüre zur Schweizer "Ausschaffungsinitiative": Verfassungsänderung wahrscheinlich

Foto: ? Pascal Lauener / Reuters/ REUTERS

Schweiz

Bald wird es wieder überall in der zu sehen sein: das weiße Schaf, wie es ein schwarzes mit einem gezielten Tritt hinter die Schweizer Landesgrenze kickt. Mit diesem Motiv hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) schon 2007 erfolgreich Wahlkampf gemacht. Die Uno kritisierte die Kampagne damals als rassistisch, die hessische NPD kopierte das Motiv. Nun aber werben die Rechtspopulisten mit dem Schäfchenplakat für die sogenannte Ausschaffungsinitiative - alle straffälligen Ausländer sollen automatisch aus der Schweiz abgeschoben werden. Auch EU-Bürger.

Auch die Abstimmung über den Umgang mit straffälligen Ausländern hat gute Chancen, angenommen zu werden: Derzeit befürworten 58 Prozent der Bevölkerung die Verfassungsänderung, wie eine Umfrage des Forschungsinstituts gfs Bern zeigt. Nur 36 Prozent sind dagegen.

Die Initiative sieht vor, dass:

  • alle Ausländer nach Verbüßen ihrer Strafe automatisch ausgewiesen werden. Das soll nicht nur bei schweren Verbrechen wie vorsätzlicher Tötung, Vergewaltigung oder Menschenhandel gelten, sondern auch bei Raub oder Einbruch.
  • Außerdem sollen Personen, die missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben, automatisch ausgewiesen werden.
  • Alle straffälligen Ausländer sollen zudem mit einem Einreiseverbot von fünf bis 15 Jahren belegt werden. Im Wiederholungsfall ist geplant, dieses Verbot auf 20 Jahre zu erhöhen.

Wenig Zustimmung für den Gegenentwurf des Bundesrats

Europäischen Union

Die Volksabstimmung wurde erst nach langem Hin und Her überhaupt zugelassen. Denn nach Ansicht des Bundesrats widerspricht sie zwar nicht dem Völkerrecht, würde aber nicht im Einklang mit bestehenden Gesetzen und bilateralen Verträgen mit der stehen.

Um dieses Problem zu entschärfen, hat die Regierung für den Volksentscheid einen Gegenentwurf vorgelegt. Es ist der Versuch, die Initiative der SVP mit geltenden Gesetzen und Verträgen in Einklang zu bringen. Der Gegenentwurf sieht statt einer automatischen Ausweisung von straffälligen Ausländern vor, wie bisher jeden Fall einzeln zu prüfen. Zusätzlich soll die Ausweisung vereinfacht und die Einbürgerung von den Integrationsbemühungen abhängig gemacht werden.

Die SVP lehnt den Gegenentwurf des Bundesrats ab. Er geht der Partei nicht weit genug. "Ivan S., Vergewaltiger, bald Schweizer?" oder auch "Faruk B., Mörder, bald Schweizer?" - das steht auf den Flugblättern der Rechtspopulisten, die zur Ablehnung des Kompromissentwurfs aufrufen. Sie spielen auf eine mögliche Einbürgerung straffälliger Ausländer an. Der Schriftzug verdeckt die Augen eines Mannes im Unterhemd mit dunklem Bart und Silberkettchen um den Hals. Mit einem typisch deutschen Namen zielt die Kampagne auch auf EU-Bürger: "Detlev S., Kinderschänder, bald Schweizer?" Mit dem Gegenentwurf könne jeder Verbrecher sich "auf internationale Konventionen und fremdes Völkerrecht berufen, um seine Landesverweisung zu verhindern".

Auch bei der Bevölkerung stößt der Schlichtungsversuch des Bundesrats auf wenig Beifall. Den Umfragen zufolge wollen nur 41 Prozent der Bevölkerung ihn annehmen, während 49 Prozent ihn ablehnen.

Beziehungen zwischen Schweiz und EU droht Belastung

Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Wähler die Ausschaffungsinitiative annehmen und den Gegenvorschlag ablehnen. Das Ergebnis dürfte die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU erneut belasten. Silvia Bär, stellvertretende Generalsekretärin der SVP, sieht jedoch keine Probleme: "Man muss realistisch sein: Auch bei der Minarettsinitiative haben alle vor internationalen Spannungen gewarnt, und was ist passiert? Nichts." Sie befürchtet keine Verstimmungen mit Brüssel. Probleme mit straffälligen EU-Bürgern seien sowieso vernachlässigbar, die meisten kriminellen Ausländer kämen aus Nicht-EU-Ländern.

Anders sieht das der Schweizer Think Tank foraus (Forum Außenpolitik). Eine von ihm veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass die Initiative der SVP nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sei, da sie gegen das Non-Refoulement-Prinzip verstoße. Flüchtlinge dürfen nicht in Gebiete abgeschoben werden, in denen sie wegen ihrer Rasse, Religion oder aus anderen Gründen verfolgt werden. Außerdem würden die Grundprinzipien des Schweizer Rechtsstaats verletzt, insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dieses besagt, dass jede staatliche Maßnahme im Einzelfall geprüft werden muss, bevor sie angewendet wird, egal ob es sich um einen Schweizer oder einen Ausländer handelt.

Sollte die Initiative trotzdem umgesetzt werden, erwartet Nicola Forster, Präsident von foraus, einen Imageschaden für die Schweiz, wie ihn schon die Minarettinitiative verursacht habe. Aber das sei nicht alles. "Die Beziehungen zur EU stehen auf dem Spiel", sagt er. Denn wenn die Schweiz die Ausschaffungsinitiative umsetze, riskiere sie damit im äußersten Fall eine Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens. Das würde die automatische Anwendung der sogenannten Guillotine-Klausel zur Folge haben: Die Kündigung aller bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz - mit verheerenden Folgen für die Schweizer Wirtschaft.

Der Europa-Experte und emeritierte Politikprofessor Dieter Freiburghaus hält laut "Tagesanzeiger" eine solche Kündigung für unwahrscheinlich, die EU-Vertretung in Bern wollte sich dem Blatt gegenüber dazu nicht äußern. In jedem Fall müsste die Schweiz sich im Gemischten Ausschuss der Europäischen Union verantworten. Denn: Ausweisungen als automatische Folge einer strafrechtlichen Verurteilung verstoßen gegen EU-Recht.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten