Abzug aus Irak Obama beendet den "dummen Krieg"

Seit neun Jahren stehen US-Truppen im Irak, jetzt hat Barack Obama den Abzug aller noch verbliebenen Soldaten eingeleitet. Er selbst feiert sich als Friedenspräsident. Möglicherweise kommt der Abgang der Amerikaner jedoch zu früh für das höchst instabile Land.
Präsident Obama: "Unsere eigene Nation aufbauen"

Präsident Obama: "Unsere eigene Nation aufbauen"

Foto: JOSHUA ROBERTS/ REUTERS

Der Senator aus Chicagos Südstadt brachte es auf den Punkt: "Ich bin nicht gegen jeden Krieg. Ich bin gegen die dummen Kriege!" Das war im Herbst 2002, bei einer Demonstration gegen den Irak-Feldzug. Dessen Planung trieb damals Präsident George W. Bush voran.

Neun Jahre später ist der Senator aus dem Landesparlament von Illinois der Nachfolger des Kriegspräsidenten Bush im Weißen Haus. Und neun Jahre später, an diesem Freitagmittag in Washington, erklärt Barack Obama den "dummen Krieg" im Irak für beendet. Bis zum Jahreswechsel würden die US-Truppen das Land vollständig verlassen. Damit habe er, so sagt Obama, sein Versprechen aus dem Wahlkampf erfüllt.

Das ist richtig. Allerdings stand der Abzug der Truppen bis Ende 2011 bereits lange fest, schon Bush hatte das in seinem letzten Amtsjahr mit den Irakern abgemacht. Neu ist die Tatsache, dass es ein kompletter Abzug sein wird. Eigentlich wollten die Amerikaner mehrere tausend Militärangehörige im Land lassen, um die irakischen Truppen weiter auszubilden; um ihnen die neuen, modernen Waffen zu erklären. Das war eigentlich auch der Wunsch der irakischen Staatsführung. Bis zu 10.000 der gegenwärtig noch rund 40.000 US-Soldaten sollten vor Ort bleiben.

Außenpolitische Stärke oder Führungsschwäche?

Das Problem: Obamas Bedingung für den Verbleib von Truppen war der Schutz der US-Soldaten vor Strafverfolgung im Irak - ein Schutz, ähnlich wie ihn Diplomaten genießen. "Wir hoffen, dass wir letztlich eine Einigung finden werden", hatte US-Verteidigungsminister Leon Panetta noch am Montag erklärt. Doch die irakische Führung lehnte ab. Laut "Washington Post" sollen jetzt nur noch rund 150 Soldaten im Land bleiben. Diese dienen als Schutztruppe für die US-Botschaft in Bagdad, wo mehrere tausend Diplomaten und andere zivile Angestellte arbeiten. Man werde sehen, wie man dem Irak helfen könne, "seine Streitkräfte zu trainieren und auszustatten", sagt Obama und lässt sich damit eine Hintertür offen. Es handele sich um Unterstützung, wie man sie auch anderen Alliierten stets anbiete.

Nun gibt es zwei Varianten, das von Obama proklamierte Kriegsende zu werten: Entweder als Zeichen außenpolitischer Stärke eines Präsidenten, der seine Versprechen einlöst. Oder als Beleg mangelnder Führungs- und Verhandlungsqualitäten, als Gefahr für die Stabilität einer ganzen Region.

Variante eins wird selbstverständlich von Barack Obama selbst vertreten. Der Präsident sortiert den Irak-Abzug in die Reihe seiner Erfolge im Jahr 2011 ein: Vom Tod des Top-Terroristen Osama Bin Laden über den begonnenen US-Rückzug aus Afghanistan bis zum Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen. "Das Ende des Kriegs im Irak spiegelt einen größeren Übergang wider", sagt Obama: "Die Flut des Kriegs weicht zurück." Exakt diese Formulierung hatte er bereits genutzt, als er im Juni seinen Abzugsplan für Afghanistan vorstellte: 10.000 heimkehrende Soldaten bis Ende 2011; bis Sommer 2012 die nächsten 23.000; die letzten knapp 70.000 sollen dann bis 2014 weitgehend zurückkehren.

"Als ich ins Amt kam, standen 180.000 Soldaten in diesen beiden Kriegen. Ende dieses Jahres wird sich die Zahl halbiert haben. Und sie wird weiter fallen", sagt also der Präsident. Die gescheiterten Verhandlungen über den Verbleib von Truppen im Irak? Erwähnt er mit keinem Wort an diesem Freitag. Nein, die Botschaft ans kriegsmüde Amerika soll eine andere sein. Eine Siegesbotschaft: Der Friedensnobelpreisträger Obama holt die Truppen heim, beendet die zehrenden Kriege aus den Bush-Jahren.

Vielleicht nützt das sogar im Präsidentschaftswahlkampf, der allerdings zum Leidwesen Obamas bisher nicht von der Außen- sondern von der Wirtschaftspolitik dominiert wird. Bin Ladens Tod bedeutete nur einen kurzen Aufwind in den Zustimmungsraten für Obama, die mittlerweile wieder schwächeln.

Deutungsvariante zwei wird von Obamas Gegnern vorgetragen. Michele Bachmann, republikanische Präsidentschaftsbewerberin und Ikone der radikalen Tea-Party-Bewegung erklärte: Der Präsident habe dabei versagt, ein Abkommen mit dem Irak zu schließen, um den Frieden zu bewahren. Obamas außenpolitische Führungsqualitäten seien an einem Tiefpunkt angelangt: "Jedes Mal, wenn die USA Menschen von diktatorischer Herrschaft befreiten, haben sie Truppen im Land belassen, um die wachsenden, fragilen Demokratien zu schützen." Nun aber würden die USA bald weniger Soldaten im Irak haben als in Honduras, lästert Bachmann.

Senator John McCain, republikanischer Präsidentschaftskandidat des Jahres 2008, geht ebenfalls hart mit Obama ins Gericht: "Der heutige Tag bedeutet einen schädlichen und traurigen Rückschlag für die Vereinigten Staaten." Die Entscheidung des Präsidenten werde als "strategischer Sieg unserer Feinde" gewertet werden, speziell des iranischen Regimes. Der republikanische Senator Lindsey Graham erklärte ebenfalls, er habe eine andere Meinung als Obama: "Ich hoffe, dass ich falsch liege und der Präsident liegt richtig, aber ich fürchte, dass seine Entscheidung etwas losgetreten hat, das unser Land eines Tages noch heimsuchen wird."

"Außerordentlich gefährlicher Ort"

Klar ist, dass die Amerikaner den Irak nicht als stabilen Staat verlassen. Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär. Erst im Juli bewertete ein Bericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau im Irak, Stuart W. Bowen, das Land als "außerordentlich gefährlichen Ort zum Arbeiten". Die Zahl der Raketenangriffe auf die schwer befestigte Grüne Zone in Bagdad, wo zahlreiche Regierungsgebäude und Botschaften stehen, sei gestiegen, und irakische Regierungsvertreter, Sicherheitskräfte und Richter seien häufig das Ziel von Gewalt. Bowen zitiert ferner Geheimdienstangaben, wonach noch rund tausend Qaida-Kämpfer im Land aktiv sind.

Wenn nun die Amerikaner abziehen, wer füllt dann das macht- und sicherheitspolitische Vakuum? Nicht nur bei den Republikanern in Washington geht die Sorge um, Iran könne strategische Vorteile aus dem Goodbye der Amerikaner ziehen. Schließlich ist Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki, selbst Schiit, wohlgelitten bei Irans schiitischem Regime. Anders als zu Zeiten des Diktators Saddam Hussein gilt der Irak heute nicht mehr als Bedrohung für Teheran.

Wenn es schlecht läuft, dann werden also die USA nicht nur einen "dummen" Krieg gefochten, sondern ihn letztlich auch verloren haben.

Für die Weltmacht bedeutete der neunjährige Einsatz an Euphrat und Tigris nicht nur den Verlust von Menschenleben: Seit Kriegsbeginn im März 2003 sind mehr als 4400 US-Soldaten und über 100.000 irakische Zivilisten gestorben, vornehmlich bei Attentaten. Diese neun Jahre aber bedeuteten auch einen Verlust an Glaubwürdigkeit. "Amerika hat für diesen Krieg das Völkerrecht gebrochen, Verbündete diffamiert, die Vereinten Nationen lächerlich gemacht", schrieb der SPIEGEL.

Im Foltergefängnis Abu Ghuraib am westlichen Stadtrand von Bagdad büßten die USA den Nimbus der moralischen Macht ein. Und dass die US-Truppen nirgends in Saddams Reich Massenvernichtungswaffen finden konnten, nahm der Bush-Regierung im Nachhinein ihre wichtigste Begründung für den Krieg. US-Außenminister Colin Powell hatte noch vor dem Uno-Sicherheitsrat behauptet, es könne "keinen Zweifel geben, dass Saddam Hussein biologische Waffen sowie die Fähigkeit besitzt, rasch mehr, viel mehr davon zu produzieren". Powell selbst nannte seinen Auftritt später einen "Schandfleck" seiner Biografie.

Barack Obama aber wird als jener Präsident in die Geschichte eingehen, der Amerikas Kriege beendete, nach neun Jahren den einen, nach weit über zehn Jahren den anderen - wenn der Mann dann noch im Amt ist. "Nach einem Jahrzehnt der Kriege ist die Nation, die wir aufbauen müssen und die wir aufbauen werden, unsere eigene", sagt der Präsident.

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