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Referendum in Ägypten: Vorrevolutionäre Verhältnissen

Foto: Khaled Elfiqi/ dpa

Verfassungsreferendum Ägypter wählen die Generäle

Viele Ägypter wollen nach drei Jahren Chaos nur noch eins: Ruhe. Deshalb zeichnet sich eine große Mehrheit für die neue Verfassung ab, die dem Militär wie früher weitreichende Macht zuspricht. Die Muslimbrüder werden dann weiter ins Abseits gedrängt - eine gefährliche Entwicklung.

Auf dem Weg zum Gespräch im Ruderclub am Nil haben sie ihn wieder beleidigt: "Möge Allah dich verfluchen", hat ein Mann auf der Straße ihm zugerufen. "Ihr zerstört unser Land", pöbelte ein anderer. Doch Abu Mohammed will sich davon nicht unterkriegen lassen. "Ich werde meinen Bart nicht abrasieren, eher sterbe ich", sagt der 30-Jährige.

Abu Mohammed ist nicht sein richtiger Name, den will er aus Angst vor Ägyptens Geheimpolizei nicht verraten. Der IT-Spezialist ist Salafist, ein besonders strenggläubiger Muslim. Deshalb trägt er einen zauseligen Kinnbart, deshalb trägt seine Frau den Gesichtsschleier, der nur die Augen freilässt. Im neuen Ägypten beschert ihnen das laufend Probleme: "Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht bedroht werde", sagt der Vater zweier kleiner Töchter.

Ägypter wie Abu Mohammed sind die Verlierer des Kurses, den die ägyptische Politik seit dem Sturz des Dauerpräsidenten Husni Mubarak vor drei Jahren gefahren ist. Die postrevolutionäre Periode begann damit, dass der Rat der obersten Militärs SCAF dem alternden Despoten Mubarak die Macht aus der Hand nahm. Vom Februar 2011 bis Juni 2012 regierten die Generäle das Land, sehr zum Unwillen der ägyptischen Revolutionäre: Die Herrschaft des SCAF wurde immer wieder von heftigen Protesten erschüttert, die Demonstranten bezichtigten die Militärs, sich ihre Rolle an der Spitze des Staates langfristig sichern zu wollen.

Empörung über Mursi und die Muslimbrüder

Doch bevor es so weit kommen sollte, kam es noch zu einem demokratischen Zwischenspiel: Vom Juni 2012 an regierte ein knappes Jahr lang eine mehrheitlich aus Muslimbrüdern bestehende, frei gewählte Regierung. Doch auch diese Führung unter der Leitung Präsident Mohammed Mursis stieß wegen ihrer rigiden Politik und des autoritären Führungsstils bald beim Volk auf Widerstand. Im vergangenen Sommer demonstrierten die Ägypter so lange gegen Mursi, bis das Militär auch ihn entmachtete.

Inzwischen herrscht mit Abd al-Fattah al-Sisi wieder ein General über Ägypten, die Muslimbrüder sind als "Terrororganisation" gebrandmarkt und verboten. Und Ägypten soll in einem zweiten Anlauf eine dem Militär genehmere Regierung wählen.

Erster Schritt in Richtung Neuanfang ist ein Referendum, in dem 53 Millionen Wähler bis Mittwochabend darüber entscheiden, ob sie die neue Verfassung akzeptieren. Der Urnengang hatte am Dienstagmorgen begonnen, die Wahlbeteiligung lag etwa bei 40 Prozent. Bei Konfrontationen kamen nach offiziellen Angaben mindestens elf Menschen ums Leben. Trotz der Gewalt zeichnete sich ab, dass eine große Mehrheit der Ägypter die neue Verfassung absegnen würde. Damit votieren sie jedoch genau für solche Verhältnisse, gegen die sie noch vor zwei Jahren auf die Straßen gegangen waren.

Das Militär wird zum Staat im Staate

Denn die neue Verfassung spricht dem Militär auf Dauer eben jene weitreichenden Rechte zu, die es nach dem Willen der Protestierer nie haben sollte. Die Streitkräfte bleiben ein Staat im Staat, entziehen sich der Kontrolle der zivilen Politik, haben aber gehörigen Einfluss auf diese. Gleichzeitig entrechtet die neue Verfassung alle, die das nicht hinnehmen wollen. Andersdenkende können auch künftig vor ein Militärgericht gestellt und als Terroristen angeklagt werden. General Sisi hat angekündigt, dass er sich als nächster Präsident Ägyptens zur Wahl stellen wird, wenn das Referendum positiv ausfällt - es besteht wenig Zweifel, dass es dazu kommen wird.

Der Grund für den Gesinnungswandel der Ägypter ist tiefe Enttäuschung. In dem kurzen Jahr der Demokratie ist das Leben der allermeisten schwerer, nicht leichter geworden. Die Wirtschaft liegt darnieder, die Menschen sind zutiefst verunsichert, haben Zukunftsangst. Deshalb sehnen sich viele Ägypter erneut nach der Herrschaft eines starken Mann - so, wie sie sie seit Generationen gewöhnt sind.

Doch die Armeeherrschaft, die Stabilität und Sicherheit bringen soll, hat ihren Preis. Millionen Anhänger und Wähler Mursis werden kriminalisiert und ins gesellschaftliche Aus gedrängt. Eine gefährliche Entwicklung, wie auch der Salafist Abu Mohammed sagt: "In meinem Herzen ist nur noch Zorn. Doch ich bin gebildet, ich bin kultiviert, ich werde mich nicht bewaffnen oder in die Luft jagen."

Doch nicht alle seiner Kameraden seien so sanftmütig. "In einem Jahr haben wir Bürgerkrieg in Ägypten", ist seine düstere Prognose.

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