Staatskrise in Ägypten Alte Mubarak-Elite verbündet sich mit Salafisten
Es ist eine merkwürdige Zeit, um solch weitreichende Entscheidungen zu verkünden. Am Montagabend, kurz nach 23 Uhr, hat Ägyptens Übergangsregierung verkündet, wie es nun nach der Absetzung von Mohammed Mursi weitergehen soll. Per Verfassungsdekret wurden die Spielregeln festgelegt, die den Übergang steuern sollen. Erstmals wurde ein Zeitplan dafür veröffentlicht. Die Zeitung "al-Ahram" hat das Dekret in eingescannter Version auf ihre Webseite gestellt.
Ägyptens Übergangsregierung legt ein rasantes Tempo vor, um so ihre Kritiker abzuhängen und schnell neue Fakten zu schaffen. Vor knapp einer Woche wurde Mohammed Mursi gestürzt, er wird seitdem an einem unbekannten Ort ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Noch bestehen seine Anhänger auf ihrer Forderung, dass er ins Amt zurückkehren müsse. Für Dienstag haben sie neue Demonstrationen angekündigt. Führende Vertreter der entmachteten Muslimbrüder lehnen den Zeitplan der Übergangsregierung für Neuwahlen ab.
Mit dem straffen Zeitplan will Kairo auch das Ausland beschwichtigen. International waren Stimmen laut geworden, die fragten, ob Ägypten den Weg der Demokratisierung verlassen habe. Aus Washington hieß es zuletzt, man wolle erst einmal abwarten, bevor man sich mit einer Einschätzung äußere.
Männer des alten Regimes sollen neue Verfassung erarbeiten
Der Zeitplan ist extrem ehrgeizig: In lediglich vier Monaten soll eine neue Verfassung geschrieben werden. Dabei hatte Ägypten seit 2011 monatelang über seine neue Verfassung gestritten - ohne Ergebnis. Im November 2012 reichte es Mohammed Mursi . Er peitschte einen Entwurf durch, der den Vorstellungen der Islamisten entsprach.
Offenbar will man nun ein ähnliches Schnellverfahren durchführen. Doch dieses Mal sind es nicht die Muslimbrüder, die ihre Vorstellungen durchboxen, sondern die juristischen Experten. Sie sind Männer des alten Regimes. Die Richter, die in Ägypten im Amt sind, haben Karriere gemacht unter dem 2011 gestürzten Husni Mubarak. Der Despot regierte Ägypten jahrzehntelang. Ihnen obliegt nun, die von Mursi 2012 per Referendum abgesegnete Verfassung zu überarbeiten.
Danach soll es in noch rasanterem Tempo weitergehen: Die Verfassung soll per Referendum abgenickt werden. 14 Tage darauf soll es Parlamentswahlen geben. Wenn das Parlament seine Arbeit aufgenommen hat, folgt eine Woche später die Ankündigung von Präsidentschaftswahlen. Ob sich dieser ambitionierte Zeitplan durchhalten lässt, ist fraglich. Die Organisation von freien, fairen Wahlen braucht Zeit. Noch gibt es nicht einmal ein Wahlgesetz.
Salafisten können deutliche Siege verzeichnen
Aufschlussreich ist auch, was das neue Verfassungsdekret über die aktuellen Machtverhältnisse verrät. Die Absetzung von Mohammed Mursi hatten breite Teile der Gesellschaft befürwortet - ein überraschendes Bündnis aus Liberalen, Christen, Mubarak-Anhängern, Salafisten, Al-Azhar-Gelehrten und den autoritären Militärs, geeint wohl nur vom Willen, Mursi zu stürzen. Nun bestimmen hinter den Kulissen weiter die Generäle, wo es langgeht. Wen sie dabei unter den Zivilisten für einen ihrer wichtigsten Partner halten, zeigt das Dekret.
Nicht nur die Mubarak-Juristen wurden massiv aufgewertet. Überraschenderweise finden sich in der Verfassungserklärung auch deutliche Zugeständnisse an die Salafisten, die erzkonservativen Rivalen der Muslimbruderschaft. Schon Husni Mubarak ließ die Salafisten, damals eine unpolitische, soziale Bewegung, weitgehend gewähren, erhoffte er sich doch davon eine Spaltung und Schwächung des Islamisten-Lagers.
Klar heißt es im ersten Artikel der Verfassung, dass Ägypten ein Land sei, in dem die "Prinzipien der islamischen Scharia" die "Hauptquelle der Gesetzgebung" seien. Dabei wird explizit ausgeführt, dass es nicht nur um die allgemeinen Werte der Scharia geht - wie etwa Gerechtigkeit -, sondern auch um ihre Auslegung durch Religionsgelehrte, eine extrem Salafisten-freundliche Definition. Dieser Punkt war in der von Mursi erwirkten Verfassung einer der Hauptkritikpunkte der Liberalen gewesen. Nun hat man ihn stillschweigend beibehalten - ein massives Zugeständnis an die Salafisten.
Verfassungsdekret ist an mehreren Stellen problematisch
Auch ein weiterer Kritikpunkt der Liberalen an Mursis Verfassung wird nun per Dekret abgesegnet. Die Islamisten-Verfassung hatte die Glaubensfreiheit auf drei Religionen - Islam, Christen- und Judentum - beschränkt und damit die Minderheit der Bahai diskriminiert. Auch diese Diskriminierung findet sich in dem von der Übergangsregierung erlassenen Verfassungsdekret wieder.
Problematisch ist das Verfassungsdekret auch in einigen anderen Punkten. So enthält es etwa ein riesiges Schlupfloch, um Grundrechte zu beschneiden. Freiheiten gelten nur so lange, wie ein Gesetz sie nicht verbietet.
Ob es gelingt, die "Übergangszeit" tatsächlich auf rund ein halbes Jahr zu beschränken, wie der Zeitplan suggeriert, bleibt abzuwarten. In dieser Zeit vereint nominell Interimspräsident Adli Mansur alle Macht auf sich: Exekutive, Legislative und Judikative. Er wiederum hängt de facto vom Militär ab, das ihn einsetzte.