
Synagoge in Kairo: Kampf um Ägyptens jüdisches Erbe
Ägypten Die letzten fünf Jüdinnen von Kairo
Sie sind nur noch zu fünft: Fünf Frauen im Rentenalter sind die letzten lebenden Mitglieder der einst blühenden jüdischen Gemeinde in Kairo. Zu Pessach, jenem Fest, das an den Auszug der Juden aus Ägypten vor 3000 Jahren erinnert und das am Wochenende beginnt, wollen sie mal wieder in der Shaar-Hashamayim-Synagoge im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt zusammenkommen. Wöchentliche Treffen zum Schabbat sind zu mühsam, schließlich sitzen einige der betagten Damen im Rollstuhl.
Magda Haroun ist mit 66 das jüngste Mitglied der jüdischen Gemeinde in Kairo. Seit 2013 ist sie Vorsitzende der kleinen Gemeinschaft - einer Gemeinschaft, die es eines Tages, wenn die letzte ägyptische Jüdin stirbt, nicht mehr geben wird.
Dann geht eine Jahrtausende lange Geschichte zu Ende, die bis in die Zeit der ägyptischen Pharaonen zurückreicht. Mitte des 20. Jahrhunderts zählte die Gemeinde noch rund 80.000 Mitglieder. Dann wanderten Zehntausende nach Israel aus. Viele derer, die nicht gingen, wurden drangsaliert, enteignet, interniert. Am 5. Juni 1967, dem ersten Tag des Sechstagekriegs, nahmen ägyptische Sicherheitskräfte alle erwachsenen jüdischen Männer fest, derer sie habhaft werden konnten. Sie und ihre Familien wurden vor die Wahl gestellt, entweder auszuwandern oder auf unbestimmte Zeit in Internierungslagern zu verschwinden.
Drei Religionen in einer Familie
"Die Gründung Israels und die diskriminierende Politik der arabischen Staaten haben uns vor eine bittere Wahl gestellt: Wir mussten uns zwischen unserer Religion und unserem Heimatland entscheiden", sagt Haroun. Sie erzählt das ohne jede Bitterkeit, sie stellt es einfach fest.
Harouns Vater war einer der wenigen, die trotz aller Schikanen in Ägypten blieben. "Er war Rechtsanwalt und kämpfte für sein Recht", erzählt Haroun. "Außerdem war er Kommunist und glaubte an die politischen Ideale des damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser." Heute sei ihre Familie vielleicht die einzige im gesamten Nahen Osten, in der eine Jüdin, Muslime und ein Christ friedlich unter einem Dach zusammenlebten, sagt Haroun mit einem Lachen. Ihr erster Ehemann war Muslim, damit sind nach ägyptischem Recht auch die gemeinsamen Töchter Musliminnen. Ihr zweiter Ehemann ist Katholik.

Synagoge in Kairo: Kampf um Ägyptens jüdisches Erbe
Zwölf Synagogen und drei jüdische Bibliotheken gibt es heute noch in Kairo - sie sind verwaist. Die meisten sind in beklagenswertem Zustand, ebenso der jüdische Friedhof Basattine - die zweitälteste jüdische Gräberstätte weltweit nach dem Friedhof auf dem Ölberg in Jerusalem.
Das Rabbinat wird zum Nachbarschaftstreff
Das Ministerium für Altertümer, das sich eigentlich um den Erhalt der Pyramiden und anderer antiker Stätten kümmert, ist für die jüdischen Einrichtungen in Ägypten zuständig - so, als habe sich die Regierung schon damit abgefunden, dass das Judentum im Land genauso wie die Pharaonen längst zur Vergangenheit gehört.
Auch viele ägyptische Muslime und Christen wissen gar nicht, dass es noch Juden in ihrem Land gibt. "Die meisten reagieren total überrascht, wenn sie erfahren, dass ich Jüdin bin", erzählt Haroun. Negative Erfahrungen im Alltag mache sie jedoch nicht. Sie werde stets mit Respekt behandelt. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem es noch immer üblich ist, politische Gegner als Zionisten zu diffamieren, und in dem fast jeder Buchhändler Adolf Hitlers antisemitische Hetzschrift "Mein Kampf" im Sortiment führt.
Haroun versucht, in den Jahren, die ihr bleiben, zumindest das kulturelle Erbe der ägyptischen Juden zu bewahren. Dabei helfen ihr rund zwei Dutzend Muslime und Christen. Sie arbeiten in der Organisation Milchtropfen zusammen. Der Verein wurde ursprünglich in den Zwanzigerjahren gegründet, um sich um jüdische Waisen zu kümmern. Die gibt es längst nicht mehr. Vor zwei Jahren wurde Milchtropfen wiederbelebt. Der Verein kümmert sich jetzt um den Erhalt der jüdischen Stätten.
Im Stadtteil Abbaseya haben die Vereinsmitglieder das ehemalige Rabbinat wiederhergerichtet, das kurz vor dem Verfall stand. Der letzte Rabbi hatte Ägypten in den Sechzigerjahren verlassen. Milchtropfen hat das Gebäude nun in ein Nachbarschaftszentrum umgewandelt. Kinder aus dem Viertel bekommen hier Musik- und Ballettunterricht, einmal die Woche wird ein Film gezeigt.
Lob für Sisi
Daran, dass hier einmal ein Rabbi lebte, erinnern nur noch ein paar Bilder an der Wand, die Milchtropfen aus dem Nachlass verstorbener Juden gerettet hat. Und die Mesusot, kleine Schriftkapseln an den Türrahmen, die für jüdische Häuser typisch sind.
Anfangs hatten die Menschen in Abbaseya Bedenken, ihre Kinder in den Nachbarschaftstreff zu schicken, erzählt Marwa Abu Daka, Mitarbeiterin bei Milchtropfen. "Sie hielten das Gebäude für eine Synagoge." Inzwischen werde das Angebot aber von den Bewohnern des Viertels angenommen. Die beiden Polizisten, die vor dem Eingang Position bezogen haben, und die Sicherheitsschleuse, die Besucher vor dem Betreten passieren müssen, erinnern aber daran, dass eine ehemalige jüdische Einrichtung in Ägypten auch immer ein potenzielles Anschlagsziel ist.
Haroun hofft darauf, dass Präsident Abdel Fattah el-Sisi daran vielleicht etwas ändern kann. In einer seiner ersten Reden hatte Sisi über seine Kindheit im Kairoer Viertel Gamaleya gesprochen. Er erzählte davon, dass es damals ganz normal war, dass in Ägypten Muslime in die Moschee, Christen in die Kirche und Juden in die Synagoge gingen. Dieses Ägypten wolle er wieder errichten, kündigte Sisi an. "Es war das erste Mal, dass ein ägyptischer Präsident ganz selbstverständlich erklärt hat, dass wir Juden zu diesem Land gehören", sagt Haroun. "Das hat wahnsinnig gutgetan."