Ägypten Mit patriotischem Pathos gegen die Wirtschaftskrise

Die Wirtschaft in Ägypten wächst - aber bei den meisten Bürgern kommt vom Aufschwung nichts an. Staatschef Sisi besänftigt das Volk mit patriotischen Phrasen. Wie lange geht das noch gut?
Frau mit ägyptischen Flaggen

Frau mit ägyptischen Flaggen

Foto: AMMAR AWAD/ REUTERS

Die Hymne soll heilen helfen: Seit Mittwoch werden Ärzte, Pfleger und Patienten in Ägyptens Krankenhäusern an jedem Morgen mit der Nationalhymne beschallt. So hat es Gesundheitsministerin Hala Zayed tags zuvor angeordnet. Die Hymne "Biladi, biladi, biladi" - "Mein Land, mein Land, mein Land" erinnere die Mediziner an ihre große Verantwortung, steigere den Patriotismus der Patienten und verbessere das Arbeitsumfeld im Gesundheitswesen, teilte das Ministerium in Kairo mit.

In Wirklichkeit fehlt es dem Gesundheitssektor in Ägypten weniger an Patriotismus als am Geld. Für das laufende Haushaltsjahr sieht die Regierung für das Gesundheitswesen Ausgaben in Höhe von 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor. Das sind weniger als die drei Prozent, die in Artikel 18 der ägyptischen Verfassung vorgeschrieben sind. Zwar gibt es in Ägypten eine Krankenversicherung, trotzdem müssen laut Zahlen der Weltbank Patienten für fast drei Viertel aller Kosten selbst aufkommen.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation "Ägyptisches Zentrum für das Recht auf Medizin" (ECPRM) hat sich die Lage in den vergangenen Monaten weiter verschärft: Seit Ende 2016 sind die Preise für rund 3000 Medikamente demnach um mehr als 50 Prozent gestiegen.

Prestigeprojekte sollen den Aufschwung bringen

Grund dafür ist die Abwertung des Ägyptischen Pfunds seit November 2016. Diese Maßnahme war Teil des Reformpakets, zu dem sich die Regierung von Staatschef Abdel Fattah el-Sisi verpflichtet hatte, um im Gegenzug ein Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erhalten.

Zwar wächst die Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als fünf Prozent und das Leistungsbilanzdefizit ist deutlich gefallen: Die Reformen haben im Alltag der Ägypter trotzdem tiefe Spuren hinterlassen. Durch die Kürzung vieler Subventionen und die Freigabe des Pfund-Wechselkurses stieg die Inflation zeitweise auf mehr als 30 Prozent. Darunter leiden besonders die rund 35 Prozent der Bevölkerung, die von weniger als 45 US-Dollar im Monat und damit unterhalb der Armutsgrenze leben. Sie wenden fast ihr gesamtes Geld für Lebensmittel auf - und sind deshalb besonders stark betroffen, wenn diese sich deutlich verteuern.

Die Regierung reagiert darauf ähnlich wie auf die Krise im Gesundheitswesen: Sie appelliert an den Patriotismus der Ägypter. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien nur eine kurze Durststrecke, langfristig würden alle Bürger vom eingeschlagenen Kurs profitieren - das verbreiten die staatlich gelenkten Medien seit Monaten.

Sie verweisen immer wieder auf die nationalen Prestigeprojekte, mit denen die Wirtschaft angeschoben, das Land modernisiert, und Zehntausende Bürger in Lohn und Brot gebracht werden sollen: Da ist etwa der Bau einer neuen Hauptstadt für fünf Millionen Einwohner in der Wüste östlich von Kairo - schon Mitte kommenden Jahres sollen die ersten Ministerien in die noch namenlose Metropole umziehen. Da ist die Errichtung des ersten Atomkraftwerks in Ägypten, die in den nächsten zwei Jahren mit Hilfe aus Russland beginnen soll. Und da ist die Errichtung eines neuen Suezkanals mit angrenzender Sonderwirtschaftszone, in der sich Unternehmen steuerfrei niederlassen können sollen.

Sisis Strategie ist riskant

Die staatliche Propaganda verbreitet, dass diese Großprojekte allen Ägyptern zugutekommen würden. Doch bislang profitiert vor allem das Militär. Seit 2013 der damalige Armeechef Sisi gegen den freigewählten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi putschte, haben die Streitkräfte ihren Einfluss auf die Wirtschaft weiter ausgebaut. Im Bausektor, in der Energiewirtschaft, in der Lebensmittelproduktion ist das Militär die dominierende Kraft. Die von der Armee gesteuerten Unternehmen können auf billige Arbeitskräfte zurückgreifen, profitieren von Steuerprivilegien und werden bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge bevorzugt. Private Unternehmer werden dadurch immer weiter zurückgedrängt.

Für Ex-Feldmarschall Sisi ist diese Strategie nicht ohne Risiko. Sollte sich abzeichnen, dass sich die wirtschaftliche Lage für einen Großteil der Ägypter in den nächsten Jahren eher verschlechtert als verbessert, wird das über kurz oder lang auf den Staatschef zurückfallen. Die staatlichen Medien präsentieren ihn mehr und mehr als allmächtigen und allwissenden Landesvater, der Ägypten zu alter Größe zurückführen wird. Wenn sich diese Vision als unerfüllbarer Traum entpuppt, sind Proteste vorprogrammiert. Das weiß auch das Regime: Schon jetzt sitzen laut Schätzungen mehr als 60.000 politische Häftlinge in den Gefängnissen des Landes, Zwangsverschleppungen von säkularen wie islamistischen Oppositionellen sind an der Tagesordnung.

Dieses Klima schreckt sowohl ausländische Investoren als auch Touristen ab - was wiederum die Wirtschaftsentwicklung schwächt.

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