Anschläge auf Kirchen in Ägypten Christen im Visier
Die Gläubigen in der St.-Georg-Kirche in Tanta sangen gerade das Hosianna, als der Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz zündete. Er tötete 27 Menschen und verletzte 78 weitere. Da war es gerade 9.08 Uhr. Das zeigt die Uhr in der Kirche, die seit der Explosion stehengeblieben ist.
Wenige Stunden später riss ein zweiter Attentäter 17 Menschen vor der St.-Markus-Kathedrale in Alexandria in die Luft. Hier verhinderten Polizisten offenbar noch Schlimmeres. Sie hinderten den Täter am Betreten der Kirche, daraufhin sprengte er sich vor dem Gotteshaus in die Luft. Dort hatte Papst Tawadros II., das Oberhaupt der Kopten, die Messe gelesen. Er blieb unverletzt.
Damit war dieser Palmsonntag der blutigste Tag seit Jahrzehnten für die Kopten in Ägypten. Die knapp zehn Millionen Gläubigen bilden die größte christliche Minderheit im Nahen Osten.
Angriffsziele mit hoher symbolischer Bedeutung
Die "Provinz Sinai", der regionale Ableger der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), hat sich zu den Anschlägen in Tanta und Alexandria bekannt. Damit haben die Dschihadisten einmal mehr unterstrichen, dass sie nicht mehr nur den Sinai terrorisieren, sondern auch im Nildelta, dem ägyptischen Kernland, zuschlagen können. Die beiden Attentäter hatten ihre Anschläge nicht nur zeitlich koordiniert, sie haben sich auch Ziele mit hoher Symbolkraft gesucht. Die St.-Georg-Kirche ist das größte koptische Gotteshaus in der Delta-Provinz, die St.-Markus-Kathedrale steht auf dem Grund der ältesten Kirche Afrikas und ist Sitz des koptischen Papstes.

Anschläge in Ägypten: Terror am Palmsonntag
Die Attentate bringen Staatschef Abdel Fattah el-Sisi in Erklärungsnot. Der autoritär regierende Präsident legitimiert seine Herrschaft und die Unterdrückung der Opposition mit dem Versprechen, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Trotzdem ist es Attentätern gelungen, an einem der höchsten christlichen Feiertage zwei der wichtigsten Kirchen des Landes anzugreifen. In der Nähe der Kirche in Tanta hatten Polizisten bereits vor einer Woche eine Bombe entdeckt und entschärft, trotzdem verzichteten die Behörden darauf, die Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen.
Sisi verwies in den vergangenen Jahren darauf, seine Sicherheitskräfte hätten mit harter Hand verhindert, dass Ägypten in Chaos und Bürgerkrieg abgleitet, so wie Libyen oder Syrien. Doch nun erlebt sein Land Zustände wie im Irak: Koordinierte Anschläge des IS auf religiöse Minderheiten, die das Ziel haben, Konfessionsgruppen gegeneinander aufzuhetzen und das Land in Richtung Bürgerkrieg zu treiben.
Am Sonntagabend rief Sisi einen dreimonatigen Ausnahmezustand aus. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder von Armeeeinheiten, die aus ihren Kasernen ausrücken und anschließend im Konvoi durch leere Straßen rollen - unterlegt mit dramatischer Musik. Zugleich wies der Diktator die Medien an, die Berichterstattung über die Anschläge zurückzufahren. "Es ist inakzeptabel, dass die Bilder der Anschläge den ganzen Tag im Fernsehen wiederholt werden", kritisierte der Präsident.
Die staatlich gelenkten Medien gehorchen - und fordern das Regime zu noch größerer Härte auf. "Die Menschenrechte behindern unseren Kampf gegen den Terror", sagte ein Kommentator im ägyptischen Staatsfernsehen.
Sisis Regierung ignoriert Gewalt gegen Christen
Sisi und die Regierungspropaganda erwähnen auch nur am Rande, dass sich dieser Terror gezielt gegen Christen richtete. "Ich sage nicht, dass die Opfer Christen oder Muslime sind. Ich sage, dass sie Ägypter sind." Damit ignoriert der Staatschef die IS-Propaganda, die in den vergangenen Monaten zu gezielten Angriffen auf Christen aufrief.
Zudem passt diese Rhetorik auch nicht zum Regierungshandeln, denn der ägyptische Staat ignoriert alltägliche Übergriffe und religiös legitimierte Gewalt gegen Kopten. Wenn etwa in Dörfern und Kleinstädten in Oberägypten Muslime ihre christlichen Nachbarn angreifen, werden diese nur in den seltensten Fällen vor Gericht gestellt und bestraft, das kritisieren Menschenrechtsgruppen. Stattdessen organisieren die Behörden informelle Treffen zwischen Tätern und Opfern, die das Problem lösen sollen. "Die Regierung unternimmt nichts, um die konfessionelle Gewalt gegen Christen zu bekämpfen", klagt Ishak Ibrahim von der "Ägyptischen Initiative für persönliche Rechte".
Auch ein Diskurs über das gesellschaftliche Klima, in dem Übergriffe von Muslime auf Christen an der Tagesordnung sind, findet unter Sisi nicht statt. "Oberflächlich ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Kopten in Ägypten gut", sagt Ibrahim. Aber die Spannungen seien in den vergangenen Jahren gewachsen, auch wegen der schlechten Wirtschaftslage. "Etwas ist kaputtgegangen, aber niemand redet offen darüber."
Zusammengefasst: Präsident Sisi rechtfertigt seine harte Führungslinie mit dem Versprechen von Sicherheit in Ägypten. Doch die jüngsten Anschläge auf christliche Kirchen bringen ihn in Erklärungsnot. Gleichzeitig zeigen sie, dass die Terroristen des IS längst nicht mehr nur auf dem Sinai zuschlagen können. Die Reaktion der Regierung: noch mehr Härte.