Ärger um Arafats Ehefrau Suha düpiert die Abus
Ramallah - Die Mukata, der zerbombte Amtsitz des palästinensischen Präsidenten, ist in diesen Tagen gespenstisch verlassen. Zum Trocknen aufgehängte Jeans der Sicherheitskräfte wehen im Wind, der Haupteingang des Präsidentenbüros ist zum Schutz vor Staub mit Planen verdeckt. Nur gelegentlich kommt einer der etwa 150 dort angeblich noch hausierenden Arafat-Getreuen über den Platz zwischen den Gebäuderesten marschiert. Doch die Ruhe täuscht. "Jetzt fangen die Probleme an, die wir verhindern wollten", zischt ein Sicherheitsbeamter im Vorbeigehen. Er meint "diese Sache mit Suha".
Diese Sache mit Suha, das war ein telefonisches Interview, dass Arafats seit Jahren vom "Rais" getrennt lebende Frau dem Satellitensender al-Dschasira am Morgen gegeben hat. Darin hat sie nicht weniger getan, als die gesamte palästinensische Führungsspitze zu beleidigen. Abu Ala alias Ahmed Kurei, der amtierende Premier und Abu Masen alias Mahmud Abbas, dessen Vorgänger, seien Erbschleicher, erklärte Suha sinngemäß - vom Krankenbett ihres Gatten aus und mit bebender Stimme. Es sei, als wollten sie "Abu Ammar" beerdigen, obwohl er noch lebt, tobte Suha.
Kurz überlegten die beiden Abus, die die Macht Arafats bereits einvernehmlich zwischen sich aufgeteilt haben, ob sie ihre Reise nach Paris, wo Arafat behandelt wird, aus Verärgerung absagen sollten. Heute Nachmittag entschieden sie sich dann aber dagegen und machten sich auf die Reise, um selbst genaueres über dessen Gesundheitszustand in Erfahrung zu bringen, als Suha bislang bereit war preiszugeben.
In Ramallah stieß der Ausbruch Suhas heute auf harsche Kritik. Suha Arafat, die über 30 Jahre jünger ist als ihr Gatte, war unter Palästinensern noch nie beliebt. Seit drei Jahren lebt sie mit der gemeinsamen Tochter in Paris, und niemand hier findet es schade, dass die First Lady des noch nicht existierenden Staates freiwillig im Exil lebt - auch wenn sich Berichte, sie sei bei ihrem kurzen Aufenthalt in Ramallah am letzten Montag mit Steinen beworfen worden, als Propaganda herausstellten.
"Sie ist eben eine Hündin", kommentierte wütend die 50-jährige Hausfrau Jalila Suhas Worte im Schutz ihrer eigenen vier Wände im Stadtteil al-Bira. "Suha hat keinen Anstand im Leib und versteht nichts von unserem Leben." Andere Palästinenser, die auf keinen Fall genannt werden wollen, nahmen noch schlimmere Schimpfworte in den Mund. Anders als Jalila hatten jedoch viele Palästinenser bis zum Abend noch gar nicht von dem Interview erfahren.
Suha sieht Verschwörung gegen ihren Mann
Auch nahezu die gesamte palästinensische Führung - mit Ausnahme der beiden direkt angegangenen Abus - wies Suha Arafats Beschuldigungen, es sei eine "Verschwörung" gegen ihren Mann im Gange, entschieden zurück. Zum Teil in drastischen Worten: Suha habe kein Recht, ihren Ehemann wie ihr Eigentum zu behandeln, sagte ein Minister. Er gehöre dem gesamten palästinensischen Volk.
Immer mehr Palästinenser beschleicht mittlerweile das Gefühl, dass Suha Arafat die Verantwortung dafür trägt, dass keine Details über den Gesundheitszustand des palästinensischen Präsidenten nach außen dringen. Nach französischem Recht darf sie entscheiden, wer an das Krankenbett gelassen wird; offensichtlich reizt sie diese Befugnis weidlich aus und hat schon die in Paris vorhandenen Palästinenserführer in zwei Lager gespalten.
Noch scheint es unklar, ob Abu Ala und Abu Masen überhaupt vorgelassen werden. Suha Arafat versuchte in ihrem morgendlichen Interview den Eindruck zu verbreiten, Jassir Arafat befinde sich bereits auf dem Weg der Besserung. Ob, und wenn ja, was für ein Spiel Suha Arafat spielt, darauf kann sich hier noch niemand einen überzeugenden Reim machen.
In den israelischen Zeitungen finden sich derweil seit Tagen Berichte, die darauf hindeuten, dass finanzielle Streitereien um Arafats Privatvermögen der wahre Hintergrund des unwürdigen Kleinkriegs sind. Korruption, krumme Geschäftsbeziehungen, Bestechung und Gerichtsprozesse - einige der Artikel lasen sich fast schon wie Mafia-Schmonzetten. Was daran wahr sein könnte, liegt bis jetzt noch einigermaßen im Dunkeln.
Sicher ist nur, dass die französischen Behörden schon vor einiger Zeit ein Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen Suha Arafat eingeleitet haben. Außerdem halten sich hartnäckig Behauptungen, Arafat habe möglicherweise bis zu einer Milliarde Dollar von Geldern der Autonomiebehörde ins Ausland und auf Privatkonten gebracht. Auch soll Suha jeden Monat etwa 85.000 Euro überwiesen bekommen; schon oft haben Palästinenser ihren ihrer Ansicht nach ausschweifenden Lebensstil kritisiert. Die palästinensischen Zeitungen, so gut wie sämtlich von der Autonomiebehörde kontrolliert, hielten sich unterdessen zurück.
"Dinge, von denen wir nichts ahnen"
"Zwischen den 'Großen'", erklärte heute enttäuscht der 25-jährige Soziologiestudent Mahmud angesichts dieser Fülle an Vermutungen und Unterstellungen, "sind ganz offensichtlich Dinge im Schwange, von denen wir nichts ahnen und wahrscheinlich auch nie etwas ahnen werden". Er hoffe nur, dass dieser Ärger bald vorbei ist. Wie die meisten anderen Palästinenser ist auch Mahmud überrascht, dass die Machtverteilung bislang so gut wie reibungslos verlaufen ist.
Er wünscht sich, dass es dabei bleibt und nun keine neuen Fronten geschaffen werden. Es sei schlimm genug, dass Arafat schwer krank sei, da sei es umso wichtiger, dass alle Beteiligten die Fassung und Form bewahrten. "Immerhin geht es um das Ansehen unseres Präsidenten", mahnte er.
Der Suha-Skandal wird durch Gerüchte noch weiter angeheizt, dass Arafats Ehefrau diejenige sei, die entscheide, wann die lebenserhaltenden Maschine, an der der "Rais" hängen soll, abgeschaltet wird. Einige Palästinenser in den Straßen von Ramallah vermuteten, dass Abu Ala und Abu Masen nur deshalb nach Paris reisen, um Suha davon zu überzeugen, die Apparate auszuschalten - auch wenn bislang jeder ernst zu nehmende Bericht darüber fehlt, wie es Arafat überhaupt geht.
Immer wieder ist in Ramallah auch die Ansicht zu hören, dass die PLO-Führung darum bemüht sei, den Tod Arafats zu einem "günstigen Zeitpunkt" zu verkünden. Der morgige Abend, heißt es, wäre ein solcher Termin: Arafats Tod fiele dann auf die "Leilat al-Qadr", jene Nacht im Monat Ramadan, die als besonders gesegnet gilt, weil in ihr dem Propheten Mohammed der Koran offenbart worden sein soll. In der Tat ist ein würdigeres Sterbedatum kaum denkbar. Zumal es den - auch hier diskutierten - Vorteil hätte, dass das Anfang der kommenden Woche beginnende Abschlussfest des Ramadan nicht vollkommen ruiniert würde. Dabei handelt es sich um die am festlichsten begangenen Feiertage im islamischen Jahr, höchstens noch mit dem christlichen Weihnachtsfest vergleichbar.