Krise in Äthiopien
Dutzende Tote bei Protesten in und um Addis Abeba
"Nieder mit Abiy"? Vor zwei Wochen erhielt Äthiopiens Regierungschef den Friedensnobelpreis. Nun sind in und um die Hauptstadt Addis Abeba mehr als 60 Menschen bei Protesten gegen den Premier gestorben.
"Nieder mit Abiy": Radikale Oromo-Aktivisten in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba
Foto: Tiksa Negeri/ REUTERS
In Äthiopien sind bei regierungskritischen Protesten in der Hauptstadt Addis Abeba und in der umliegenden Region durch exzessive Gewalt seit Mittwoch mehr als 60 Menschen gestorben.
Die genauen Umstände sind nicht bekannt. Amnesty International kritisierte, Polizisten hätten mit scharfer Munition auf Demonstranten gefeuert. Allerdings sind unter den Toten offenbar auch Sicherheitskräfte, die durch Steinwürfe ums Leben kamen.
Hintergrund ist womöglich das politische Ringen zwischen Regierungschef Abiy Ahmed und Jawar Mohammed, einflussreicher Medienunternehmer und radikaler Führer der Oromo-Volksgruppe, zu der auch Premier Abiy selbst gehört.
Jawar Mohammed - erst Abiys Helfer, jetzt sein Gegner
Die Proteste in der Hauptstadt hatten ihren Ausgang vor Jawars Wohnhaus genommen. Die Demonstranten riefen "Nieder mit Abiy!" und erklärten auf Nachfrage von Journalisten, ihren Anführer Jawar beschützen zu wollen. Zuvor hatte Jawar an seine 1,75 Millionen Facebook-Follower geschrieben, Polizeikräfte hätten sein Haus umstellt und seinen Sicherheitsdienst abgezogen. Eine Nachricht, die aber von staatlicher Seite dementiert wurde.
Jawar Mohammed, Abiy-Kritiker und Stichwortgeber der radikalen Oromo-Jugend
Foto: Stringer/ AFP
Von Addis Abeba aus hatten sich die Proteste im Lauf der Woche in der Region Oromia ausgebreitet, in deren Mitte die Hauptstadt liegt. Unter anderem in der Stadt Adama südöstlich von Addis formierten sich Proteste radikaler Oromo. Einwohner der Stadt berichteten der Nachrichtenagentur Reuters, sie hätten Schüsse in der Nähe eines Protests zur Unterstützung Jawars gehört.
Am Freitag hatten die Regionalbehörden die Zahl der Todesopfer stark nach oben korrigiert. War zunächst von 16 Opfern bei Protesten die Rede, erklärte der Leiter der Polizeikräfte der Region, Keyalew Tefera: "Die Zahl der Toten in Oromia ist 67." Ein Dutzend sei von Sicherheitskräften getötet worden, 55 bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, zitiert ihn die Nachrichtenagentur AFP.
Für Regierungschef Abiy ist der Oromo-Protest ein Dilemma: Die ethnische Gruppe stellt unter den hundert Millionen Äthiopiern die relative Mehrheit, war aber in den vergangenen Jahrzehnten kaum an der Macht beteiligt. Anhaltende Proteste der Oromo - die auch stark vom Aktivisten Jawar Mohammed angeheizt wurden - verhalfen Abiy im Frühjahr 2018 an die Macht.
Abiy sorgte schnell für mehr Freiheit, amnestierte Journalisten und Aktivisten aller politischen Lager. Anderseits beschwor er die Einheit des Landes und erteilte den Separatisten unter den Oromo und unter anderen Volksgruppen eine Absage. Seither wird der im Ausland gefeierte Premier von Radikalen in seiner Heimat angefeindet. In mehreren Regionen des ostafrikanischen Landes lieferten sich Soldaten mit radikalen Separatisten blutige Gefechte, Millionen wurden in ganz Äthiopien Opfer ethnischer Gewalt und von Vertreibungen.
Für seinen Friedensschluss mit Eritrea und sein Engagement für Frieden in Ostafrika wurde Abiy vor zwei Wochen vom Nobelpreiskomitee in Oslo mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Möglich, dass sein Gegner Jawar auch deshalb gerade jetzt die Konfrontation sucht. Am Freitag kündigte Jawar zudem an, bei den bislang für 2020 geplanten Wahlen gegen Abiy antreten zu wollen.