
Rechtspopulisten: Skandinavische Blaupause
Rechtspopulisten in Skandinavien Ausgrenzen, anpassen, mitregieren
Angela Merkel spricht von einer "großen, neuen Aufgabe": Lange schien Deutschland immun gegen politische Rechtsaußen-Bewegungen, nun aber ist die AfD nicht mehr nur in etlichen Landtagen vertreten, sie zieht auch in den Bundestag ein - als drittstärkste Kraft.
Für die Bundesrepublik ist das neu, andere Länder in Europa haben dagegen schon jahrzehntelange Erfahrungen mit rechtspopulistischen Parteien. In Dänemark, Norwegen und Schweden etwa, die als Musterbeispiele toleranter und offener Gesellschaften gelten, sitzen die Rechten seit Langem in den Parlamenten, sie sind seit Jahren mit an der Regierung oder stützen diese. Der Aufstieg der Populisten hat dort lange vor 2015, als so viele Flüchtlinge nach Europa kamen, begonnen.
Kann Deutschland von jenen Staaten etwas lernen für den künftigen Umgang mit der AfD?
Die gleichen Themen - aber ohne Nazi-Vokabular
Flüchtlinge, Islam, Einwanderung - die Themen, auf die die AfD setzt, ähneln denen ihrer skandinavischen Pendants. Aber es gibt auch Trennendes. "Der große Unterschied zur AfD ist, dass die skandinavischen Rechtspopulisten keinerlei ideologische Wurzeln im Nationalsozialismus oder Faschismus haben", sagt der deutsch-norwegische Historiker Einhart Lorenz, der zu rechten Parteien geforscht hat.
"Aussagen wie, man müsse stolz auf die Wehrmacht sein, oder völkisches Nazi-Vokabular, das gibt es bei den skandinavischen Parteien nicht. Es gibt dort keine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen", betont Lorenz. Dadurch sei ein unbefangenerer Umgang mit den Rechten möglich - die Wachsamkeit müsse nicht so hoch sein, wie es in Deutschland notwendig sei.

Rechtspopulisten: Skandinavische Blaupause
In den Parlamenten in Norwegen und Dänemark gingen die übrigen Parteien mit den Rechtspopulisten absolut normal und alltäglich um, sagt der Historiker. Erleichtert werde das auch durch eine andere Sitzordnung, etwa im Parlament in Oslo, wo die Politiker nicht nach Fraktionen getrennt sitzen, sondern angeordnet nach Wahlkreisen und ihren Ergebnissen. "Diese Mischung hat eine lange Tradition und führt auch zu mehr Austausch. Sich etwa angeekelt abzuwenden, ist eigentlich undenkbar."
Ausgrenzen, respektieren, koalieren - die Entwicklung der Rechten...
...in Dänemark:
In Dänemark gelang der Dänischen Volkspartei (DF) gleich bei ihrer ersten Wahl nach der Abspaltung von der Fortschrittspartei der Sprung ins Parlament: 1998 erreichte sie 7,4 Prozent der Stimmen. Schon drei Jahre später wurde die DF parlamentarische Mehrheitsbeschafferin der bürgerlichen Regierung und hatte diese Rolle bis 2011 inne. Bei den Wahlen 2015 gewannen die dänischen Rechtspopulisten deutlich hinzu, wurden zweitstärkste Kraft - und erneut parlamentarische Stütze einer bürgerlichen Minderheitsregierung.

Dänische Rechtspopulisten Kristian Thulesen Dahl und Pia Kjærsgaard
Foto: LINDA KASTRUP/ AFPEntzaubert wurde die DF in der Parlamentsarbeit also nicht. Stattdessen hat sich in Dänemark das übrige Parteienspektrum deutlich nach rechts verschoben - noch stärker als in den anderen skandinavischen Ländern.
Rechtspopulistische Töne kommen in Dänemark längst nicht mehr nur von den klassischen Rechtspopulisten - ein Beispiel: Im Frühjahr postete Integrationsministerin Inger Støjberg von den regierenden Rechtsliberalen auf ihrer Facebook-Seite das Foto eines Kuchens, darauf die dänische Flagge und eine 50. Es war Støjbergs Art, die Durchsetzung der 50. Gesetzesverschärfung in der Einwanderungspolitik zu feiern.
Selbst Teile des linken Lagers sehen kein Problem darin, mit den Rechten zu kooperieren. Die Chefin der Sozialdemokraten, Mette Frederiksen, lobte die parlamentarische Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten. Auch eine künftige gemeinsame Regierung mit der DF will Frederiksen nicht ausschließen.
...in Norwegen:
In Norwegen sitzen die Rechten nicht nur seit Jahrzehnten im Parlament, sie zogen 2013 formal in die Regierung ein, bekamen entscheidende Ressorts wie das Finanzministerium. Die neue Macht bescherte der Fortschrittspartei (FrP) kurzzeitig schlechtere Umfragewerte, dann aber konnte sie den hohen Flüchtlingszuzug 2015 für sich nutzen. Ihre Integrationsministerin Sylvi Listhaug war auf allen Kanälen präsent.
Für Norwegen gilt: Die Regierungsbeteiligung hat den Rechten nicht nachhaltig geschadet, sie konnten zentrale Wahlversprechen halten. Bei den Parlamentswahlen in diesem September hat die FrP weniger Wähler verloren als andere bürgerliche Parteien, sie wird auch künftig zusammen mit den Konservativen regieren.

Siv Jensen, Chefin der Fortschrittspartei in Norwegen
Foto: AFP/ NTB Scanpix / Cornelius POPPEAndersherum hat es jenen bürgerlichen Parteien, die sich hart von der FrP abgegrenzt haben, in der Wählergunst auch nicht geholfen. So hatten die Christdemokraten erklärt, sie stünden für eine Allianz mit den Rechten nicht mehr zur Verfügung. Bei der jüngsten Wahl verloren sie Stimmen.
Die Abkehr der kleinen christdemokratischen Partei ändert nichts am grundsätzlichen Umgang mit der FrP: "Natürlich ist die FrP auch fremdenfeindlich, aber sie ist Regierungspartei und wird von den anderen auch so akzeptiert", sagte Historiker Lorenz.
Auf lokaler Ebene arbeiten auch linke Parteien mit der FrP zusammen. Gleichzeitig habe das bürgerliche Lager politisch keinen Weg gefunden, die Doppelstrategie der Fortschrittspartei - einerseits eine strenge Asylpolitik, andererseits ein liberaler Wirtschaftskurs - erfolgreich zu bekämpfen. Stattdessen hätten alle Parteien ihren Kurs in der Asylpolitik verschärft.
...in Schweden:
In Schweden spielten die Rechtspopulisten lange eine andere Rolle. Im Jahr 2010 zogen die Schwedendemokraten (SD), die sich mittlerweile von ihren Wurzeln im nazistischen Milieu distanziert haben, mit 5,7 Prozent erstmals ins Parlament in Stockholm ein. Die anderen Parteien einigten sich auf ein gemeinsames Vorgehen: Abgrenzung. Diesen Kurs behielt man zunächst auch bei, als die Rechtspopulisten 2014 auf knapp 13 Prozent kamen und ihr Image längst gewandelt hatten.
"Aus den Männern mit Stiernacken und Springerstiefeln wurden äußerlich Traumschwiegersöhne im Anzug, eloquent und scheinbar gemäßigt", sagt Bernd Henningsen, Politologe und Skandinavistikprofessor von der Humboldt-Universität in Berlin.

Jimmie Akesson, Chef der Schwedendemokraten
Foto: Jonas Ekstromer/ dpaIm Parlament aber habe man mit den Rechten nur geredet, wenn es unbedingt sein musste. In Debatten seien sie dezidiert isoliert worden, so Henningsen. Die bürgerliche Opposition verständigte sich darauf, nicht geschlossen gegen den Haushalt zu stimmen, um den Einfluss der Rechten zu begrenzen.
Aber genauso wenig wie die Einbindung in Norwegen und Dänemark die Rechten geschwächt hat, hat die harte Abgrenzung in Schweden ihre Zustimmungswerte entscheidend gemindert. Auch dass die anderen Parteien längst schärfere Einwanderungsgesetze beschlossen haben, treibt die Wähler nicht weg von den Rechten.
Schließlich kam es im Frühjahr dieses Jahres zum Tabubruch - auf der Suche nach Mehrheiten im Parlament, wo weder das bürgerliche noch das linke Lager über ausreichend Stimmen verfügt. Die Chefin der Konservativen, Anna Maria Batra, verkündete, man könne sich künftig eine Kooperation mit den Schwedendemokraten in bestimmten Fragen vorstellen.
Ein Paukenschlag, der mit dazu führte, dass Batra schließlich zurücktrat. Die Kehrtwende hatte die eigenen Wähler verschreckt, massive Kritik in ihrer Partei ausgelöst. In Umfragen verloren die oppositionellen Konservativen massiv an Zustimmung, die Rechten gewannen noch hinzu.
Fazit
Zusammenarbeit oder Isolation? In Dänemark, Norwegen oder Schweden hat bislang keiner der beiden Wege im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien dazu geführt, dass diese geschwächt wurden. Dass die übrigen Parteien ihren Kurs in der Einwanderungspolitik verschärft oder faktisch den Rechtspopulisten angeglichen haben, hat ihnen auch nicht geschadet.
Zusammengefasst: In Dänemark, Schweden und Norwegen sitzen rechtspopulistische Parteien seit Jahren in den Parlamenten. Mal versuchen es die anderen Parteien mit Ausgrenzung (Schweden), mal mit Zusammenarbeit (Norwegen, Dänemark) - geschwächt wurden die Rechtspopulisten bisher nicht. Der Umgang mit ihnen ist in Skandinavien allerdings auch unbefangener als mit der AfD in Deutschland, weil die Rechten in Skandinavien meist nicht mit Nazi-Vokabular hantieren.