SPIEGEL ONLINE

Affront gegen Hillary Clinton Russlands Außenminister geht nicht ans Telefon

24 Stunden lang versuchte US-Außenministerin Clinton, ihren russischen Kollegen zu erreichen, um über Syrien zu sprechen. Doch Sergej Lawrow verweigerte sich. In Sachen Assad ist für Moskau alles gesagt: Sanktionen kommen nicht in Frage - der Diktator ist der letzte Verbündete in der Region.

Die Welt blickte in den Abgrund: Die Sowjetunion und die USA standen 1962 am Rande eines Nuklearkrieges, weil Moskau zunächst unbemerkt Atomwaffen auf Kuba stationiert hatte. Falken in den USA forderten im Gegenzug einen nuklearen Erstschlag. Die Welt stand kurz vor einem verheerenden Krieg.

Danach richteten Washington und Moskau 1963 den "heißen Draht" ein, eine direkte Kommunikationslinie zwischen Weißem Haus und Kreml. Regelmäßig wurde die Leitung auf Fehlfunktionen getestet. Techniker jagten einen Prüftext über den Draht, der alle Buchstaben des Alphabets enthielt: "The quick brown fox jumps over the lazy dog", lautete der. Wenn es brenzlig wird, sollte der heiße Draht einsatzfähig sein.

Aber was hilft die beste Direktverbindung, wenn an einer der beiden Leitungen jemand sitzt, der gar nicht reden möchte?

Das russisch-amerikanische Ringen um eine Lösung des Syrien-Konflikts treibt derzeit bizarre Blüten. Die USA bemühen sich um die Durchsetzung einer starken Uno-Resolution gegen Damaskus, Russland dagegen blockiert alle Vorstöße, die es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines engen Verbündeten Syrien auffasst. "Sanktionen sind nicht die geeigneten Mittel, das kann nur der Dialog sein", sagte Uno-Botschafter Witalij Tschurkin.

Washington aber unternimmt alles, um Moskau doch noch zu erweichen. Anfang der Woche kündigte das US-Außenministerium an, unverzüglich Moskaus Außenminister Sergej Lawrow direkt kontaktieren zu wollen. Das Problem ist nur: Hillary Clinton, Secretary of State und eine der mächtigsten Frauen der Welt, hat Lawrow zwar ausdauernd hinterhertelefoniert, ihn aber nicht an die Strippe bekommen. "Offen gestanden hat die Ministerin ungefähr 24 Stunden versucht, den Außenminister Lawrow ans Telefon zu bekommen", teilte Außenamtssprecherin Victoria Nuland konsterniert mit. "Das hat sich als schwierig herausgestellt."

Lawrow absolviert derzeit einen Besuch in Australien. Russlands Außenminister will Down Under unter anderem für Investitionen in Sibirien werben, bislang investieren australische Unternehmen jährlich die wenig beeindruckende Summe von 30 Millionen Dollar in Russland. Man habe ihm ausgerichtet, dass Clinton mit ihm sprechen wolle, allerdings zum "Höhepunkt meiner Treffen mit australischen Partnern. Es zählt nicht zu unserer diplomatischen Tradition, unsere Gesprächspartner zu kränken", so Lawrow.

Lawrow ist kein diplomatischer Grobian wie der einstige Sowjet-Chef Nikita Chruschtschow, der bei der Uno einst mit dem Schuh auf den Tisch geschlagen haben soll, um sich Gehör zu verschaffen. Im Gegenteil. Lawrow ist ein Diplomat mit geschliffenen Manieren.

Moskau sieht keinen Verhandlungsspielraum

Das macht die Botschaft des Affronts gegenüber Washington nur noch deutlicher: Moskau findet, dass zu Syrien alles gesagt ist. Der Kreml sieht offenbar keinen Verhandlungsspielraum mehr bei der Suche nach einem Kompromiss. Zu gegensätzlich sind die Positionen von Europa und den USA auf der einen und Russland, China und Indien auf der anderen Seite.

Russland steht seinem Verbündeten Syrien treu zur Seite und blockiert jede Resolution, die nicht ausdrücklich eine militärische Intervention von außen ausschließt. Im Text dürfe nichts enthalten sein, "was als Erlaubnis interpretiert werden könnte, Gewalt anzuwenden", so Lawrow.

Russland steckt noch der Fall Libyens in den Knochen. Damals machte Moskau mit einer Enthaltung im Sicherheitsrat den Weg frei für die Einrichtung einer Flugverbotszone. Eine westliche Koalition aber nutzte die Resolution, um massive Bombenangriffe gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi zu fliegen, einen langjährigen Verbündeten Russlands. Zudem hält ein erheblicher Teil der politischen Elite Moskaus Demonstranten, Deserteure und andere syrische Rebellen für eine größere Gefahr als das Assad-Regime.

Assad ist Russlands letzter Verbündeter in der Region

Hinzu kommt, dass Moskau seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion seinen Einfluss im Nahen Osten fast gänzlich eingebüßt hat. Assad ist Russlands letzter Verbündeter in der Region. Zudem schätzen Russlands Waffenschmieden Syrien als zahlungskräftigen Kunden. Mitte Januar lief etwa ein Schiff mit einer russischen Munitionslieferung im Hafen Tartus ein. Dort unterhält Russland eine eigene Marinebasis. Kurz darauf wurde bekannt, dass Syrien in Russland 36 Kampfjets vom Typ Jak-130 kaufen will.

Der Deal würde Russlands Rüstungsbranche 427 Millionen Euro in die Kassen spülen. Das Land ist zwar weltweit der zweitgrößte Waffenverkäufer, gerät aber bei Hightech-Waffensystemen zunehmend ins Hintertreffen. Daneben investieren russische Unternehmen in Syrien. Energiekonzerne wollen Gasvorkommen erschließen. Das Gesamtvolumen russischer Investitionen in Syrien beläuft sich auf rund 20 Milliarden Dollar.

Moskaus sporadische Vermittlungsversuche in der Syrien-Krise dagegen stehen unter keinem guten Stern. Die Opposition interpretiert Waffenlieferungen und das Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat als Parteinahme für Assad und traut Russland deshalb eine Rolle als "ehrlicher Makler" nicht zu.

Moskau aber ist fest entschlossen, den Nachschub an das Regime nicht zu stoppen. Sergej Tschemesow, Chef des Staatskonzerns Rostechnologij, ist einer der mächtigsten Männer des Landes. Der Vertraute von Premierminister Wladimir Putin steht einem riesigen Industriekonglomerat aus 500 Unternehmen und Fabriken vor, viele davon produzieren auch Rüstungsgüter.

Tschemesow fürchtet eine Dominoeffekt: Wenn Syrien fällt, verliert Russland an Einfluss und auch weitere Kunden. "Wir müssen an Syrien festhalten", sagt Tschemesow. Syrien sei ein "Lackmustest für alle arabischen Länder. Wer wird sonst noch übrig bleiben, wer wird noch mit uns zusammenarbeiten?"

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten