Einheimische Helfer der Bundeswehr In Afghanistan bedroht - in Deutschland unerwünscht

Goethe-Institut-Mitarbeiterin Siddiqi: "Was bringt die Zukunft für uns Frauen?"
Foto: Hasnain KazimEs gibt da eine Geschichte, die man sich dieser Tage in Kabul gern erzählt. Im Entwicklungsministerium (BMZ) in Berlin trafen Vertreter von Organisationen, die in Afghanistan arbeiten, auf Ministerialbeamte und klagten ihr Leid. Afghanische Mitarbeiter würden bedroht, die Sicherheitslage sei schlecht und die Furcht groß, dass sich die Warlords bald wieder bekämpfen.
Einem BMZ-Referenten platzte der Kragen: Man solle "jetzt mal aufhören mit dem Rumgeheule", er sei schließlich gerade erst in Afghanistan gewesen. "Alles war sehr sicher dort", ließ er die verdutzten Zuhörer wissen. Ende der Diskussion. Das BMZ widerspricht dieser Geschichte zwar, solche Worte seien nicht gefallen, aber Teilnehmer der Runde bestätigen das Gegenteil.
Emad* lacht. "Selten so einen Unsinn gehört", sagt er. "Aber leider ist diese Ansicht unter Deutschen, die hier in Afghanistan arbeiten, weit verbreitet." Emad ist seit ein paar Jahren Übersetzer für die Bundeswehr in Kabul. Er spricht nahezu akzentfrei Deutsch, seine Muttersprache ist Dari, er versteht aber auch ein bisschen Paschtu.
Mit Journalisten darf er nicht sprechen. "Nur ausgewählte afghanische Mitarbeiter dürfen mit der Presse reden", sagt er. "Die, die auf Linie sind." Er kommt deshalb in ein unscheinbares Teehaus zum Gespräch, am Stadtrand von Kabul, wo kaum Ausländer hinkommen, weit weg von seinem Arbeitsplatz.
Drohanrufe von Extremisten
"Der Nato-Einsatz ist gescheitert", sagt er, und man ahnt, dass er seinen Job los wäre, wenn seine Vorgesetzten wüssten, was er da erzählt. "Deshalb will man so schnell wie möglich raus aus Afghanistan und den Einsatz zugleich als Erfolg verkaufen." Von den ursprünglichen Zielen, nämlich die Taliban zu besiegen, Demokratie nach Afghanistan zu bringen und die Frauenrechte zu stärken, sei "so gut wie nichts" erreicht worden.
Seit ein paar Monaten bekommt Emad Drohanrufe. Es ist immer eine andere Männerstimme, die ihm vorwirft, er sei ein "Sklave des Westens", ein "dreckiger Verräter". "Die sagen Sachen wie: 'Wir wissen, wo deine Eltern leben'. Anfangs habe ich das ignoriert, aber inzwischen habe ich Angst." Außer seinen Eltern und seinen Geschwistern hat er niemandem erzählt, dass er für die Bundeswehr arbeitet. "Ein paar Mal habe ich aber deutsche Offiziere bei Terminen begleitet, und da haben mich natürlich Leute gesehen."
Emad würde am liebsten nach Deutschland auswandern - und Eltern und Geschwister mitnehmen. Von einem Offizier, den er um Hilfe bat, hat er seit Wochen nichts mehr gehört. Am Osterwochenende demonstrierten etwa 35 ehemalige Übersetzer der Deutschen vor dem Feldlager in Kunduz und forderten Schutz für sich und ihre Familien - aus Angst vor den Taliban. Emad sagt: "Wir haben den Deutschen jahrelang geholfen. Aber jetzt sind wir plötzlich die unerwünschten Helfer."
Afghanen beklagen, kein Visum zu bekommen
Das Auswärtige Amt, das Verteidigungs- und das Entwicklungsministerium verweisen auf das "für das Thema Einwanderung zuständige" Innenministerium. Dort heißt es, die Bundesregierung sei sich der "besonderen Verantwortung für die afghanischen Ortskräfte bewusst". Sie unterstünden der "Fürsorge ihrer Dienststelle", und könnten sich "jederzeit" an sie wenden, "wenn sie sich um ihre berufliche und persönliche Zukunft sorgen oder gar durch politisch-extremistische Kräfte im eigenen Land bedroht fühlen".
Doch um die "nachhaltige Entwicklung" und den "wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans" zu fördern, wolle man den Ortskräften vor allem dabei helfen, "alternative Beschäftigungen in Afghanistan zu finden". Schließlich hätten sie eine "besondere Qualifikation". Zudem hätten sich die afghanische Regierung und das Parlament "deutlich gegen eine Aufnahme von Ortskräften in Deutschland" ausgesprochen, das müsse man "ernst nehmen".
Man müsse also "von Einzelfall zu Einzelfall" prüfen, ob jemand "nachweislich" bedroht werde. Wie das gehe, dazu wolle man nichts sagen. Zu den konkreten Fällen werde man sich "aus Gründen der Sicherheit und des Persönlichkeitsschutzes" nicht äußern.
Rund 1600 Afghanen arbeiten derzeit für deutsche Einrichtungen, davon etwa 1350 für die Bundeswehr. Länder wie die USA und Kanada haben umfangreiche Aufnahmeprogramme für ihre Mitarbeiter aufgelegt; Afghanen, die für das US-Militär arbeiten, bekommen vertraglich zugesichert, dass sie nach ein paar Jahren in den USA leben dürfen.
Für Deutschland erhalten viele Afghanen nicht einmal mehr ein einfaches Visum. "Man muss immer mehr Dokumente einreichen, Dinge, die belegen, dass man nicht auf Dauer in Deutschland bleiben will", sagt Frozan Siddiqi, 32. Dieses Misstrauen der Deutschen empfindet sie als verletzend. Siddiqi arbeitet seit elf Jahren beim Goethe-Institut in Kabul und spricht fließend Deutsch. Sie wurde in Kabul geboren, wuchs dort während der sowjetischen Besatzung auf, floh Mitte der Neunziger nach Pakistan, als die Taliban an die Macht kamen, und kehrte nach dem Sturz der Extremisten zurück. "Ich bin ein Kriegskind", sagt sie.
Niemand will ein Scheitern in Afghanistan eingestehen
"Seit zwei, drei Jahren frage ich mich, ob ich nicht nach Deutschland gehen soll." Denn die Lage in Afghanistan verschlechtere sich spürbar. "Man spürt ein großes Misstrauen gegenüber allen Ausländern und allen, die für ausländische Organisationen arbeiten", sagt sie. Die Leute seien im Umgang mit ihr immer kritischer: "Mit wem arbeitet sie zusammen? In welches Auto steigt sie? Wie kleidet sie sich?" Viele könnten sich kaum vorstellen, was eine Frau den ganzen Tag in einem Büro von Ausländern mache.
Kaum jemand ahnt, was passiert, wenn die Nato-Truppen abziehen. "Welche Rechte werden wir Frauen haben, wenn die Taliban an Einfluss gewinnen?", fragt Siddiqi. Was, wenn wieder Krieg ausbricht zwischen den Taliban und den unterschiedlichen nicht-paschtunischen Gruppen? Wird die Nordallianz an einem Strang ziehen oder sich gegenseitig zerfleischen? Werden Indien und Pakistan in Afghanistan einen Stellvertreterkrieg führen? Wie werden andere Mächte wie Iran, China, Russland ihren Einfluss in dem Land geltend machen?
Die Bundesrepublik steckt in einem Dilemma: Verweigert sie den afghanischen Mitarbeitern ein Leben in Deutschland, liefert sie sie womöglich den Extremisten aus. Verteilt sie großzügig Einreisegenehmigungen, ist das ein Eingeständnis, in Afghanistan gescheitert zu sein. Eine Niederlage am Hindukusch aber will niemand zugeben.