Afghanistan-Abkommen Nato drängt Karzai zur Unterschrift

Im Streit über das Afghanistan-Abkommen verliert die Nato die Geduld mit Präsident Hamid Karzai. Außenminister Westerwelle drängt Kabul zur zügigen Unterschrift. Die USA drohen offen mit dem Totalabzug.
Afghanistans Präsident Karzai: "Gebot des partnerschaftlichen Umgangs"

Afghanistans Präsident Karzai: "Gebot des partnerschaftlichen Umgangs"

Foto: Aref Karimi/ AFP

Berlin/Brüssel - Der Endlos-Streit um die formalen Truppenabkommen für die Nato-Nachfolgemission ab 2014 in Afghanistan zwischen dem Bündnis und dem Präsidenten Hamid Karzai eskaliert. Vor dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Dienstag in Brüssel drohten sowohl der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen als auch der amerikanische Nato-Botschafter bereits offen mit einem Abbruch der Planungen für die Mission, die mit Trainern und sehr viel Geld die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützen und den Rückfall des Landes ins Chaos nach dem Abzug der Nato-Kampftruppen verhindern soll. Ohne eine schnelle Unterschrift, so die beiden Top-Diplomaten klipp und klar, werde es keine Post-2014-Mission geben.

Auch die Bundesregierung drängte Karzai zu einer raschen Unterschrift unter das über Monate mühsam verhandelte Abkommen mit den USA, das dann als Blaupause für ein ähnliches Truppenstatut für alle anderen Nato-Länder dienen soll. "Die Sicherheitsabkommen mit den USA und dann mit anderen Partnern, auch mit uns, müssen jetzt zügig umgesetzt werden", sagte Außenminister Guido Westerwelle SPIEGEL ONLINE vor der Abreise nach Brüssel. Ohne die Unterschrift von Karzai sei es nicht möglich, "die Zeit post 2014 vernünftig planen zu können". Westerwelle mahnte in Richtung Karzai, die Unterschrift sei "nicht nur wichtig für unsere Vorbereitungen, sondern auch ein Gebot des partnerschaftlichen Umgangs miteinander".

"Wir hoffen, dass Karzai diese Drohung versteht"

Was Westerwelle noch halbwegs diplomatisch ausdrückte, illustriert den Grad der Zerrüttung zwischen der Nato und Karzai. Seit Monaten ziert sich der Präsident, die formalen Voraussetzungen für die weitere Präsenz von Militärtrainern im Land zu bestätigen und hält so den gesamten Planungsapparat der Nato auf. Deswegen droht die Nato nun offen mit dem Ende der gesamten Unterstützung.

In Briefings für Journalisten machten Nato-Diplomaten am Montag ungewöhnlich offen klar, dass es ohne die internationale Militärpräsenz nach 2014 auch die Finanzhilfen in Höhe von rund vier Milliarden US-Dollar pro Jahr für den Unterhalt der afghanischen Armee und Polizei nicht geben werde. "Wir hoffen, dass Karzai diese Drohung versteht", sagte ein Top-Nato-Mann.

Für die Planer der Nato wird die Zeit langsam knapp. Zwar soll die Nachfolgemission mit dem euphorischen Namen "Resolute Support" mit einer Truppenstärke von 8000 bis 12.000 Mann erheblich kleiner werden als die noch laufende Operation Isaf, gleichwohl brauchen die Logistiker spätestens bis Anfang des kommenden Jahres ein klares Signal, ob sie die aktuelle Mission nur massiv schrumpfen oder ganz auflösen müssen.

Eigentlich hatten die Strategen schon im Sommer auf eine Einigung mit Karzai gehofft, der aber torpedierte das Abkommen mit immer neuen Forderungen und Einwänden. Noch am Montag hieß es aus dem Präsidentenpalast, man warte auf weitere Zugeständnisse aus Washington, dann erst könne man wieder über das Abkommen reden.

Selbst geduldige Diplomaten finden für die Winkelzüge Karzais mittlerweile kaum mehr eine Erklärung. Zunächst hieß es verständnisvoll, dass sich der stolze Paschtun eine möglichst breite Zustimmung im eigenen Land für die weitere Präsenz von Ausländern holen wolle, um nicht als Gefolgsmann Washingtons dazustehen. Nachdem aber die Loya Jirga, die traditionelle Stammesversammlung der afghanischen Regionen, dem Abkommen zustimmte und Karzai immer noch nicht unterschrieb, gibt es kaum noch eine logische Erklärung für das Verhalten des Präsidenten. So verzweifelt sind Kenner der zähen Gespräche, dass sie die Psychologie bemühen, um sich den einstigen Partner des Westens noch irgendwie zu erklären.

USA warnen Karzai vor tödlichem Dominospiel

In den USA ist man derweil schon zum Prinzip der offenen Erpressung übergegangen, einer in Afghanistan durchaus üblichen Methode. So drohen Diplomaten in Hintergrundgesprächen für den Fall, dass Karzai in Sachen Truppenstatut nicht schnell nachgibt, nicht nur mit einem kompletten Abzug der US-Soldaten und dem Ende des Geldsegens. Vielmehr gestalte sich die Zukunft Karzais bei einem Scheitern des Abkommens wie ein tödliches Dominospiel, so ein Nato-Mann. "Zuerst gehen unsere Soldaten, es kommt kein Geld mehr, dann wird es zu unsicher, unsere Botschaft offen zu halten", spekuliert er, "und irgendwann muss Herr Karzai in seinem eigenen Land um sein Leben fürchten."

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