Afghanistan-Autor Lindemann Ein Soldat klagt an
Berlin - Natürlich, jederzeit würde er wieder nach Kunduz reisen. Dann lacht Marc Lindemann und sagt: "Aber nicht mehr mit der Bundeswehr."
Allerdings scheint wegen des Buchs, das Lindemann am Donnerstag in Berlin vorstellte, ein weiterer Bundeswehreinsatz für den Hauptmann der Reserve ohnehin kaum vorstellbar. "Unter Beschuss - Warum Deutschland in Afghanistan scheitert" ist eine drastische Abrechnung mit dem Einsatz am Hindukusch. "Die Sicherheit war nie schlechter seit 2001", sagt Lindemann.
Der Autor wisse, wovon er spricht, sagt die SPIEGEL-Reporterin und Afghanistan-Kennerin Susanne Koelbl bei der Buchvorstellung: Lindemann war 2005 und 2009 als Nachrichtenoffizier in Kunduz. Er hat Kontakt zu den Einheimischen gesucht, ist in die Dörfer gefahren, hat Spitzel angeworben. Den Kontakt zu Leuten mit solcher Erfahrung verhindere die Bundeswehr normalerweise aus gutem Grund, sagt Koelbl. "Sehr lohnend" nennt sie die Lektüre des Buchs. Aber die Reporterin sagt genauso deutlich, "dass ich einiges davon nicht unproblematisch finde".
Marc Lindemann, 32, ist ein schlanker junger Mann, an diesem Tag trägt er einen dunklen Anzug und Krawatte. Aber Lindemann ist eben auch einer, der offenbar das Abenteuer suchte - und es in fand. Vor 100 Jahren hätte er sich nach seinem Studium wohl für eine Mission in einer deutschen Afrika-Kolonie gemeldet. Im Januar 2009 sagt Lindemann: "Man möchte eben mal in einen Einsatz." Patriotismus sei bei seiner Entscheidung für Afghanistan sicher auch dabei gewesen, Interesse an den Menschen am Hindukusch dagegen kaum. "Das Wort Abenteuer passt schon ganz gut", sagt er.

Hauptmann Lindemann: Als Nachrichtenoffizier in Afghanistan
"Meine Zeit in der Bundeswehr gehört zu den schönsten Abschnitten meines Lebens" heißt es im Epilog seines Buchs. "Die Freundschaften, die ich dort schloss, währen mittlerweile schon über zwölf Jahre und werden auch weiterhin bestehen."
"Das Glück war unser treuester Gefährte"
Aber Lindemann beschreibt auch, wie Kameraden sterben. Wie sie von Panzerfäusten zerrissen werden. Er erzählt von der Ohnmacht der Soldaten im Bundeswehrlager Kunduz, das zuletzt immer häufiger beschossen wurde. "Das Glück war in den Monaten unser treuester Gefährte und oft nur in Zentimetern oder Sekunden messbar", schreibt Lindemann.
Er sagt: "Ich will eine Stimme im Auftrag der Soldaten sein." Jener Kameraden in Afghanistan, deren Sicht Lindemann in etwa so skizziert: Karriereoffiziere um sie herum, unfähige Bundeswehrplaner in Deutschland, dazu feige Politiker an der Heimatfront - und eine ignorante Gesellschaft.
Diese Analyse gilt für den Reserve-Hauptmann auch bei der Kunduz-Affäre: Das von Oberst Georg Klein am 4. September 2009 angeordnete Bombardement zweier Tanklaster hält er nach wie vor für richtig. Mehrere Dutzend Zivilisten starben bei der Militäraktion, seit diesem Donnerstag beleuchtet ein Bundestags-Untersuchungsausschuss die Vorgänge. "Wenn die Regeln das nicht hergeben, dann finde ich die Regeln falsch", sagt Lindemann.
Man wünsche sich bei der Lektüre des Buchs ab und an, sagt SPIEGEL-Frau Koelbl, "dass eine gewisse Distanz in der Sache dargestellt wird". Aber genau das will der Autor offenbar nicht. Sein Buch ist eine Anklage.
"Allein die Wahl der Vokabeln, die der ehemalige Verteidigungsminister auf seinem Truppenbesuch im März 2009 wählte, war eine Unverschämtheit", schreibt Lindemann. CDU-Mann Jung sagte damals den Satz: "Ich habe den Eindruck, dass die Dinge gut vorangehen." In Wirklichkeit gehe am Hindukusch seit langem nichts mehr gut voran, sagt Lindemann.
Kritik am Entwicklungshilfeministerium - Lob für Guttenberg
Zu gering sei die Zahl der deutschen Soldaten, zu wenig durchdacht aber vor allem die Idee hinter dem Militäreinsatz. Hart geht der Hauptmann der Reserve deshalb auch mit der bisherigen Haltung des Bundesentwicklungshilfeministeriums ins Gericht. Stabilität könne in Afghanistan nur durch das Vertrauen der Einwohner erreicht werden - und dabei hätten das Ministerium und seine Organisationen weitestgehend versagt. "Wenn die Bundeswehr einen Bereich gesichert hat, können nur infrastrukturelle Sofortmaßnahmen den Menschen zeigen, dass es lohnender ist, sich auf unsere Seite zu schlagen", heißt es im Buch. Der neue Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel dürfte das gern lesen. FDP-Mann Niebel will die Aufgaben seines Hauses am Hindukusch ohnehin stärker an die Bundeswehr koppeln.
Doch der wahre Afghanistan-Hoffnungsträger ist für Autor Lindemann Verteidigungsminister - trotz dessen Kehrtwende in Sachen Kunduz-Bombardement. "Ich habe einen guten Eindruck von Guttenberg", sagt Lindemann. Im Buch schreibt er über den CSU-Politiker: "Wie angenehm es doch ist, endlich einen Mann mit Anstand und gutem Benehmen an der Spitze des Verteidigungsministeriums zu haben." Auch dessen avisierte Bundeswehr-Strukturreform lobt Lindemann.
Ganz anders sein Urteil zu Wolfgang Schneiderhan, dem von Guttenberg geschassten Generalinspekteur. "Schneiderhan hat in den Tagen nach dem 4. September eine unglaublich schlechte Figur abgegeben", sagt er. Der Generalinspekteur hätte nach dem Bombardement sofort nach Afghanistan fliegen müssen, glaubt Lindemann, "aber er hat seine Berliner Deckung ums Verrecken nicht verlassen wollen".
"Wird der eigentlich von Guttenberg bezahlt?", raunt da ein Journalist zu seinem Nebenmann.