Afghanistan Bush verlangt von Nato mehr Einsatz - Streit in Deutschland

US-Präsident Bush hat mehr Verantwortung von den Nato-Alliierten in Afghanistan gefordert. In Deutschland dagegen wachsen nach dem Anschlag auf die Bundeswehr Zweifel an der militärischen Gesamtstrategie - aber Verteidigungsminister Jung zeigt sich unbeirrt.

Crawford/Berlin - Bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer auf seiner Ranch in Texas zeigte sich George W. Bush unzufrieden mit der Weigerung zahlreicher Nato-Länder, Truppen für Kampfeinsätze in Afghanistan bereitzustellen. Er wolle die Partnerländer "überzeugen, dass sie eine größere Last übernehmen müssen und dass alle die gleichen Risiken tragen müssen", sagte Bush.

Die meisten Teilnehmer der Nato-Mission in Afghanistan (Isaf) haben den Einsatz ihrer nationalen Kontingente beschränkt - so etwa die Bundeswehr, die nicht an den Kampfeinsätzen in den Taliban-Hochburgen im Süden des Landes beteiligt ist. Die dortige Offensive gegen die radikalislamische Miliz wird vor allem von US-Truppen mit britischer und kanadischer Verstärkung getragen. Innerhalb der Nato werben die USA seit längerem dafür, dass sich mehr Länder an dem gefährlichen Einsatz beteiligen.

Bush und De Hoop Scheffer äußerten bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz Bedauern über die gestiegene Zahl der zivilen afghanischen Opfer. Bush betonte, dass die Kampftaktik der Taliban daran Schuld sei. "Die Taliban umgeben sich mit unschuldigen Zivilisten", sagte der Präsident. Er trauere mit den afghanischen Familien, die durch die Einsätze unschuldige Angehörige verloren haben. Allein im vergangenen Monat waren bei Lufteinsätzen der Nato in Afghanistan mehr als 70 Zivilisten getötet worden.

Zuvor hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) nach dem Anschlag auf deutsche Soldaten in Kunduz Forderungen nach einem Abzug der Bundeswehr aus dem Land abgelehnt: "Wenn wir jetzt einfach abziehen würden und den Rückfall in das Ausbildungszentrum für den Terrorismus wieder in Kauf nehmen würden, würde dies auch zusätzlich unsere Sicherheit gefährden", sagte Jung heute im Deutschlandfunk.

Jung sprach sich dafür aus, die deutsche Strategie der "vernetzten Sicherheit" in Nordafghanistan auf das ganze Land auszuweiten. Nötig sei dazu auch der Kontakt zur Bevölkerung, um Vertrauen zu gewinnen. Trotz des Attentats würden die deutschen Soldaten vor Ort auf die Bevölkerung zugehen. "Wir dürfen uns nicht einigeln", hob Jung hervor. Allerdings habe er schon vor längerer Zeit angeordnet, dass die Bundeswehr nur noch in geschützten Fahrzeugen unterwegs sein dürfe. Zugleich forderte der Minister, bei Anti-Terror-Aktionen der internationalen Streitkräfte dürfe die Zivilbevölkerung nicht getroffen werden.

Jungs Sprecher Thomas Raabe erklärte, vor Ort in Kunduz gelte bereits die höchste Sicherheitsstufe. Mehr als 90 Prozent der Fahrzeuge seien gepanzert, die Patrouillen würden unregelmäßig durchgeführt. Noch keine Bestätigung gab es vom Auswärtigen Amt für eine Reise von Minister Frank-Walter Steinmeier nach Afghanistan, die Jung am Samstag angekündigt hatte. Sprecher Martin Jäger sagte lediglich, der Minister plane schon "seit längerem" eine Reise nach Afghanistan.

Jung sagte heute, er rechne mit einer Verlängerung des Bundestagsmandats im Oktober. Er begründete das unter anderem damit, dass die "Strategie der vernetzten Sicherheit" im ganzen Land zu greifen beginne. Dabei geht es um die Kombination von Terrorbekämpfung und Aufbauhilfe.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer, nannte das Augenwischerei. Der Anschlag "zeigt auf dramatische Weise das Gegenteil. Die fortschreitende Verquickung der Einsätze von OEF- und Isaf-Truppen unterminiert die Akzeptanz deutscher Soldaten und die Erfolge ziviler Aufbauarbeit auch ganz gefährlich im Norden", meinte Schäfer. "Erste Stimmen" aus SPD und Grünen, das Ende von "Enduring Freedom" (OEF) zu fordern, griffen zu kurz. "Zu sehr hat sich die Isaf durch ihre OEF-Unterstützung selbst diskreditiert." Schäfer forderte in einer Erklärung eine "umfassende Exit-Strategie".

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner sagte der "Bild"-Zeitung, seine "Zweifel am Sinn der Mission" seien "eher gewachsen". Dagegen sprach sich SPD-Verteidigungsexperte Jörn Thießen für eine Fortsetzung der Mission aus: Wenn Afghanistan sich selbst überlassen würde, würde es "in Monatsfrist wieder zu einem Ausbildungslager für Terroristen", sagte Thießen dem Nachrichtensender n-tv. "Wir scheitern in manchen Punkten, aber wir haben auch gewisse Erfolge." Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, sagte vor einer Sitzung des SPD-Präsidiums in Berlin, die verstärkten Taliban-Angriffe dürften nicht dazu führen, dass das Konzept der Aufbauhilfe aufgegeben werde. Eine veränderte Strategie sei eher bei den US-Truppen in Afghanistan notwendig.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, die Gesamtstrategie stärker am zivilen Ausbau zu orientieren: "Wir sind seit längerer Zeit der Meinung, dass wir die Gesamtstrategie ändern müssen." Der Akzent müsse "wesentlich stärker auf den zivilen Aufbau gelegt werden". Auch Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele forderte auf N24, die Strategie in Afghanistan müsse "grundlegend" verändert werden. "Man muss mit allen verhandeln, auch mit den Taliban." Im Blick sein müsse außerdem eine "Ausstiegsstrategie" für die Bundeswehr.

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhad Gertz, sagte im NDR, es gebe "Zweifel an der Sinnhaftigkeit" des gemeinschaftlichen Vorgehens im gesamten Afghanistan. Alle müssten gemeinsam "die notwendigen Projekte zu Ende bringen". Von ihnen seien einige "bislang arg vernachlässigt worden". Es sei jedoch die richtige Strategie, in Afghanistan auf die Menschen zuzugehen.

Ernst Uhrlau, Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), warnte nach dem Selbstmordanschlag auf die Bundeswehr in Afghanistan vor dem Terrorpotenzial der von dort zurückkehrenden islamistischen Kämpfer. "Wir müssen damit rechnen, dass Leute nach Afghanistan oder in den Irak zum Kämpfen gehen und dann zurückkommen", sagte Uhrlau der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Sie müssten dabei nicht nach Deutschland einreisen, "damit es für uns gefährlich wird."

Über Drohungen islamistischer Terrornetzwerke gegen die Bundesrepublik könnten die Deutschen auch "nicht überrascht sein", sagte Uhrlau weiter. "Deutschland steht seit langem im Zielspektrum von al-Qaida." Jeder irre, der glaube, dass Deutschland nicht bedroht sei, weil es sich nicht am Irak-Krieg beteiligt habe.

Nach Angaben eines Sprechers des Verteidigungsministers werden die beiden schwer verletzten Soldaten weiter "intensiv-medizinisch" behandelt. Die beiden anderen, leicht verletzten Soldaten konnten das Krankenhaus inzwischen wieder verlassen. Die vier verletzten Soldaten waren am späten Sonntagabend an Bord eines Lazarett-Flugzeugs auf dem militärischen Teil des Flughafens Köln-Wahn gelandet und von dort nach Koblenz gebracht worden. Ein fünfter Verletzter blieb in Afghanistan. Er will seinen Einsatz in Kunduz fortsetzen.

Bei dem Anschlag auf einen Markt in der nordafghanischen Stadt Kunduz waren am Samstag drei deutsche Soldaten getötet worden.

hen/AP/AFP

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