Bundeswehr in Afghanistan Mission Augen zu und durch

Transfer zum Flughafen Kunduz: Bundeswehrsoldaten warten auf ihre Heimreise
Foto: Michael Kappeler/ dpaZwölf Jahre ist es her, dass man auf dem Petersberg bei Bonn über den Wiederaufbau Afghanistans, einen voll funktionsfähigen Staat, Demokratie und Mädchenschulen diskutierte. Vom damaligen Optimismus ist wenig übrig geblieben. Heute ist das wichtigste Schlagwort wohl: Abzug 2014.
Die internationale Gemeinschaft habe es nicht geschafft, Afghanistan zu politischer Stabilität und wirtschaftlicher Überlebensfähigkeit zu verhelfen, urteilte der amerikanische Think Tank "International Crisis Group" anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Beginns der Mission. Ausgelöst wurde der internationale Einmarsch durch die Qaida-Anschläge vom 11. September 2001, die von Afghanistan aus geplant wurden.
Musste es so kommen? Was genau ist wann schief gelaufen, und wer hat welchen Anteil dazu beigetragen? Es sind große Fragen, um deren Aufklärung sich bisher wenige bemüht haben - vor Ort zu forschen ist gefährlich.
Der Afghanistan-Experte Philipp Münch will ein Puzzlestück zur Aufklärung dieser Fragen beitragen. Ihm geht es darum herauszufinden, welche Rolle die Bundeswehr in Afghanistan gespielt hat. Zwischen März 2011 und Dezember 2012 hat er Interviews in Kabul, Badachschan und Kunduz geführt und seine Ergebnisse nun in einer Studie veröffentlicht, über die die "taz" berichtete.
Warlords profitierten von den internationalen Aufträgen
Auf wen soll man sich stützen, in einem Land, in dem Radikale, die mit al-Qaida verbündet sind, gerade mit Gewalt zurückgedrängt wurden, und in dem die lokalen Eliten oft Männer sind, die unrühmliche Rollen im Bürgerkrieg und im Drogenhandel gespielt haben? Arbeitet man mit korrupten Warlords zusammen, mit Drogenbaronen? Wo zieht man Grenzen?
Schwierige Fragen, die sich die Bundeswehr lieber nicht stellte, glaubt Münch. Teils hätten den Soldaten auch schlicht die nötigen Informationen und Rückendeckung gefehlt: Über Nordafghanistan und die wichtigen Männer dort sei der Regierung in Berlin 2002 zu wenig bekannt gewesen. Noch dazu war der Einsatz bei Deutschlands Wählern nicht gerade populär. Die Politik hätte den Bundeswehrsoldaten signalisiert: Bekommt bloß keinen Ärger.
Also verhielten sich die deutschen Soldaten den örtlichen Machthabern gegenüber neutral. Doch ihr Nichtstun sei einer Stellungnahme gleichgekommen, schreibt Münch. Die Afghanen verstanden dies als implizite Unterstützung der Warlords. Diese hätten ungestört ihre Macht konsolidieren und noch dazu von Aufträgen der ausländischen Militärs und Entwicklungshelfer profitieren können.
Mohammed Daud Daud etwa, der spätere Polizeichef Nordafghanistans, soll seine Finger mit im Drogenhandel gehabt haben. Dennoch wurde er hofiert. Die Deutschen machten ihn sogar zum Berater eines Entwicklungshilfeprojektes zur Rechtsstaatförderung, organisiert von der staatlichen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Als Veteran der mit dem Westen verbündeten Nordallianz und Freund des damaligen afghanischen Verteidigungsministers Mohammed Fahim galt er als Ansprechpartner, den man auf keinen Fall verärgern durfte. Daud wurde 2011 von den Taliban ermordet.
Ein Sprecher der Bundeswehr verwies angesichts der Vorwürfe auf die Zuständigkeit Berlins. Dort wollte man nicht auf sich sitzen lassen, dass man keine Ahnung von Nordafghanistan gehabt hätte. "Durch das jahrelange Engagement gibt es bei allen Beteiligten intensive Kenntnisse über die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten", hieß es am Dienstag in Regierungskreisen. Zu den Anschuldigungen, man habe Warlords begünstigt, will das Verteidigungsministerium sich erst am Mittwoch äußern.
Entwicklungshelfer spotteten über "Operation eyes wide shut"
Deutschland ist an der internationalen Mission in Afghanistan maßgeblich beteiligt. Es stellt mit derzeit 4400 Mann die meisten Soldaten nach den USA (60.000) und Großbritannien (7900). Eine detaillierte Auflistung der Truppen nach Ländern findet sich hier. Für den Norden des Landes hat Deutschland innerhalb der internationalen Mission Isaf die Führungsverantwortung übernommen.
Kernstück der internationalen Afghanistan-Mission sind die "PRTs", die regionalen Wiederaufbauteams, die seit 2002 in Afghanistan eingesetzt werden, seit 2003 auch mit deutscher Beteiligung. Diese zivil-militärischen Gruppen sollen nach einem "ganzheitlichen Konzept" Sicherheit, Stabilität und Entwicklung voranbringen - große Worte, die für die Praxis nicht mit konkreten Anweisungen verbunden wurden. Ein Problem für die daran beteiligten Soldaten.
Der Einsatz der deutschen PRTs in Kunduz und Badachschan wurde 2012 für erfolgreich beendet erklärt. Auf diese zwei Provinzen konzentriert sich Philipp Münch in seiner Studie.
Es sind Schwierigkeiten, vor denen nicht nur die Deutschen standen. US-Oberst Frederick Tawes hatte vor den Bundeswehrsoldaten mit seinen Männern in Kunduz Lager bezogen. Über ihn spotteten internationale Entwicklungshelfer gegenüber SPIEGEL ONLINE: Das Motto des Amerikaners sei Operation "eyes wide shut" gewesen - bewusstes Wegsehen bei den örtlichen Drogenbaronen.