Geheimbericht zum US-Einsatz in Afghanistan Der Krieg und die Lügen

Der Afghanistankrieg, ein Desaster: Ein 2000-Seiten-Bericht entlarvt, wie US-Regierung und Militär den Konflikt systematisch schönredeten. Nun ist das Dossier veröffentlicht worden - dank einer Klage.
US-Soldat in Afghanistan (Archivfoto): Was hat der Einsatz gebracht

US-Soldat in Afghanistan (Archivfoto): Was hat der Einsatz gebracht

Foto: Rahmat Gul/AP

John Sopko hatte einen undankbaren Job. Der Sonder-Generalinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans (SIGAR) sollte ein militärisches Desaster ergründen, das es offiziell gar nicht gibt.

Sopko und seine Mitarbeiter untersuchten den Afghanistankrieg - ein Konflikt, in dem die USA länger kämpfen als in jedem anderen ihrer Geschichte.

Seit 2001 sind US-Truppen in Afghanistan. Und Sopkos Team konstatiert, dass die mächtigste Militärmacht der Welt dort gescheitert ist, auch wenn die Verantwortlichen das nach außen nicht zugeben. Offiziell fertigt Sopko seine Berichte für den US-Kongress und veröffentlicht sie anschließend. Dieser Bericht aber sollte unbedingt geheim bleiben.

Die "Washington Post"  klagte jedoch auf die Herausgabe der Dokumente und gewann nach langem Rechtsstreit. In den "Afghanistan Papers" ist nun so schonungslos wie nie zuvor nachzulesen, in welchem Ausmaß die Öffentlichkeit über das Desaster in Afghanistan getäuscht und belogen wurde.

"Uns fehlte ein grundlegendes Verständnis von Afghanistan"

Sopkos Mitarbeiter haben Hunderte hochrangige Verantwortliche des Afghanistankriegs interviewt. Militärs und Berater sprechen darin erstmals ungeschützt und offen über ihre Erfahrungen. Kein einziger der Generäle oder hohen Beamten glaubte demnach während seines Einsatzes tatsächlich an einen positiven Verlauf der Operation oder gar einen Sieg. Trotzdem behaupteten sie alle öffentlich das Gegenteil.

Einer der wichtigsten Afghanistan-Berater um die Präsidenten George W. Bush und Barack Obama, Douglas Lute, offenbarte etwa: "Uns fehlte ein grundlegendes Verständnis von Afghanistan - wir wussten nicht, was wir taten. Wir hatten nicht den blassesten Schimmer."

Bis heute kostete die Operation in Afghanistan, der Kampf gegen die Taliban das Leben von 2400 US-Soldaten. 20.000 amerikanische Soldaten wurden verletzt, viele sind für immer entstellt. Der Einsatz verschlang eine Billion US-Dollar (etwa 900 Milliarden Euro) an Steuergeldern.

John Sopko: Entlarvender Bericht

John Sopko: Entlarvender Bericht

Foto: Charles Dharapak/ AP

Und wofür das alles? Die Erkenntnisse des Sopko-Berichts, ausgewertet von der "Washington Post", sind ebenso bestürzend wie profan.

  • Dan McNeill, der die US-Truppen in Afghanistan gleich zweimal kommandierte (2003/2004 und 2007/2008) sagte: "Es wurde viel geredet, aber es gab keinen Plan. Ich versuchte zu definieren, was 'gewinnen' heißt, aber das konnte mir niemand sagen."
  • Michael Flynn, Generalleutnant in Afghanistan und später Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Donald Trump: "Wir hatten keine Ahnung, was unsere Aufgabe war."
  • Christopher Kolenda, ein Armee-Oberst, mehrmals als Berater nach Afghanistan entsandt, wird zitiert: "Die afghanische Regierung unter Präsident Hamid Karzai … organisierte intern eine Kleptokratie. Die Kleptokratie wurde immer stärker und anstatt gut regieren zu wollen, ging es den Beamten immer mehr darum, die Kleptokratie aufrechtzuerhalten … Kleptokratie ist … wie Gehirnkrebs, es ist tödlich."

"Wer wird sagen, dass das alles umsonst war?"

In den vergangenen Jahren hatten Journalisten und Analysten immer wieder auf Antworten gedrängt. Warum gibt es trotz aller Bemühungen keine afghanische Armee und Polizei, die für Sicherheit im Land sorgen können? Und wie kam es zu diesem Ausmaß an Korruption zwischen amerikanischen Firmen und afghanischen Regierungsmitgliedern?

Die Antworten liegen nun auf dem Tisch. Sopko und seine 197 Mitarbeiter haben ohne Zweifel den umfassendsten Bericht zu einem Krieg erstellt, der nach 18 Jahren noch immer nicht zu Ende ist.

General Lute, der im Weißen Haus über Jahre als Afghanistan-Koryphäe galt, offenbart auch, warum keiner der Verantwortlichen die Wahrheit sagte. Niemand habe "das Ausmaß dieser Dysfunktion" darstellen wollen. Und er stellt eine Frage, auf die niemand eine Antwort geben mag: "Wer wird sagen, dass das alles umsonst war?".

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