Afghanistan-Strategie Sechs Schritte zur Lösung des Taliban-Problems

Taliban-Kämpfer im Osten Afghanistans 2007: "Die Lage ist kritisch"
Foto: © Stringer Pakistan / Reuters/ ReutersKann man mit den Taliban verhandeln? Ihre Anführer sitzen an sicheren Orten in Pakistan, aber sie haben im vergangenen Jahr ihre Angriffe auf den einst ruhigen Westen und Norden Afghanistans ausgedehnt. Mit ihnen ist nun landesweit zu rechnen. Die Taliban haben zudem Teile der afghanischen Armee und Polizei infiltriert - und sind nun in Institutionen vertreten, an die die USA ab Juli 2011 die Verantwortung abgeben wollen. In weiten Teilen des Landes sind Entwicklungsprojekte eingestellt worden. Die Hälfte der Uno-Mitarbeiter hat das Land verlassen - es ist für sie zu gefährlich geworden. Die Taliban haben auch ihre brutale Einschüchterungskampagne ausgedehnt: Mit dem Tod bedroht werden alle, die für die Regierung arbeiten, für Hilfsorganisationen, Frauengruppen oder die Uno.
Sowohl General Stanley McChrystal, Chef der Nato-Truppen in Afghanistan, als auch David Petraeus, Kommandeur des US Central Commands, haben erklärt, dass ein Erfolg in Afghanistan nicht mit bloßer Waffengewalt erreicht werden könne. US-Präsident Obama hat klargemacht, dass er al-Qaida vernichten will, aber bereit sein könnte, mit den Taliban zu verhandeln. In seiner Rede im Dezember 2009 in der US-Militärakademie West Point sagte Obama, er unterstütze den Versuch Kabuls, "mit denjenigen Taliban, die der Gewalt abschwören und die Rechte anderer achten, Abmachungen zu treffen".
Aber kann man mit den Radikal-Islamisten Verhandlungen führen? Für Gespräche mit den Taliban ist mehr als die verdeckte Mitarbeit der Geheimdienste nötig. Dringend benötigt wird eine öffentliche, politische und humanitäre Strategie, die für die Taliban attraktiv ist, die die Gewalt zurückdrängen kann und den Ärger derjenigen Afghanen beschwichtigt, die alle Kompromisse ablehnen. Die USA und die Nato haben im vergangenen Jahr viel über die Notwendigkeit einer derartigen Strategie gesprochen - und wenig erreicht. Für eine Versöhnung mit den Taliban und deren Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft müssen Vorbereitungen getroffen werden. Dazu gehören:
- Afghanistans Nachbarn und weitere Länder der Region müssen überzeugt werden, auf eine Versöhnung mit den Taliban - unter Führung der afghanischen Regierung - zu setzen.
- Die afghanische Regierung sollte dem Uno-Sicherheitsrat eine Liste mit Namen von Taliban-Führern übergeben dürfen. Sanktionen gegen diese Personen sollten aufgehoben und ihre Namen von den Listen der Terrorverdächtigen gestrichen werden. Dies gilt nur, wenn sie sich von der Gewalt und von al-Qaida lossagen. Russland und Indien haben bislang solche Anfragen blockiert.
- Der Uno-Sicherheitsrat muss der afghanischen Regierung per Resolution ein Mandat dafür geben, mit den Taliban zu verhandeln. Die USA, die Nato und die Uno müssen einen solchen Prozess unterstützen.
- Die Nato und afghanische Sicherheitskräfte müssen für die Sicherheit der zurückkehrenden Taliban und ihrer Angehörigen verantwortlich sein. Hinzu kommen internationale humanitäre Organisationen, beispielsweise das Uno-Flüchtlingskommissariat und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Sie sollten zusammen mit der afghanischen Regierung die Rückkehr der Taliban überwachen, Ausgleichszahlungen in die Wege leiten, sich um Wohnraum, Ausbildung und andere Aspekte der Wiederansiedlung kümmern.
- Einem Versöhnungskomitee unter Führung der afghanischen Regierung müssen ausreichend Mittel, Ausbildung und Personal zugeteilt werden. Das Komitee wird mit westlichen Kräften und humanitären Organisationen zusammenarbeiten und sich transparent wie umfassend um Sicherheit und Auskommen der rückkehrenden Taliban kümmern.
- Das pakistanische Militär muss dazu gebracht werden, den Rückkehrern Sicherheit und humanitäre Unterstützung zuzusichern. Pakistan und Saudi-Arabien müssen die Taliban dabei unterstützen, eine legale politische Partei zu gründen (wie andere afghanische Kämpfer vor ihnen). Sie sollten zudem einen neutralen Ort bieten, an dem Gespräche mit Taliban-Führern stattfinden können. Die USA sollten alle verbliebenen Gefangenen aus Guantanamo entlassen.
Sollte dies alles nicht rasch und öffentlich-transparent umgesetzt werden, könnten die Taliban zu dem Schluss kommen, es sei sicherer und besser für sie, die nächsten 18 Monate auszusitzen, auf den Abzug der Amerikaner zu warten - und dann zu versuchen, Kabul erneut zu erobern. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre ein neuer Bürgerkrieg die Folge, einer, den die Nato-Truppen nicht in den Griff bekämen.
Die Hauptforderung der Taliban ist, dass die ausländischen Truppen einen Zeitplan für ihren Abzug vorlegen. Da alle Taliban-Führer in Pakistan leben, wird der weitere Verlauf der Gespräche wesentlich davon abhängen, ob der pakistanische Geheimdienst mitspielt.
Ein Eingreifen Pakistans ist unwahrscheinlich
In den vergangenen Monaten haben sich angesichts dieser Lage die Spannungen zwischen den USA und Pakistan erhöht: Washington verlangt vom pakistanischen Militär, dass es die Führer der afghanischen Taliban, die in Quetta und Karatschi leben, "gefangen nimmt oder tötet" - ebenso ihre Verbündeten, wie Dschalaluddin Haqqani und Gulbuddin Hekmatjar, die sich in Nord-Wasiristan aufhalten. Pakistan entgegnet jedoch, es sei zu sehr damit beschäftigt, seine eigenen Probleme mit Taliban und Terroristen zu lösen. Seine Sicherheitskräfte seien überlastet.
In der Tat ist es unwahrscheinlich, dass Pakistan gegen die Führer der afghanischen Taliban in die Offensive geht. Schließlich sieht man in ihnen potentielle Verbündete nach einem Abzug der USA aus Afghanistan. Jedoch fürchten die pakistanischen Militärs den Rückzug der Amerikaner auch. Denn er könnte Bürgerkrieg und Chaos auslösen und zudem - so befürchtet es Pakistan - Indiens Einfluss in Afghanistan wachsen lassen.
Die internationale Gemeinschaft scheint aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre wenig gelernt zu haben. Zwar haben die USA und die Nato konstruktivere Wege der Aufstandsbekämpfung eingeschlagen. So schützen sie etwa dicht besiedelte Gebiete und Verbindungsstraßen und pumpen mehr Entwicklungshilfe in diese Enklaven. Aber viele Nato-Staaten weigern sich weiterhin, die Taliban massiv zu bekämpfen - entweder weil die Regierungen Vorbehalte haben oder weil ihr Einsatzbefehl defensiv ausgerichtet ist. Militärische Einheiten aus mächtigen Staaten wie Deutschland, Spanien und Italien benötigen, sobald es brenzlig wird, den Schutz der USA. Es überrascht deshalb nicht, dass die Taliban versuchen, schwerpunktmäßig die Streitkräfte derjenigen Staaten anzugreifen, die sie für schwach und halbherzig halten.
Die Lage ist kritisch. Eine Antwort auf die Situation muss grundlegender und umfassender ausfallen, als alles, was bisher geschehen ist.