
Türkische Offensive in Nordsyrien Kurden beklagen Vertreibung Hunderttausender aus Afrin

Protürkischer islamischer Kämpfer schleppt einen Mercedes durch Afrin
Foto: BULENT KILIC/ AFP
Im von türkischen Truppen und syrischen Milizen besetzten Afrin in Nordsyrien kommt es offenbar zu einem kurdischen Massenexodus, während islamistische Kämpfer die Stadt ausplünderten und Eigentum verwüsteten.
Wie ein Vertreter der kurdischen Verwaltung der Nachrichtenagentur Reuters sagte, sollen mehr als 200.000 Menschen aus der Stadt geflohen sein. Die Flüchtlinge würden sich außerhalb Afrins aufhalten und dort keinerlei Schutz haben, sagte Hevi Mustafa, hochrangiges Mitglied der kurdischen Regionalverwaltung in einem Telefonat mit der Agentur. Nach Uno-Angaben waren bis Sonntag bereits fast 100.000 Menschen in benachbarten Gebieten als Vertriebene registriert worden.
Unterdessen erklärte die türkische Regierung, ihre Truppen würden nicht dauerhaft dort bleiben. Regierungssprecher Bekir Bozdag erklärte, man werde die Region ihren "echten Besitzern" zurückgeben, ohne zu konkretisieren, wer damit gemeint ist.
Protürkischer islamischer Kämpfer schleppt einen Mercedes durch Afrin
Foto: BULENT KILIC/ AFPTürkisches Militär hatte am Sonntag die kurdische Großstadt Afrin nach wochenlanger Belagerung erstürmt. Die Offensive mit dem Namen "Olivenzweig" gegen die kurdischen YPG-Milizen, die Afrin bis dahin verteidigt hatten, wird von mit Ankara verbündeten islamistischen Milizen unterstützt.
Über die Truppen, die sich nun in der Stadt aufhalten, heißt es, sie würden Restaurants, Geschäfte und Häuser plündern. Das meldet neben kurdischen Quellen auch die Nachrichtenagentur AFP aus Afrin. Im Zentrum der Stadt waren AFP zufolge Autos, Laster und Traktoren zu sehen, die Nahrungsmittel, Elektrogeräte, Decken und Motorräder abtransportierten.
Bereits am Sonntag stürzten Islamisten die Statue eines kurdischen Nationalhelden. Ein Sprecher der Kurdenmiliz YPG sagte, die Männer hätten wie früher die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) auch Gebäude angezündet und religiöse Statuen zerstört.
Das Internationale Komitee des Rote Kreuzes (IKRK) fordert unterdessen einen ungehinderten Zugang zu den Hunderttausenden Flüchtlingen. Das IKRK müsse in Afrin arbeiten können, forderte dessen Präsident Peter Maurer nach einer zweiwöchigen Reise durch Syrien, den Irak und Iran.
Die Zivilisten hätten das Recht auf eine neutrale und unparteiische Hilfe und das Recht zu bleiben oder wegzuziehen. Die Hilfsorganisation Türkischer Roter Halbmond ist aus Sicht Maurers ungeeignet für den Einsatz in Afrin. "Die Glaubwürdigkeit eines in Afrin arbeitenden Türkischen Roten Halbmonds geht gegen null", sagte er.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Soldaten der von der Türkei unterstützten Freien Syrischen Armee (FSA) feiern Mitte März in Afrin vor einer Statue des Kawa, einer Gestalt aus der kurdischen Mythologie.
Kurz danach war die Staue vom Sockel gerissen. Aus Kreisen des kurdisch dominierten Militärbündnisses Demokratische Kräfte Syriens hieß es, die Zerstörung des Denkmals bedeute eine eklatante Verletzung der kurdischen Kultur und Geschichte.
Freudenschüsse in den Straßen von Afrin: Knapp zwei Monate nach dem Beginn der Offensive in Nordwestsyrien hatten das türkische Militär und verbündete Rebellen den Ort schließlich eingenommen.
Immer wieder fuhren Rebellengruppen jubelnd durch den Ort.
Ein von der Türkei unterstützter Rebell in Afrin: Die türkischen Streitkräfte teilten mit, das Gebiet werde nun von Minen und Sprengsätzen gesäubert.
Rebellen beim Triumphzug: Komplett abfinden wollen sich die vertriebenen kurdischen Einheiten mit dem militärischen Misserfolg aber offenbar nicht. Sie kündigten einen Kampf zur Befreiung der mehrheitlich kurdischen Region Afrin im Nordwesten Syriens an.
Panzer mit türkischer Flagge in Afrin.
Erdogan spottete über "Terroristen, die mit eingekniffenem Schwanz davongerannt" seien. Die Türkei hatte den Militäreinsatz gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordwestsyrien am 20. Januar begonnen. Sie sieht die YPG wegen ihrer engen Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK als Terrororganisation und begründet den Einsatz mit Selbstverteidigung.