Ahmadinedschads Sieg "Die Amerikaner müssen klare Angebote auf den Tisch legen"
SPIEGEL ONLINE: Mahmud Ahmadinedschad hat einen überwältigenden Wahlsieg errungen. Sind Sie überrascht?
Leverett: Nein. Ich wäre überrascht gewesen, wenn er verloren hätte. Die westlichen Medien haben die Begeisterung für seinen wichtigsten Herausforderer Hossein Mussawi grob überschätzt. Sie haben fast gar nicht mitbekommen, wie eindeutig Ahmadinedschad etwa als Sieger der TV-Debatte im Wahlkampf angesehen wurde. Bei amerikanischen und westlichen Politikern gab es viel Wunschdenken - und das hatte leider auch einen starken Einfluss auf die Medienberichterstattung.
SPIEGEL ONLINE: In Washington regen sich aber schon die ersten Stimmen, die offen Skepsis über die Resultate äußern.
Leverett: Ich bin auch ein bisschen überrascht, wie klar das Ergebnis ist. Aber eigentlich überzeugt mich das nur, dass die Wahl insgesamt regulär verlaufen ist. Schauen Sie sich die Unregelmäßigkeiten an, auf die Mussawi hinweist: dass es in einigen Wahlkreisen keine Wahlzettel mehr gab, dass einige Wahllokale nicht lange genug geöffnet blieben. All dies kann den Ausgang der Wahl nicht wirklich ändern. Wenn man das mit den Unregelmäßigkeiten bei der US-Präsidentschaftswahl in Florida im Jahr 2000 vergleicht, scheint es kaum gravierend.
SPIEGEL ONLINE: Ist trotzdem damit zurechnen, dass sich die wütenden Proteste enttäuschter Mussawi-Anhänger in Iran ausweiten?
Leverett: Die spannende Frage ist, ob Mussawi wirklich darauf beharren wird, dass er gewonnen hat - und ob er seine Anhänger zu Straßenprotesten aufruft. Abzuwarten bleibt auch, ob einflussreiche Mussawi-Unterstützer wie Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani ihn bei einem solchen Kampf unterstützen würden. Aber der kniffligste Punkt ist, ob amerikanische und westliche Politiker Ahmadinedschads Sieg anerkennen werden oder nicht.
SPIEGEL ONLINE: Sieht die Regierung in Washington das Wahlergebnis als einen Rückschlag bei ihrer diplomatischen Annäherung an Iran an?
Leverett: Wahrscheinlich. Aber das zeigt nur, wie verkehrt sie liegt. Politiker in Washington und anderen westlichen Hauptstädten denken, dass sich die aktuellen Spannungen um Personen drehen. Sie geben sich der Illusion hin, dass sich rasch etwas ändern wird, wenn die Gesichter in Teheran wechseln. Aber so funktioniert Iran nicht. Es ist ein System mit vielen verschiedenen Einflusszonen. Innerhalb dieses Systems hat sich aber ein Konsens zum nationalen Atomprogramm und der Antwort auf US-Angebote entwickelt. In diesem Punkt spielt der Ausgang der Wahl eigentlich keine Rolle. Jeder iranische Präsidentschaftskandidat würde das Nuklearprogramm vorantreiben.
SPIEGEL ONLINE: Einige Experten glauben freilich, dass Teheran für US-Gesprächsangebote nun aufgeschlossener sein könnte - schon um enttäuschte Mussawi-Anhänger versöhnlicher zu stimmen, die den strikten Konfrontationskurs mit Washington ablehnen.
Leverett: Das spiegelt nur wieder die Annahme wider, dass Ahmadinedschad die Wahl unter normalen Umständen niemals hätte gewinnen können. Das ist aber eine gefährliche Annahme. Tatsache ist: Ahmadinedschad hat gewonnen. Er ist sogar zu einem Dialog mit Washington unter bestimmten Umständen bereit, wie er schon erklärt hat. Aber seine Stellung ist nun stärker geworden. Die restlichen Führer im Land werden ihn unterstützen, ein Abkommen zur Nuklearfrage mit den USA zu schliessen, wenn der Kern dieses Abkommens im iranischen Interesse ist.
SPIEGEL ONLINE: US-Präsident Barack Obama schien den "robusten Dialog" im iranischen Wahlkampf direkt auf seine Ansprache an die muslimische Welt in Kairo zurückzuführen. Ist diese Art von öffentlichen Offerten nun auch bereits gescheitert?
Leverett: Diese Art von Diplomatie ist Zeitverschwendung. Es kommt auf die Substanz der US-Politik an. Davon hängt ab, ob man ein Abkommen hinbekommt oder nicht. Wenn die Amerikaner nicht klare Angebote auf den Tisch legen, nützen all die schönen Reden des Präsidenten nichts.
SPIEGEL ONLINE: Was wird Washington also jetzt tun?
Leverett: Eine Zeitlang wird das Weiße Haus wohl wie gelähmt sein und über die angeblichen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl reden. Unterdessen könnte Ahmadinedschad der US-Regierung mit einem eigenen Vorschlag zur Zukunft des iranischen Nuklearprogramms zuvorkommen.