AKW Temelin Haider - mal grün, mal Bin Laden

Beim Streit um das AKW Temelin gibt es gleich zwei Unsicherheitsfaktoren: das marode Kraftwerk in Südböhmen - und den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider, der mit einem Volksbegehren seiner Partei FPÖ die Aufnahme Tschechiens in die EU verhindern will. Seitdem herrscht Eiszeit zwischen Wien und Prag.

Wien - Eigentlich waren es Szenen, wie sie sich in den achtziger Jahren in der deutschen Widerstandsbewegung gegen die Atomkraft abspielten: Demonstranten in Atemschutzmasken und Politiker, die auf Anti-AKW-Plakaten vor den Gefahren der Kernenergie warnen. Doch Ort dieses Schauspiels war das österreichische Linz, es war keine Kundgebung der Alpen-Grünen, sondern das so genannte Neujahrstreffen der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ), und der Redner, der gegen das als Sicherheitsrisiko geltende tschechische Atomkraftwerk Temelin wetterte, war Jörg Haider, zurzeit FPÖ-Landeshauptmann von Kärnten und unumstritten heimlicher Chef des Koalitionspartners der Österreichischen Volkspartei (ÖVP).

Natürlich ist jemand wie Haider nicht über Nacht zum Anwalt der grünen Bewegung jenseits der Alpen geworden. Mit dem von seiner FPÖ initiierten Volksbegehren "Veto gegen Temelin", das 60 Kilometer von der Grenze stehende tschechische Atomkraftwerk, verfolgt er ein für ihn viel wichtigeres Ziel: den EU-Beitritt Prags durch ein Veto Österreichs zu verhindern.

"Rot-Weiß-Rot gegen Temelin"

5,8 Millionen Wahlberechtigte können sich bis kommenden Montag auf jedem Bezirksamt für das Volksbegehren einschreiben. Es wird davon ausgegangen, dass mehr als 1,4 Millionen Unterschriften zusammenkommen - damit wäre es das erfolgreichste Volksbegehren der Zweiten Republik in Österreich überhaupt. Denn unterstützt wird die Kampagne massiv vom österreichischen Massenblatt "Kronen-Zeitung", das durch die Schlagzeile "Rot-Weiß-Rot gegen Temelin" den Lesern vorgaukelt, das Volksbegehren sein keine FPÖ-Initiative.

Auch für die tschechischen Medien ist der Haider-Vorstoß ein gefundenes Fressen. "Die Österreicher stimmen über Tschechien ab", titelte die auflagenstärkste Zeitung "Mlada fronta Dnes", das Wirtschaftsblatt "Hospodarske noviny" wollte ein "Plebiszit gegen die Nachbarn" erkannt haben. Und auf den Titelseiten war natürlich vor allem einer zu sehen: Jörg Haider.

Der Streit um das südböhmische Kraftwerk hat aber auch zu einer Eiszeit zwischen den Regierungen in Wien und Prag geführt. Die erste Runde im Schlagabtausch eröffnete Tschechiens Ministerpräsident Milos Zeman: Haider sei ein "Post-Faschist", warnte er in einem Radiointerview und gab den Nachbarn gleich einen Rat mit auf den Weg: "Je früher die Österreicher Haider und seine Partei los werden, desto besser." Die Antwort aus Wien kam prompt. Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) warf Zeman vor, er habe "offensichtlich die Denkmuster totalitärer Gesinnung noch nicht überwunden". Er sei offenbar irgendwann in den Jahren vor 1989 stehen geblieben, als man Politiker einfach habe "los werden" können. Zeman habe damit auf jeden Fall bewiesen, dass er "die erforderliche demokratische Reife für eine Mitgliedschaft in der EU nicht aufweist".

Fischer in unbequemer Rolle

Wo es so viel Streit gibt, darf Joschka Fischer als Schlichter nicht fehlen. Aber beim Zoff zwischen Prag und Wien sah sich der Bundesaußenminister in einer bizarren Rolle: Als überzeugter Europäer musste er bei einem Treffen mit seiner Kollegin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) darum bitten, dass der Volksentscheid gegen das AKW Temelin als "künstliches Hindernis" nicht die EU-Erweiterung verhindere - was ihm von der FPÖ die Häme einbrachte, ausgerechnet er als Grünen-Politiker setzte sich für den Weiterbetrieb eines Atomkraftwerks ein.

Das Temelin-Veto bringt aber auch die ÖVP und Kanzler Wolfgang Schüssel in Bedrängnis. Wer das Volksbegehren unterschreibe, handele "fahrlässig", warnte er in einem Brief an die Bürgermeister in den ÖVP-regierten Gemeinden. Schüssel hat der EU und Prag versprochen, kein Veto gegen die Erweiterung einzulegen.

Haider hält sich für einen "freiheitlichen Bin Laden"

Vizekanzlerin Riess-Passer von der FPÖ gab sich unbeeindruckt. Wenn die ÖVP sich quer stelle, würden eben FPÖ-Minister mit den Tschechen über eine Schließung Temelins verhandeln. Rückendeckung bekam Schüssel aber von Alfred Gusenbauer, Chef der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ). Das Volksbegehren sei ein "Betrug an den Wählern". Dem rechtslastigen Populisten gehe es nur darum, "slawenfeindliche Ressentiments zu schüren".

Haider war nämlich in Linz schnell zu seinem eigentlichen Lieblingsthema gekommen - Ausländer. Österreich laufe durch die EU-Erweiterung Gefahr, mit "billigen Ost-Arbeitskräften" überschwemmt zu werden, die den Österreichern die Arbeitsplätze wegnähmen. Nicht nur das kam beim Publikum an: Er fühle sich "wie ein freiheitlicher Osama Bin Laden", weil seine Feinde ihn in einer "beispiellosen Jagd" verfolgten, berichtet die "Neue Zürcher Zeitung". Seine Anhänger in den Lederhosen hatten da schon reichlich dem Alkohol zugesprochen und beschimpften die Haider-Gegner als "Vaterlandsverräter".

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