
Terrorismus: Al-Qaidas Bombenbauer im Jemen
Al-Qaidas Bombenbauer Terrorist Nummer 40 und die Bombe im Rektum
Nach exakt einer Stunde und einer Minute kommt die Szene, die dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren lässt: "Hier, ich hab den Prinzen für dich", spricht Abdullah Hassan Tali al-Asiri in sein Mobiltelefon, über das er mit einem Kampfgefährten im Jemen verbunden ist.
Der Prinz, das ist Mohammed Bin Naïf, Sohn des saudi-arabischen Innenministers, zugleich dessen Stellvertreter, und für die Terrorabwehr im Königreich verantwortlich.
"Frieden über euch", sagt Mohammed Bin Naïf freundlich, und sein Gegenüber erwidert den Gruß. "Ich bin froh, deine Stimme zu hören", fährt der Prinz fort - und dann, mitten im Satz: das Geräusch einer Explosion. "Gott ist groß!", schreit der Mann, der eben noch freundliche Worte mit dem Prinzen tauschte. Am anderen Ende der Leitung aber ist nur noch Gewimmer zu hören.
Die Szene spielt am 27. August 2009, gegen 23.30 Uhr Ortszeit in der saudi-arabischen Stadt Dschidda. Die Filiale des Terrornetzwerks al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) hat das Gespräch aufgezeichnet und im Oktober 2010 in einem Propagandavideo veröffentlicht.
Das Telefonat, das ist mittlerweile so gut wie sicher, löste die Explosion aus, mit der Mohammed Bin Naïf getötet werden sollte. Denn Abdullah al-Asiri, der Mann, der neben dem Prinzen stand, war nicht der, als der er sich ausgegeben hatte. Er war in Wahrheit keineswegs willens, sich den saudischen Behörden zu stellen - genauso wenig wie der Mann, den er aus dem Wohnzimmer des Prinzen heraus anrief, damit auch dieser mit Naïf die Modalitäten seiner angeblichen Selbstaufgabe besprechen konnte.
Abdullah al-Asiri war vielmehr ein Attentäter im Auftrag von AQAP. Und seinen Sprengsatz hatte er durch einen Flughafen, einen Privatjet des Prinzen und mehrere Sicherheitsschleusen geschmuggelt. Er hatte ihn in seinem Rektum verborgen. Dort war er mit einem Zündmechanismus verbunden, den seine AQAP-Gefährten per Mobiltelefon in Gang setzen konnten.
Der Unterkörper wurde komplett abgesprengt
Mohammed Bin Naïf überlebte den Anschlag - anders Asiri, von dessen Leiche es grausame Bilder gibt, die zeigen, wie sein Oberkörper nahezu unverletzt blieb, während sein Unterkörper komplett abgesprengt wurde. Der Körper des Attentäters, heißt es in einem Europol-Bericht zu dem Anschlag, wirkte offenbar wie "ein Schild".
Für al-Qaida war die Operation trotzdem ein gigantischer Erfolg. Und zwar aus zwei Gründen: Sie hatten den höchstrangigen saudischen Terrorbekämpfer persönlich blamiert und vorgeführt, schließlich war er auf Asiris Beteuerungen hereingefallen, dass dieser sich stellen wollte. Wochenlang hatte AQAP den Anschlag vorbereitet, in dem Propagandavideo zu dem Anschlag dokumentiert AQAP die entsprechenden Telefongespräche mit saudi-arabischen Agenten und Mittelsmännern über die Anbahnung des Austauschs.
Asiri war für die Saudis ein dicker Fisch. Er war die Nummer 40 auf ihrer Liste von 85 gesuchten Terroristen - dass er die Seiten wechseln könnte, hat sie offenbar derart beflügelt, dass sie zu wenig Misstrauen an den Tag legten. Vielleicht trauten sie al-Qaida eine derart ausgefeilte Unterwanderung auch schlicht nicht zu.
Der zweite Grund dafür, dass AQAP nach dem Anschlag große Töne spuckte, war die technische Seite. Auch Europol räumt in dem Bericht ein: "Es gibt zwar Präzedenzfälle, in denen tote Tiere eingesetzt wurden, um Sprengsätze zu verbergen... und sogar der entsprechende Gebrauch von Leichen ist aus dem Zweiten Weltkrieg bekannt; aber es gibt keinen bekannten Fall, in dem ein Mensch einen voll einsatzfähigen Sprengsatz in einer Körperöffnung verborgen hat."
Al-Qaida selbst gab nie offen zu, dass es eine Rektal-Bombe war. "Wir werden nicht sagen, wie die Bombe gemacht oder gezündet wurde", hieß es später lediglich in dem Bekennerschreiben. Aber Europol kam zu dem Schluss, dass es praktisch keine andere Erklärung geben kann.
Der Bombenbauer war der Bruder des Attentäters
Was AQAP hingegen zugab: Der Bombenbauer war Ibrahim al-Asiri, der Bruder des Attentäters. Und die Rektalbombe von Dschidda war nicht der einzige Sprengsatz, der auf das Konto des vermutlich 29-Jährigen ging.
An Weihnachten 2009 versuchte der nigerianische Student Umar Farouk Abdulmutallab während des Landeanfluges auf Detroit, zwei Sprengstoffkomponenten, die er in seiner Unterhose verborgen hatte, zu mischen und zur Explosion zu bringen. Auch dieser Anschlag schlug fehl - aber wieder war es AQAP gelungen, sprengfähiges Material durch Sicherheitsschleusen zu bringen. Und auch diesmal, glauben die USA, baute Ibrahim al-Asiri die Bombe.
So wie mutmaßlich erneut im Herbst 2010, als AQAP Sprengsätze in Computerzubehör verpackte und mit Frachtmaschinen um die Welt schickte.
Die US-Bundespolizei FBI glaubt nun, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein könnte, bis Terroristen - und vielleicht Ibrahim al-Asiri - auf die Idee kommen, ihren Attentätern den Sprengstoff direkt zu implantieren. Dieser Spekulation liegt zugrunde, dass solcherart versteckte Bombenbaukomponenten möglicherweise nicht einmal mit einem Nacktscanner entdeckt werden könnten.
Es gebe zwar keine konkreten Hinweise, zitierten Nachrichtenagenturen aus dem FBI-Memo. Aber unter anderem AQAP würde solche Methoden erwägen.
Ein ehrgeiziger Bombenbastler
Ins Bild passen würde das - denn Ibrahim al-Asiri ist ein offenkundig so ehrgeiziger wie fähiger Bombenbastler. Es ist nicht zuletzt diese Kapazität, die AQAP aus Sicht der USA besonders gefährlich macht. Die pakistanischen Taliban wollten im vergangenen Jahr beispielsweise ebenfalls in den USA zuschlagen - aber über eine ziemlich krude Autobombe, die dann noch nicht einmal explodierte, kamen sie nicht hinaus.
"Jedes Gerät hat eine Schwachstelle, die man ausnutzen kann", heißt es dagegen selbstbewusst in einem Aufsatz der Sprengstoffabteilung in einem Online-Magazin von AQAP. Mehrere Testläufe unter Echt-Bedingungen seien beispielsweise dem Anschlagsversuch von Detroit vorausgegangen.
Der Text ist zwar namentlich nicht gezeichnet, aber er stammt vermutlich von Ibrahim al-Asiri. Neue Sprengstoffe, heißt es dort weiter, "würden entwickelt und erprobt", auch solche, die stärker seien als das in den Frachtpaketbomben verbaute PET. Es wäre allerdings schön, wenn "Ärzte und Chemiker" sich melden würden, um mitzuhelfen. Jeder solle schließlich erreichen können, was Abdullah al-Asiri geschafft habe.
Auch daran, dass AQAP weiterhin vorhat, die USA zu treffen, gibt es wenig Zweifel. Die offiziellen Veröffentlichungen der Qaida-Filiale sprechen es in aller Deutlichkeit aus. "Es gibt", sagte der AQAP-Chef Nassir al-Wuhaischi 2010, "einen gesunden Wettbewerb, die Amerikaner und ihre Alliierten zu bekämpfen."