
Belagerung von Aleppo: "Groß angelegte humanitäre Aktion"
Belagerung von Aleppo Assads vergiftetes Versprechen
Die syrische Armee und die mit ihr verbündete kurdische YPG-Miliz ziehen den Belagerungsring um Aleppo immer enger. Die Rebellen halten nur noch wenige Quadratkilometer im Osten der Stadt unter ihrer Kontrolle.
Ihre Lage scheint ausweglos: Vor Tagen hat ihnen die Regierungsarmee die letzte Versorgungsroute gekappt, die Lebensmittel gehen zu Neige. Unablässig bombardieren syrische und russische Luftwaffe die östlichen Stadtviertel, auch in dieser Woche wurden mehrere Krankenhäuser bombardiert, die von Regimegegnern betrieben wurden.
Eigentlich gilt in Syrien noch immer ein Waffenstillstand. Die USA, Europa und die Vereinten Nationen schauen tatenlos zu, wie Russland und das Assad-Regime die Vereinbarung brechen und am Boden Tatsachen schaffen.
Nun haben Moskau und Damaskus ein neues Versprechen abgegeben: Sowohl die rund 250.000 Zivilisten, als auch die laut Schätzungen rund 10.000 bis 15.000 bewaffneten Aufständischen dürften Aleppo ab sofort durch vier humanitäre Korridore verlassen. Zudem sicherte Assad allen Rebellen, die ihre Waffen niederlegen, Straffreiheit zu.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu bezeichnete das Angebot als "groß angelegten humanitären Einsatz". Tatsächlich geht es Assad und seinen Verbündeten aber darum, den Sturm auf die letzten Rebellenviertel in Aleppo vorzubereiten. Die unausgesprochene Botschaft hinter dem Fluchtangebot lautet nämlich: Wer jetzt nicht fliehen kann oder will, ist ein Terrorist und damit legitimes Ziel für Russlands Raketen und Assads Fassbomben.
Doch das verstößt gegen das Kriegsvölkerrecht. Daran erinnerte auch Uno-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien. "Niemand kann zur Flucht gezwungen werden", stellte der Diplomat in New York klar. Stattdessen forderte er eine 48-stündige Waffenruhe, um die Eingeschlossenen in Aleppo mit dem Nötigsten zu versorgen: "Alle Kriegsparteien sind nach dem humanitären Völkerrecht dazu verpflichtet, Hilfslieferungen für Zivilisten zuzulassen."
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier fand deutliche Worte: "Wer wie das syrische Regime mit Flächenbombardements die Krise auslöst und gleichzeitig unabgesicherte Fluchtwege anbietet, treibt ein zynisches Spiel." Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes forderte, die Bewohner sollten selbst entscheiden, ob sie die Stadt verlassen oder bleiben wollten. So oder so müsse ihnen Schutz garantiert werden.
Doch davon kann keine Rede sein: Wenige Stunden, nachdem der Kreml den "groß angelegten humanitären Einsatz" ausrief, fielen in Aleppo die nächsten Fassbomben.
Flucht ohne Wiederkehr?
Die Eingeschlossenen fürchten ohnehin eine Flucht ohne Wiederkehr. Die bisherigen fünf Kriegsjahre in Syrien haben gezeigt, dass es zu Assads Taktik gehört, sunnitische Regimegegner aus ihren Dörfern und Städten zu vertreiben, nachdem diese von Regierungstruppen zurückerobert wurden.
Ein Beispiel dafür ist die Stadt Homs: Aufständische hatten die Armee 2011 aus großen Teilen des Ortes zurückgedrängt, später wendete sich das Blatt. Im Februar 2014 willigten die Rebellen ein, die eingeschlossene Altstadt von Homs zu verlassen. Anschließend spielten sich Szenen ab, die Europa noch aus dem Bosnienkrieg kennt: Die Männer wurden von ihren Frauen und Kindern getrennt und verschleppt. Hunderte sind bis heute verschwunden. Nach Beendigung der Kampfhandlungen durften auch die überlebenden sunnitischen Einwohner nicht in ihre zerstörten Häuser zurückkehren.
Das wissen auch die Menschen in Aleppo: "Bis jetzt ist niemand gegangen. Die meisten wollen die Revolution nicht im Stich lassen", sagt der Rechtsanwalt Mohammad al-Zein, einer der rund 250.000 Eingeschlossenen. "Fast alle hier haben eine direkte Verbindung zur Opposition. Frauen werden ihre Ehemänner nicht verlassen, und Mütter werden ihre Söhne nicht einem ungewissen Schicksal überlassen", sagte Zein dem britischen "Telegraph" .
Assads Medien verbreiten Jubelbilder
Fast niemand glaubt an die versprochene Amnestie. "Wenn wir uns stellen, werden wir sterben oder kommen ins Gefängnis. Oder wir sterben im Gefängnis", sagt Fatima Mohamed, Geburtshelferin in einem Untergrundkrankenhaus in Aleppo.
Während im Osten der Stadt die Menschen hungern, verbreiten syrische und russische Medien aus dem vom Regime kontrollierten Westen, nur wenige Kilometer entfernt, ein ganz anderes Bild. Soldaten verteilen Pakete mit russischen Lebensmitteln, zum Dank schwenken Syrer russische und syrische Flaggen.
Assads Staatsmedien verbreiten Siegesgewissheit: "Aleppo feiert den Sieg über den Terrorismus", heißt es schon jetzt. Das Regime werde die Rebellengebiete in Aleppo so oder so erobern.