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Ehrung für Menschenrechtler Alternativer Nobelpreis geht erstmals nach Palästina

Sie kämpfen gegen sexuelle Gewalt und Chemiewaffen, für Menschenrechte und eine nachhaltige Landwirtschaft: Der Alternative Nobelpreis geht in diesem Jahr an vier Männer aus dem Kongo, den USA, Palästina und der Schweiz. Für manche kommt die Ehrung einer Lebensversicherung gleich.

Zum ersten Mal geht in diesem Jahr ein Alternativer Nobelpreis nach Palästina. Die Jury hat den Rechtsanwalt Raji Sourani für sein "Engagement für Menschenrechte unter extrem schweren Bedingungen" ausgezeichnet. Der Jurist saß selber schon mehrfach in Haft. Weitere Preisträger sind der Amerikaner Paul Walker, der sich seit Jahrzehnten für die Vernichtung von Chemiewaffen einsetzt - zuletzt auch in Syrien. Geehrt wird auch der kongolesische Arzt Denis Mukwege, der Zehntausende Vergewaltigungsopfer behandelt hat, und der Schweizer Agrarwissenschaftler Hans Herren, der zu den führenden Experten im Bereich der biologischen Schädlingsbekämpfung gehört.

Die vier Männer wurden aus 94 Kandidaten ausgewählt. "Die Grundidee ist, praktische Lösungen auszuzeichnen", sagt Ole von Uexküll, Geschäftsführer der "Right Livelihood Award"-Stiftung, wie der Alternative Nobelpreis eigentlich heißt. "Es gibt nichts Politischeres als konkrete Lösungen, die zeigen, dass Alternativen zum Status quo praktisch möglich sind."

Den Alternativen Nobelpreis gibt es seit 1980. Er gilt auch als Kritik an den traditionellen Nobelpreisen, deren Preisträger im Oktober in Stockholm und Oslo bekanntgegeben werden. Die Alternativen Nobelpreise werden Anfang Dezember bei einer Zeremonie im Schwedischen Reichstag verliehen. Sie sind mit umgerechnet 57.000 Euro dotiert.

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Alternativer Nobelpreis: "Wir haben kein Recht aufzugeben"

Foto: OPCW

Doch für viele der Geehrten steht nicht das Geld im Vordergrund. "Der Preis ist oft ein Schutz und auch eine psychologische Stütze", berichtet von Uexküll aus den Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte. Es gebe ein Netzwerk und Solidaritätsbesuche für bedrohte Preisträger. Die öffentliche Wahrnehmung ändere sich. So sei etwa die Umweltschutzorganisation des Kongolesen René Ngongo 2009 von einem Verbot bedroht gewesen. Doch nach der Bekanntgabe des Preises habe er einen Staatsempfang erhalten, berichtet von Uexküll.

Die Preisträger im Überblick:


Paul F. Walker, Politikwissenschaftler, USA

"Es ist für uns alle wichtig zu erkennen, dass wir uns während unserer kurzen Zeit auf Mutter Erde dafür einsetzen müssen, diesen Planeten als einen friedvolleren, gerechteren und nachhaltigeren Ort für zukünftige Generationen zu hinterlassen."

"Es ist für uns alle wichtig zu erkennen, dass wir uns während unserer kurzen Zeit auf Mutter Erde dafür einsetzen müssen, diesen Planeten als einen friedvolleren, gerechteren und nachhaltigeren Ort für zukünftige Generationen zu hinterlassen."

Foto: OPCW

Der US-Amerikaner Paul Walker kämpft seit Jahrzehnten für die Abschaffung von Chemiewaffen. Mit seiner Arbeit trug er dazu bei, dass mehr als 55.000 Tonnen chemischer Waffen vernichtet wurden. Er spielt eine Schlüsselrolle dabei, dass die USA jährlich über eine Milliarde Dollar für Programme zur Waffenkontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung zur Verfügung stellen.

Der 67-jährige Politikwissenschaftler hat Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Expertenkommissionen und Bürgerbewegungen dazu gebracht, sich für eine vollständige Umsetzung der Chemiewaffenkonvention und eine Welt frei von chemischen Waffen einzusetzen.

Den Alternativen Nobelpreis erhält er auch für sein Verhandlungsgeschick, mit dem er es immer wieder schaffte, die Vertreter unterschiedlichster Positionen an einen Tisch zu bekommen.

Aktuell gilt die Arbeit des US-Amerikaners vor allem den letzten Staaten, die die Chemiewaffenkonvention nicht ratifiziert haben: Angola, Ägypten, Israel, Myanmar, Nordkorea, Südsudan. Syrien hat angekündigt, zum 14. Oktober dem Abschaffungspakt beizutreten.


Raji Sourani, Rechtsanwalt, Palästina

"Harte Zeiten drängen dazu, entweder aufzugeben oder den Herausforderungen unerschrocken entgegenzutreten. Als Repräsentanten von Opfern haben wir kein Recht aufzugeben. Unsere Pflicht ist es, den Herausforderungen zu begegnen, Träumer zu sein im Angesicht der Tragödie und den Kampf für Gerechtigkeit weiterzuführen."

"Harte Zeiten drängen dazu, entweder aufzugeben oder den Herausforderungen unerschrocken entgegenzutreten. Als Repräsentanten von Opfern haben wir kein Recht aufzugeben. Unsere Pflicht ist es, den Herausforderungen zu begegnen, Träumer zu sein im Angesicht der Tragödie und den Kampf für Gerechtigkeit weiterzuführen."

Foto: Tom Knutson

Der Anwalt ist der erste Palästinenser, der die Auszeichnung erhält. Er setzt sich seit mehr als 35 Jahren für die Menschenrechte in Palästina und der arabischen Welt ein. Als prominentester Menschenrechtsanwalt im Gaza-Streifen hat Sourani das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte gegründet, um Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten zu untersuchen und zu dokumentieren. Er hat viele Opfer vor israelischen Gerichten vertreten.

Der 60-Jährige wurde selbst auch mehrfach verhaftet - und zwar von beiden Seiten. Insgesamt wurde Sourani sechsmal von israelischen oder palästinensischen Behörden verhaftet. Zwischen 1977 und 1990 durfte er die palästinensischen Gebiete nicht verlassen. Dutzende Male wurden seine Kanzlei und sein Haus durchsucht.

Sourani setzt sich auch außerhalb der palästinensischen Gebiete ein. Als Präsident der Arabischen Organisation für Menschenrechte hat er nach dem Sturz des libyschen Diktators Gaddafi die erste Mission von Menschenrechtsbeobachtern in das Land organisiert. Seit kurzem bildet er auch syrische Richter, Anwälte und Aktivsten darin aus, Menschenrechtsverletzungen zu überwachen und darüber zu berichten.


Denis Mukwege, Arzt, Demokratische Republik Kongo

"Wo sind die Männer in dieser Frage? Wir können dieses Problem nicht lösen, solange Männer nicht dagegen aufstehen. Sie müssen sich dem entgegen stellen und jenen Männern, die vergewaltigen, sagen: Wir akzeptieren das nicht. Wenn man nicht vergewaltigt aber zu Vergewaltigungen schweigt, bedeutet das, dass man sie akzeptiert."

"Wo sind die Männer in dieser Frage? Wir können dieses Problem nicht lösen, solange Männer nicht dagegen aufstehen. Sie müssen sich dem entgegen stellen und jenen Männern, die vergewaltigen, sagen: Wir akzeptieren das nicht. Wenn man nicht vergewaltigt aber zu Vergewaltigungen schweigt, bedeutet das, dass man sie akzeptiert."

Foto: Stina Berge

Der Gynäkologe arbeitet in der vom Krieg erschütterten Region Kivu in der Demokratischen Republik Kongo. Dort setzen alle Kriegsparteien Vergewaltigung als Waffe ein. Als leitender Chirurg des Panzi Krankenhauses haben er und seine Kollegen etwa 40.000 Vergewaltigungsopfer betreut und dabei große Erfahrung bei der Behandlung schwerwiegender gynäkologischer Verletzungen gesammelt.

Die Klinik hat 398 Angestellte und 450 Betten, von denen 250 für Opfer sexualisierter Gewalt reserviert sind. Patientinnen, die sich die Behandlung nicht leisten können, werden umsonst behandelt. Die Einrichtung bemüht sich, den Patientinnen auch psychologische Hilfe und juristische Beratung zu bieten.

Trotz zahlreicher Drohungen spricht der 58-jährige Mukwege auf der ganzen Welt über die Verbrechen in seiner Heimat und die schweren, andauernden Folgen für Mädchen und Frauen. Vor gut einem Jahr berichtete er vor der Uno über die Gräueltaten und forderte ein Einschreiten der internationalen Gemeinschaft.

Gut einen Monat nach seiner Rückkehr aus New York verübten Unbekannte einen Mordanschlag auf den Arzt. Einer seiner Mitarbeiter wurde dabei getötet. Seitdem lebt Mukwege mit seiner Familie in Europa.


Hans Rudolf Herren, Insektenkundler, Schweiz

"Der Dialog über Nahrung und Ernährungssicherheit muss sich weg bewegen von kostenintensiven 'Wunderwaffen' hin zu erschwinglichen, realistischen und erwiesenen Lösungen, die inklusiv sind, das Wissen der Landwirte mit nachhaltigen Innovationen verbinden und die Verbraucher wieder mit den Produzenten verbinden."

"Der Dialog über Nahrung und Ernährungssicherheit muss sich weg bewegen von

kostenintensiven 'Wunderwaffen' hin zu erschwinglichen, realistischen und erwiesenen Lösungen, die inklusiv sind, das Wissen der Landwirte mit nachhaltigen Innovationen verbinden und die Verbraucher wieder mit den Produzenten verbinden."

Foto: Peter Lüthi

Der Schweizer Agrarwissenschaftler und Entomologe Hans Herren ist einer der weltweit führenden Experten auf den Gebieten der biologischen Schädlingsbekämpfung und des nachhaltigen Landbaus. Als ein damals neuer Schädling in den siebziger Jahren die Maniokwurzel in Afrika gefährdete, entwarf er ein erfolgreiches biologisches Bekämpfungsprogramm und setzte es um. Hilfsorganisationen schätzen, dass er damit 20 Millionen Menschen das Leben rettete.

Später wurde Herren zum Co-Präsidenten des Weltagrarberichts IAASTD, der von 59 Ländern angenommen wurde. Heute hilft Herren mit seiner Schweizer Stiftung Biovision Landwirten in Afrika, Hunger, Armut und Krankheit durch ökologischen Landbau zu bekämpfen. Durch seine theoretische und praktische Arbeit hat Herren bewiesen, dass eine auf agro-ökologischen Prinzipien fußende Landwirtschaft auch in Zeiten von Bevölkerungswachstum und neuen Bedürfnissen die Welt ernähren kann.

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