Amerikas rechtlose Gefangene "Ins Mittelalter zurückversetzt"
Najeeb Al-Nauimi aus Qatar ist der Rechtsanwalt, der die Haftbedingungen der rund tausend von der US-Army als Terrorverdächtige Internierten am besten kennt. Der ehemalige Justizminister des Golfstaates Qatar vertritt 96 Männer, die in Camp Delta auf Kuba einsitzen oder einsaßen.
Aus Briefen der Häftlinge und Gespräche mit deren Verwandten hat er folgendes Bild gewonnen: Zwar genügten die Haftbedingungen dort nicht den internationalen Standards, doch im Vergleich zum Gefangenenlager im US-Stützpunkt Bagram in Afghanistan sieht er Camp Delta fast wie ein Erholungsheim. "Alle meine Mandanten, die zuvor in Afghanistan einsassen", sagt Al-Nauimi, "berichteten, sie seien der Hölle entkommen."
Der auf Kuba internierte Moazzam Begg aus Birmingham schrieb an seine Familie, dass er in Bagram ein Jahr lang in einem alten Schiffscontainer in Einzelhaft gehalten wurde. In dem Stützpunkt 50 Kilometer nördlich von Kabul hatte der Vater von vier Kindern demnach in dieser Zeit nur zwei Minuten lang das Tageslicht gesehen. Im Sommer, so schrieb er, wimmelte es in seinem Verließ von zehnbeinigen Kamelspinnen, "die größer als eine Hand werden, sich wie Rennautos bewegen und sobald sie einen beißen, das Fleisch verrotten lassen - wenn man nicht behandelt wird."
"Die Schlechtesten der Schlechtesten
Moazzam Begg ist einer jener moslemischen Männer, die die US-Army derzeit auf unbegrenzte Zeit als "illegale Kämpfer" festhält - eine unjuristische Wortschöpfung, mit der zahlreiche internationale Rechtsabkommen umgangen werden. Nicht als Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention anerkannt, dürfen weder Angehörige, noch Anwälte die Inhaftierten besuchen. Briefe zwischen ihnen und ihren Familien sind Monate unterwegs, wenn sie überhaupt die Zensur passieren. Als "offenkundigen Verstoß gegen fundamentale Prinzipen des internationalen Rechts" verurteilte ein britischer High Court die unbegrenzte Internierung ohne Anklage und Rechtsbeistand.
Donald Rumsfeld dagegen besteht darauf, dass die Behandlung der Gefangenen "ordentlich und human" sei. Immerhin handele es sich bei ihnen um die "die Schlechtesten der Schlechtesten." Der US-Verteidigungsminister begreift das Gefangenenlager im rechtlichen Niemandsland als dauerhafte Waffe im Krieg gegen den Terrorismus. Das Pentagon ließ Camp Delta ausbauen und vergrößern und hat die Ernennung von Militärkommissionen zur Aburteilung der Gefangenen angeordnet.
Im Juni, so berichteten britische Zeitungen, vergab das Pentagon den Auftrag für die Errichtung eines Hinrichtungstrakts für 7,8 Millionen Dollar. In dem Exekutionsraum - in dem lediglich ein massive Liege steht, auf der die Verurteilten festgeschnallt werden - sollen die Delinquenten ihre Todesspritze bekommen. Bauen soll das Ensemble eine Firma aus dem texanischen Houston: eine Tochterfirma des Konzerns Haliburton, dem Dick Cheney vorstand, bevor er Vizepräsident wurde.
Symbol für das neue amerikanische Rechtsverständnis
Die zunehmend verzweifelten Angehörigen der Gefangenen, die in diesem Gulag-Netzwerk verschwunden sind, bekommen so gut wie keine Unterstützung von ihren jeweiligen Regierungen. "Sie sagten, sie wüssten nichts", berichtet Azmat Begg von seinen wiederholten Gesprächen mit Beamten des Außenministeriums in London. Niemand wolle es sich mit den mächtigen Amerikanern Verderben, bekräftigt Anwalt Najeeb Al-Nauimi: "Die arabischen Diktatoren wollen sich alle bei Bush andienen."
Als die ersten Gefangenen am 11. Januar vergangenen Jahres auf Cuba ankamen, wurden sie in eilig errichtete Drahtkäfige gesperrt, in denen sie der tropischen Sonne und Regengüssen ausgeliefert waren. Die Drahtverhaue von Guantánamo Bay, jenem Gelände, das die USA seit 1903 von Kuba gepachtet haben, sind zum Symbol für das neue amerikanische Rechtsverständnis geworden. Ein Reporter der "New York Times" beschrieb das Lager als "the new American gulag".
Angesichts der internationalen Kritik an der Käfighaltung ließ das Pentagon Camp Delta bauen. Das im Südosten des Stützpunktes gelegene neue Lager beherbergt derzeit Rund 665 Gefangene aus 43 Nationen, die 17 verschiedene Sprachen sprechen. Hier sitzen die meisten Internierten jetzt in 207 mal 243 Zentimeter großen Einzelzellen mit Wänden aus Stahlgitter. Zweimal die Woche dürfen die in leuchtendem Orange gekleideten Gefangenen duschen und haben in zehn Meter langen Käfigen 15 Minuten Freigang. Sobald sie freilich ihre Zellen verlassen, werden ihnen die Füße zusammengekettet und die Hände an den Gürtel gefesselt.
Die Lagerleitung verweist stolz darauf, dass in den Zellen die Richtung, in der Mekka liegt, mit einem Pfeil ausgewiesen ist, die Gefangenen Korane haben und über das Lagerradio fünf mal am Tag zum Gebet gerufen werden. Die Küche verarbeitet nur Fleisch von nach den muslimischen Vorschriften geschlachteten Tieren.
Verletzungen mit stumpfen Gegenständen
Für George W. Bush sind die auf Kuba Internierten schlicht "Killer". Doch Camp Delta, das von Delegierten des Internationalen Roten Kreuzes besucht wird, ist dabei gar nicht das schlimmste Internierungslager der US-Army. In Verhörzentren in Afghanistan sind seit Dezember vergangenen bereits drei Gefangene zu Tode gekommen. Hochrangige Al-Qaida-Männer verschwinden gänzlich von der Bildfläche und werden offenbar von Verhörexperten befreundeter arabischer Geheimdienste bearbeitet.
Im Dezember vergangenen Jahres lag ein 22 Jahre alter Taxifahrer fünf Tage nach seiner Einlieferung in Bagram tot in seiner Zelle. Vor ihm war bereits der Bruder eines ehemaligen Taliban-Kommandeurs an einem Blutklumpen in der Lunge gestorben. In beiden Fällen waren in von einer Pathologin der US-Army ausgestellten Totenscheinen "Verletzungen mit stumpfen Gegenständen" diagnostiziert und als Todesursache "Totschlag" vermerkt.
Ein Ex-Gefangener berichtete, dass der herzkranke Taxifahrer in Panik geraten sei, weil er unter einer Kapuze nicht genug Luft bekommen hätte. Ein anderer, der ihn in seiner Zelle sah, erinnert sich: "Sein Gesicht war dunkel angelaufen."
Zwei weitere Mithäftlinge erklärten nach ihrer Entlassung, dass sie in dem Verhörzentrum der CIA über Tage stehen mussten - nackt, mit verbundenen Augen und angekettet. In dem nachts eiskalten Raum seien sie mit Scheinwerfern und Tritten am Schlafen gehindert worden. Die Fußfesseln seien so eng angezogen worden, dass ihnen die Füße anschwollen und taub wurden.
Das Pentagon ordnete eine Untersuchung der beiden Todesfälle Bagram an. Doch während deren Ergebnis noch aussteht, kam Ende Juni ein weiterer Gefangener in einem Stützpunkt der US-Army in Asadabad in der Provinz Kunar unter ungeklärten Umständen zu Tode.
"Wir lassen die Scheiße aus ihnen heraustreten"
Der US-Journalist Bob Woodward, der einst den Watergate-Skandal mit enthüllte, hat zusammen mit Kollegen von der "Washington Post" herausgefunden, dass die CIA ein hochgeheimes Schattenreich für Terrorverdächtige aufgebaut hat, in dem beispielsweise der Al-Quaida-Kopf Khalid Sheik Mohammed zusammen mit zwei seiner Kinder spurlos verschwunden ist. Weitere wichtige Al-Quaida-Kader, die zumeist in Pakistan verhaftet wurden, werden demnach in einem Verhörzentrum auf Diego Garcia, einer einsamen Insel im indischen Ozean, bearbeitet.
Das Internationale Rote Kreuz bat die US-Regierung um Aufklärung, aber erhielt bisher keine Antwort. Ebenso erging es Amnesty International, das in Washington um Informationen über den Verbleib von fünf Verschwundenen nachsuchte.
Besorgt ist die Menschenrechtsorganisation darüber, dass US-Agenten Verhaftete an Folterspezialisten befreundeter arabischer Geheimdienste weitergegeben. So geht Amnesty davon aus, dass Internierte von amerikanischen Geheimdiensten nach Marokko, Jordanien und Ägypten verschleppt wurden. Ein US-Geheimdienst-Mann, der diese Transaktionen organisiert, begründete das gegenüber den "Washington Post"-Rechercheuren: "Wir treten nicht die Scheiße aus ihnen heraus. Wir schicken sie in andere Länder, damit sie die Scheiße aus ihnen heraustreten." Ein anderer sagte: "Wenn wir nicht zeitweise Menschenrechte verletzten, machen wir nicht unsere Arbeit."
Datteln und Eiscreme für den, der auspackt
Am 4. Juli erklärte George W. Bush anlässlich des amerikanischen Nationalfeiertags: "Alle die heute unter Tyrannen leben und sich nach Freiheit sehnen, setzen ihre Hoffnungen nach Freiheit auf die Vereinigten Staaten von Amerika." Am Tag zuvor hatte der Präsident grünes Licht dafür gegeben, dass die ersten sechs Gefangenen aus Guantánamo Bay vor eine Militärkommission gestellt werden, deren Formierung Donald Rumsfeld bereits im März vergangenen Jahres angeordnet hatte. Moazzam Begg aus Birmingham ist bei dieser ersten Gruppe von Angeklagten, sowie ein weiterer Brite und der Australier David Hicks.
Rumsfelds Stellvertreter Paul Wolfowitz ist für die Rekrutierung von Anklägern, Verteidigern und Richtern verantwortlich. Auch die Mitglieder der Berufungskommission benennt er. In letzter Instanz könnte Präsident Bush zum Tode Verurteilte begnadigen, aber da er als Gouverneur von Texas 151 Todesurteile abzeichnete und nur in einem einzigen Fall den Vollzug ausgesetzt hat, können Gefangene kaum auf präsidiale Gnade hoffen.
Die Militärkommissionen, die in der Tradition von Militärtribunalen stehen, die im Zweiten Weltkrieg mit deutschen und japanischen Spionen kurzen Prozess machten, werden nicht nur von Juristen in aller Welt, sondern auch von amerikanischen Bürgerrechtlern und Anwälten abgelehnt. Auch der britische "Economist", der Bushs Feldzüge in Afghanistan und Irak propagandistisch unterstützte, kritisiert die geplanten Prozesse vor den Militärkommissionen als "ungerecht, unklug und unamerikanisch". Das einflußreiche Magazin prophezeit, dass sie sich als "kontraproduktiv für den Krieg gegen den Terrorismus" erweisen würden.
Außenminister Colin Powell, hat Rumsfeld bereits im April in einem Brief aufgefordert, die Internierten als Kriegsgefangene anzuerkennen. Doch davon wollen seine Rivalen im Pentagon nichts wissen.
Der Verhandlungssaal für die bevorstehenden Tribunale ist bereits möbliert und verfehlt - zusammen mir der geplanten Exekutionskammer - offenbar seine Wirkung nicht. So berichtete der Lagerkommandant Generalmajor Geoffrey Miller, daß die Zahl der geheimdienstlich relevanten Informationen, die seine Verhörer von Internierten bekamen, sich seit Februar versechsfacht habe. Dank "anreizorientierter Vernehmungen", habe er jetzt "eine große Zahl, von Gefangenen, die sehr kooperativ sind" und andere belasten.
"Der Weg zur Rückkehr", heißt auf Plakaten, die über all im Lager hängen, "führt über die vollständige Wahrheit und Zusammenarbeit." Wer in Camp Delta richtig auspackt, wird in eine Abteilung verlegt, in der es mehrere Stunden am Tag Zusammenschluss mit anderen Gefangenen gibt - und regelmäßig sogar Datteln und Eiscreme.