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Amnesty International "Die Welt ist finsterer geworden"

In den USA wird gehetzt, in Deutschland zu wenig gegen Rassismus getan. Amnesty International warnt: Weltweit hat sich die Menschenrechtslage verschlechtert - nicht nur in Krisenländern.

Das Bild, das Amnesty International vom Zustand der Welt zeichnet, ist düster. Insgesamt beobachten die Aktivisten eine globale "Erosion menschenrechtlicher Standards" - so formulieren sie es in ihrem aktuellen Jahresbericht. Dabei geht es nicht nur um Verstöße gegen die Menschenrechte in Ländern wie Syrien, Saudi-Arabien oder Burma. Die Organisation lenkt den Fokus auch auf Länder, die sonst wenig kritisiert werden.

Besondere Sorge bereiten ihr Diskriminierungen, Hetzparolen und Hassverbrechen in den USA und Europa. So wird Deutschland in dem neuen Report  für die Verschärfung des Asylrechts und mangelnde Maßnahmen gegen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte angeprangert.

"Die Welt wurde 2016 finsterer und unsicherer", schreibt Generalsekretär Salil Shetty. Amnesty sorgt sich besonders, dass viele Politiker und Machthaber ihre Kritiker pauschal zu Feinden erklärten, denen Rechte abgesprochen werden dürften. Zunehmend würden einzelne Bevölkerungsgruppen "zu Sündenböcken für soziale und wirtschaftliche Herausforderungen" erklärt und ausgegrenzt. Dass die anderen für Probleme verantwortlich gemacht würden, das sei der "möglicherweise bösartigste Angriff auf die Menschenrechte", so Shetty.

Für den neuen US-Präsidenten Donald Trump etwa seien diese anderen Muslime aus bestimmten Ländern, die Medien oder Richter, die gegen ihn entscheiden. Amnesty prangert aber auch die Populisten in Europa an. Shetty dazu: "Mit hasserfüllter, spaltender und hetzerischer Rhetorik bedienen sie die finstersten Instinkte der menschlichen Natur."

Die Wahl von Donald Trump sei das "möglicherweise größte der vielen politischen Erdbeben" im Jahr 2016 gewesen, heißt es in dem Bericht. Trump habe bereits im Wahlkampf eine Politik versprochen, die der Wahrung der Menschenrechte in höchstem Maße zuwiderlaufe. Das sei nur ein Beispiel "eines weltweiten Trends hin zu einer Politik, die auf Wut und Spaltung setzt".

Der Bericht kritisiert aber auch die Politik von Trumps Vorgänger Barack Obama. Dieser habe ein Erbe hinterlassen, "das auch viele Fälle schweren Versagens umfasst", schreiben die Autoren. Als Beispiele werden die Drohnenangriffe gegen Terrorverdächtige mit vielen zivilen Opfern in Ländern wie Afghanistan, Pakistan oder im Jemen und die weltweite Überwachungsmaschinerie der US-Geheimdienste genannt.

Beispiele für die Ausgrenzung einzelner Bevölkerungsgruppen gebe es in allen Weltregionen, sagte Amnesty-Deutschlandchef Markus Beeko. "Hierfür stehen unter anderem die Massenverhaftungen in der Türkei, die Verfolgung von Umweltaktivisten in Honduras, die Ausgrenzung von ethnischen Gruppen wie den Adivasi in Indien oder die brutale sogenannte Anti-Drogen-Kampagne des philippinischen Präsidenten."

Mordopfer auf den Philippinen

Mordopfer auf den Philippinen

Foto: © Damir Sagolj / Reuters/ REUTERS


Amnesty zieht eine bittere Bilanz des vergangenen Jahres: 36 Länder hätten internationales Recht verletzt, indem sie Schutzsuchende zurücksandten. In 22 Ländern seien Morde an Menschenrechtsaktivisten registriert worden.

Auch in der EU beklagt die Organisation eine zunehmende Aushöhlung von Menschenrechtsstandards. "Anti-Terror-Gesetze in zahlreichen Ländern der Europäischen Union schränken Freiheitsrechte ohne die notwendige rechtstaatliche Kontrolle der Maßnahmen ein", sagte Beeko.

Sehr besorgt sei man über die Folgen der Anti-Terror-Maßnahmen in Frankreich. Ausnahmsweise veröffentlichte die in London ansässige Organisation den Jahresbericht darum diesmal in Paris. Amnesty verwies darauf, dass der Ausnahmezustand viermal verlängert wurde. Im Rahmen dessen hätten das Innenministerium und die Polizei Sondervollmachten. Auf dieser Grundlage habe es 2016 mehr als 4000 Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss gegeben, mehr als 400 Personen seien unter Hausarrest gestellt worden.

Vor Libyens Küste gerettete Flüchtlinge

Vor Libyens Küste gerettete Flüchtlinge

Foto: David Ramos/ Getty Images


Amnesty bemängelt darüber hinaus, dass es an einer aktiven EU-Flüchtlingspolitik fehle. Durch die geplante Zusammenarbeit mit Libyen - die dazu führen soll, dass die Flucht über das Mittelmeer gestoppt wird - nehme die EU zudem schwere Menschenrechtsverletzungen in dem nordafrikanischen Land in Kauf. "Flüchtlinge und Migranten werden dort in Haftzentren gebracht, wo sie oft ohne Kontakt und unter unwürdigen Bedingungen festgehalten werden."

Zwar lobte die Organisation die "erheblichen Anstrengungen" Deutschlands, Flüchtlinge unterzubringen. Sie kritisierte aber auch, dass die Regierung mehrere Gesetze verabschiedet habe, die die Rechte von Asylsuchenden einschränkten.

Angriff auf Flüchtlingsheim im Januar 2016 in Dreieich

Angriff auf Flüchtlingsheim im Januar 2016 in Dreieich

Foto: Frank Rumpenhorst/ dpa


Außerdem heißt es in dem Bericht: "Die Zahl rassistischer Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte blieb hoch." Amnesty listet die Taten auf: Es habe 813 Attacken auf Flüchtlingsheime und 1803 Straftaten gegen Asylsuchende gegeben, bei denen 254 Menschen verletzt worden seien. "Und die Behörden ergriffen keine wirksamen Gegenmaßnahmen."

kev/AFP/dpa/Reuters
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