
Amnesty-Bericht "Albtraumhafte Vision einer von Hass verblendeten Gesellschaft"
- • Fall Yücel: Surreale "Beweise"
- • Amnesty-Chef in der Türkei: Haftentlassung von Menschenrechtler Kilic direkt zurückgenommen
Als Ort für die Präsentation ihres Jahresberichts hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dieses Jahr Washington gewählt. Kein Zufall, denn die Pressekonferenz sollte gleichzeitig ein Protest sein: gegen die Politik Donald Trumps.
Der US-Präsident sitzt seit Anfang 2017 dort im Weißen Haus. Gleich zu Beginn seiner Regierungszeit hatte er versucht, einen Einreisestopp für Menschen aus muslimisch geprägten Ländern zu verhängen. Amnesty-Chef Salil Shetty prangerte das nun als "hasserfüllten Schritt" an. "Trumps Rückschritte in Menschenrechtsfragen sind ein gefährlicher Präzedenzfall für andere Regierungen, die folgen könnten", sagte Shetty.
Dabei zeigt der Bericht seiner Organisation: Trump steht mitnichten alleine da. Amnesty International bewertete die Menschenrechtslage in 159 Ländern. Weltweit führten demnach hasserfüllte Reden von Politikern zu einer zunehmenden Diskriminierung von Minderheiten. Im vergangenen Jahr hätten "prominente Führungsfiguren eine albtraumhafte Vision einer von Hass und Angst verblendeten Gesellschaft" propagiert, sagte Shetty.
Neben den USA gebe es mit Ungarn, den Philippinen, Ägypten und China weitere Beispiele, die zeigten, dass die gezielte Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen und Minderheiten zum Alltag geworden sei. Wohin das führe, zeige die gewaltsame Vertreibung der Rohingya in Burma, sagte Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Dort flohen mehr als 600.000 Muslime vor Militärgewalt ins Nachbarland Bangladesch. Tausende sollen ermordet worden sein.
Der Bericht greift neben Trump und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin an. "Das Schreckgespenst von Angst und Hass bildet sich in der Weltpolitik deutlich heraus und es gibt wenige Regierungen, die sich in diesen unruhigen Zeiten für Menschenrechte einsetzen", sagte Shetty.
Im Gegenteil: Viele Staaten versuchten, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken oder rechtsstaatliche Garantien auszuhebeln. "Amnesty International hat im vergangenen Jahr beobachten müssen, wie Journalisten, Gewerkschafter, Anwälte und andere, die sich für Menschenrechte einsetzen, vermehrt bedroht, verfolgt und getötet wurden", sagt Deutschland-Chef Beeko. Amnesty zufolge wurden im Jahr 2017 weltweit mindestens 312 Menschen wegen ihres friedlichen Einsatzes für die Menschenrechte getötet.
Vor allem die türkische Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan sorgte zuletzt mit ihrem hartem Vorgehen gegen Kritiker für internationale Proteste. Nach der Freilassung des deutschtürkischen Journalisten Deniz Yücel sitzen dort immer noch mehr als 100 Journalisten in Haft. Auch der Amnesty-Vorstand in der Türkei, Taner Kilic, befindet sich seit etwa acht Monaten in der Türkei in Untersuchungshaft. Der türkische Militäreinsatz in Nordsyrien ("Operation Olivenzweig") ist in dem Bericht, der nur den Zeitraum 2017 umfasst, noch nicht aufgeführt.
Die Bundesregierung solle sich stärker für die Achtung der Menschenrechte weltweit einsetzen, fordert Amnesty International. Der von Union und SPD verhandelte Koalitionsvertrag greife an dieser Stelle zu kurz. "Die neue Bundesregierung kann eine deutlich aktivere Rolle einnehmen und verhindern helfen, dass die Welt zurück in Zeiten fällt, in denen nur das Recht des Stärkeren gilt", sagte Beeko.
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Was der Hass anrichten kann: Hunderttausende Rohingya in Myanmar flüchteten in den vergangenen Monaten ins Nachbarland Bangladesch. Weltweit nehme die Diskriminierung von Minderheiten wie ihnen zu, heißt es im Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Die Ursache dafür sei Hass-Propaganda, die von führenden Staats- und Regierungschefs verbreitet werde - wie dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump.
Auch der russische Präsident Wladimir Putin wird in dem Bericht namentlich aufgeführt. Prominente Führungsfiguren wie er hätten eine albtraumhafte Vision einer von Hass und Angst verblendeten Gesellschaft propagiert, heißt es dort.
Auch in China sei unter Staatschef Xi Jinping die gezielte Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen und Minderheiten inzwischen Alltag.
Ein besonders extremes Beispiel ist der philippinische Präsident Rodrigo Duterte. Seine Regierung ist nicht nur verantwortlich für den Drogenkampf, der schon mehr als 7500 Tote forderte. Duterte geht auch gegen Menschenrechtler vor - und drohte ihnen schon mehrfach.
Die Toten im Anti-Drogenkampf werden von der Polizei oder Auftragsmördern hingerichtet, ohne Prozess oder der Möglichkeit zur Verteidigung. Unter den Opfern war im vergangenen Jahr auch der 17-Jährige Kian. Er hatte keine Waffe und wurde von hinten erschossen.
In der Türkei sind immer noch 100 Journalisten in Haft - wenngleich der Deutschtürke Deniz Yücel nach mehr als einem Jahr endlich auf freien Fuß gesetzt wurde.
Flucht geglückt: Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm ist auf dem Weg in ein Flüchtlingslager in Bangladesch. Sie gehören zu der muslimischen Minderheit der Rohingya, die in Burma seit Jahrzehnten unterdrückt wird.
Im August 2017 eskalierte die Situation. Nach Ausschreitungen von militanten Rohingya ging das Militär wahllos gegen die Bevölkerungsgruppe vor. Es gibt zahlreiche Berichte über Morde und Vergewaltigungen. Luftaufnahmen belegen, dass ganze Dörfer niedergebrannt wurden.
Mehr als 600.000 Rohingya sind deshalb ins Nachbarland Bangladesch geflohen. Etwa 60 Prozent der Schutzsuchenden sind nach Angaben von Unicef noch minderjährig.
Viele von ihnen seien durch schreckliche Erlebnisse in Burma traumatisiert. Doch auch in Bangladesch sind sie noch nicht gerettet: Zahlreiche Kinder leiden Unicef zufolge unter Mangelernährung, es droht eine Cholera-Epidemie.
Das WHO startete eine große Impfaktion gegen die Durchfallerkrankung, die sich in den Camps durch die schlechten hygienischen Bedingungen rasch ausbreite.
Viele Kinder hätten Gewalttaten gesehen, heißt es in dem Unicef-Bericht. Psychologische Betreuung bekommen sie in den Flüchtlingslagern in Bangladesch nicht oder nur vereinzelt.
Trotzdem kommen wöchentlich mehr als zehntausend neue Rohingya-Kinder mit ihren Familien in den Camps an. Die Hilfsorganisationen vor Ort berichten zunehmend, dass ihnen die Ressourcen ausgehen.
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