Anatomie einer Krise Das Imperium americanum schlägt zurück

Tributpflichtige Vasallenvölker überall in Europa und Asien, ein Weltreich in der Tradition des alten Rom - in der Ära Bush ergeht sich Amerika in imperialen Fantasien. Auf Mitsprache pochende Bündnispartner empfindet die singuläre Supermacht zunehmend als politischen Ballast.
Von Jochen Bölsche

Prompt förderte das kollektive Gedächtnis Amerikas die bösen Worte wieder zu Tage: Kleine "Feiglinge" seien die Franzosen, und "Froschschenkelfresser" obendrein.

Seit Frankreich im Nato-Streit an die Seite Deutschlands gerückt ist, überbieten sich US-Zeitungen und US-Politiker mit Schimpfkanonaden auf die Pariser Regierung. Die "New York Post" warf dem Nato-Partner schnöde Undankbarkeit vor: Wären im Zweiten Weltkrieg nicht Zehntausende junger Amerikaner für Frankreichs Freiheit gefallen, würden die Franzosen heute "das Deutschlandlied statt der Marseillaise singen".

Und erst die undankbaren Deutschen, die sich jetzt daran machten, das atlantische Bündnis zu zertrümmerten: Würden sie nicht, wie ein US-Senator zu bedenken gab, ohne die Nato "in einer Sowjetrepublik" leben?

Welch großen Anteil indes amerikanische Arroganz am Zustand der Allianz hatte, blieb dem US-Publikum weitgehend verborgen. Nur wenige liberale Blätter wiesen, wie die "New York Times", nach dem Zerwürfnis auf die Mitverantwortung der Washingtoner Bush-Krieger hin: Sie hätten die "Wer-nicht-für-uns-ist-Doktrin in törichter Weise auf einige unserer wichtigsten Verbündeten" angewandt.

Vielen Europäern wiederum ist entgangen, welch epochaler Klimawandel sich seit dem Amtsantritt von George W. Bush in den USA vollzogen hat: Zunehmend vergleichen US-Historiker und -Publizisten die einzige verbliebene Weltmacht mit dem Römischen Reich - und US-Politiker führen sich auf, als seien sie allein die Herren der Welt.

"Amerika", jubelt der neokonservative Intellektuelle Dinesh D'Souza, "ist ein Empire geworden." Amerikanische Leitartikler jubilieren, niemals in der Geschichte der Menschheit sei ein Land - weder das Mongolenreich noch das britische Weltreich - derart dominant gewesen wie das "imperium americanum" von George Bush junior.

Der Präsident, der sich von Gott berufen wähnt, "die Welt zum Frieden zu führen", legt ein Gehabe an den Tag, als sei er selber der Master of the Universe. Selbst der Erzatlantiker Helmut Schmidt urteilt, derzeit hätten es die Europäer "verstärkt" mit einer "imperialistischen Tendenz" der USA zu tun, die sowohl die internationalistischen als auch die isolationistischen Traditionen des Landes überlagere.

Zunehmend Widerhall findet in den USA unter dem Gotteskrieger Bush eine Weltmachtstrategie, die der neokonservative Flügel der US-Administration bereits vor seinem Amtsantritt entwickelt hat: Die USA müssten anstreben, "unabhängig davon, ob es tatsächlich eine Bedrohung gibt, militärisch so stark zu sein, um jeden anderen Staat permanent so einschüchtern zu können, dass er sich den US-amerikanischen Interessen und Zielen unterordnet", beschreibt der Hamburger Friedens- und Konfliktforscher Hans J. Gießmann dieses Konzept. Wann immer es US-Interessen diene, würden "multilaterale Strukturen betont" ... "wenn nicht, verabschiedet man sich mehr oder weniger brutal von ihnen".

"Tributpflichtige Staaten" in Europa und Asien

Bushs "Krieg gegen den Terrorismus", analysiert der Professor, ziele nicht zuletzt darauf ab, "geopolitische Positionsgewinne" zu erreichen - ganz im Sinne des einstigen Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski, der schon vor sechs Jahren konstatiert hatte, die künftige Weltgeltung Amerikas hänge, auch angesichts des aufstrebenden China, davon ab, ob es gelinge, den gesamten "eurasischen Kontinent" zu dominieren.

Die Chancen, so Brzezinski, stünden gar nicht mal so schlecht: Bereits jetzt, ermunterte er die Amerikaner 1997, seien Europa und Asien "von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington gebunden wären".

Die Anschläge vom 11. September 2001 erleichterten es Militärpolitikern wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die Amerikaner für ihre "Strategy of Predominance" zu gewinnen. Mit enormem Finanzaufwand wird in den USA seither eine Kriegsmaschinerie perfektioniert, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat: Die USA wollen in der Lage sein, missliebige Staaten notfalls auch im Alleingang mit Präventiv- und Entwaffnungskriegen zu bestrafen.

Schon jetzt ist der militärische Apparat der USA so gigantisch, ihre politische Dominanz so einzigartig, dass Richard Haas, der Planungschef von Außenminister Colin Powell, verkünden kann: "Wenn es keinen Konsens mit der Nato gibt, dann zimmert sich Washington eben 'Koalitionen der Willigen'; kommen auch sie nicht zustande, entscheidet und handelt Washington allein."

Pro Tag eine Milliarde für die "Predominance"

Den Weg von der weltweiten Vorherrschaft zur Weltherrschaft wollen sich die USA mit einem bombastischen Militäretat ebnen, der bereits voriges Jahr rund 380 Milliarden Dollar ausmachte - mehr als die Verteidigungsbudgets der 14 folgenden Länder zusammengenommen. Schon vor dem Aufmarsch am Golf verschlangen die US-Streitkräfte mithin Tag für Tag mehr als eine Milliarde Dollar.

Das steile Gefälle zwischen den Militäretats der Nato-Partner erleichtert es den USA, Mitspracheforderungen mit dem schlichtesten aller Argument abzuwimmeln: "Money talks" - wer zahlt, bestimmt. Dennoch weigern sich die meisten europäischen Verbündeten beharrlich, sich auf ein (ohnehin aussichtsloses) Wettrüsten mit ihrer Vormacht einzulassen.

Im Gegenteil: Geplagt von Rezession und von Geldnöten sind die meisten europäische Regierungen - Geiz ist geil - bestrebt, ihren Militäretat einzufrieren, um so lange wie möglich die so genannte Friedensdividende zu kassieren, die das Ende des Ost-West-Konfliktes ihnen beschert hat. Dabei nimmt das alte Europa die Konsequenz in Kauf, dass sein militärpolitischer Einfluss auf den rüstungsfrohen Großen Bruder jenseits des Atlantik gen Null tendiert.

Neben den finanziellen Differenzen entzweit eine technologische Kapazitätslücke die Partner: Die Europäer können mit der "besten Armee der Welt" (Bush) auch deshalb nicht mithalten, weil die USA sich sträuben, Exportlizenzen für besonders hochwertige Rüstungsgüter an ihre Alliierten weiterzugeben, etwa für die Tarntechniken ihrer "Stealth"-Flugzeuge.

Lesen Sie im 2.Teil, warum die Amerikaner von den Nato-Kümmerlingen genervt sind

"Too much Europe", klagen die US-Strategen

"Die USA möchten am liebsten die Systeme, die sie selbst mit hohem Aufwand entwickelt haben, selbst verkaufen", sagt der Bonner Politologie-Professor Christian Hacke. Folglich werde, so Hacke, die tückische Lücke "immer größer" ... "vor allem in den Bereichen Aufklärung, Kommunikation, Hightech-Waffen und Mobilität".

Derart steil ist das Technologie-Gefälle zwischen der Supermacht, die bis an die Zähne gerüstet ist, und den "zahnlosen Papiertigern" (Ex-Generalinspekteur Klaus Naumann) auf dem alten Kontinent, dass hohe Militärs bereits daran zweifeln, ob die ungleichen Streitkräfte in Teilbereichen überhaupt noch kooperationsfähig sind.

Kein Wunder, dass US-Militärplaner (typisches Wehklagen: "too much Europe") von den Mitsprachewünschen der Nato-Kümmerlinge zunehmend genervt sind. Einflussreiche US-Leitartikler, etwa im "Wall Street Journal", spekulieren sogar bereits darüber, ob die Nato nicht längst ebenso überflüssig sei wie die Seato, der zu Grabe getragene südostasiatische Schwesterpakt.

"Out of area or out of business"

Die US-Strategen indessen haben dem Relikt aus den Zeiten des Kalten Krieges zwei wichtige Zukunftsaufgaben zugedacht:

  • Im kommenden Jahr soll die Nato sieben Länder, die einst von der Roten Armee beherrscht wurden, aufnehmen und sie damit ins westliche Sicherheitssystem einbinden. Die angepeilte Einbeziehung von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien und der Slowakei sowie eine verstärkte Kooperation mit Russland würde den Einfluss des Pentagon und die Absatzmärkte der US-Rüstungsindustrie weit in Richtung Asien verschieben.
  • Ebenfalls 2004 wird die laut Bush "wichtigste Reform" seit der Gründung der Allianz wirksam: Mit einer speziellen Eingreiftruppe, der "Response Force", soll die Nato endgültig ihre traditionelle Selbstbeschränkung auf den Großraum Europa aufgeben, indem sie weltweit bei innerstaatlichen Krisen einmischt und sich dem räumlich wie zeitlich unbegrenzten "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" widmet.
Zu dieser "Revolution im Bündnis" ("Berliner Zeitung") war die Nato von den Amerikanern mit einem Angst einflößenden Schlagwort geprügelt worden: "Out of area or out of business" - wenn der Pakt sich weigere, außerhalb seines 1949 abgezirkelten Areals anzutreten, fliege er aus dem Geschäft.

Mit jeder der beiden neuen Reformen wächst das Konfliktpotenzial im Bündnis. Die Osterweiterung beispielsweise macht eine gemeinsame Politik des europäischen Nato-Kerns noch schwieriger als bislang.

Die Erweiterungsstaaten werden es den USA leicht machen, mit Geld und guten Worten eine gemeinsame Position der sich allmählich emanzipierenden Europäer zu hintertreiben. Denn Washington kommt zugute, dass es die Neumitglieder im Osten auf Grund ihrer schlechten historischen Erfahrungen mit den Russen und mit den Deutschen die Nähe der transatlantischen Schutzmacht suchen. "Durch die Osterweiterung," analysiert ein Militärexperte, "wird Europa nicht europäischer, sondern amerikanischer werden."

Auch die weltweiten Feuerwehreinsätze werden für Zoff sorgen. "Die Neigung der USA, das Bündnis als Instrument amerikanischer Weltmachtpolitik und Globalstrategie zu betrachten, überfordert und schwächt den Bündniszusammenhalt," glaubt Klaus-Dieter Schwarz von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Mit Diktatoren und Despoten für Democracy

Während das Spannungspotenzial innerhalb der Nato wächst, taugen die viel beschworenen "gemeinsamen westlichen Werte" immer weniger als Kitt zwischen den auseinander strebenden Partnern.

Schon in den Flegeljahren der Nato hatte die Mitgliedschaft damaliger Militärdiktaturen wie Portugal, Griechenland und Türkei die Berufung auf Freiheit und Demokratie hohl und heuchlerisch erscheinen lassen. Unter Bush scheint die Bereitschaft der USA erneut gestiegen, im Namen von Freedom and Democracy auch mit Diktatoren und Despoten zu paktieren - sei es mit arabischen Scheichs, sei es mit asiatischen Warlords.

Der Trend, mal mit Freunden, mal mit Finsterlingen gemeinsame Sache zu machen, stößt vor allem in Deutschland, bei den demokratischen Musterschülern der Angloamerikaner, auf Unverständnis.

Eine "Werte-lose" Bündnispolitik sei "wertlos", kritisiert Karl-Heinz Kamps, der Planungschef der Konrad-Adenauer-Stiftung, den american way of war. Wenn Bush statt mit seinen Nato-Partnern wechselweise mit Demokraten und Antidemokraten paktiere, "wäre die über Jahrzehnte beschworene transatlantische Wertegemeinschaft eine bloße Worthülse gewesen".

Die USA würden "die Werte, für die einzutreten sie sich stets vollmundig rühmen", heutzutage "je nach Opportunität berücksichtigen oder eben auch nicht", rügte Horst Harnischfeger, Ex-Präsident der deutschen Goethe-Institute, bereits voriges Jahr auf einer militärpolitischen Tagung die anwesenden US-Vertreter.

Zudem, so Harnischfeger, führe die "vielfach verfolgte Strategie, dass der Feind deines Feindes dein Freund sei", "immer wieder in Probleme" - "letztes Beispiel: die Taliban".

Der Deutsche gab Abgesandten des US-Präsidenten einen "weisen Ratschlag des Freiherrn von Knigge aus dem Jahre 1788" mit auf den Weg: "Mache nie gemeinschaftliche Sache mit Bösewichten gegen Bösewichte."

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