Migration nach Südafrika "Wir erleben einen Wettstreit um knappe Ressourcen"

Plünderer in Johannesburg, Anfang September: "Wettstreit um knappe Ressourcen"
Foto: Michele Spatari/ AFPZwischen Europa und Südafrika liegen 8000 Kilometer - doch auch am Kap gibt es eine Migrationsdebatte, die mitunter sogar in Gewalt umschlägt. Vor wenigen Wochen kam es zu Ausschreitungen, zwölf Menschen starben in der Folge. Das mutmaßliche Motiv: Ausländerhass.
Paul Mashatile, Spitzenpolitiker der Regierungspartei ANC, verweist auf wirtschaftliche Probleme in benachteiligten Regionen des Landes. Frustrierte Südafrikaner, die unter der heimischen Krise litten, suchten die Schuld bei Ausländern aus den deutlich ärmeren Nachbarstaaten, sagt er.
Im Interview erklärt der 58-Jährige, wie seine Partei gegensteuern will - und warum für wirtschaftlichen Aufschwung neue Schulden nötig sind.

Paul Mashatile, 58, ist Schatzmeister des African National Congress (ANC) in Südafrika. Zur Partei stieß er während der rassistischen Apartheidherrschaft, als der ANC noch verboten war. Heute steht er als Weggefährte von Präsident Cyril Ramaphosa im Zentrum der Macht.
SPIEGEL: Anfang September kam es zu Ausschreitungen in Johannesburg und Pretoria, die mutmaßlich ausländerfeindlich motiviert waren. Hunderte Nigerianer haben seither das Land verlassen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Was ist da los?
Mashatile: Die hohe Arbeitslosigkeit ist eines der größten Probleme Südafrikas. Wir erleben einen Wettstreit um knappe Ressourcen. Viele Menschen haben Geschäfte geplündert und nicht etwa Ausländer gejagt, das zeigen die Videos der Ausschreitungen.
SPIEGEL: Es gab zwölf Tote bei den Krawallen, Präsident Cyril Ramaphosa hat sich beim nigerianischen Präsidenten entschuldigt.
Mashatile: Ja, aber die Toten waren keine Nigerianer. Es waren zehn Südafrikaner und zwei Menschen aus Simbabwe. Wir verurteilen die Gewalt, aber Südafrikaner sind nicht per se ausländerfeindlich. Wir sind von jeher eine Migranten-Nation. Gegenwärtig sind wir jedoch mit einer sehr starken irregulären Zuwanderung konfrontiert, aus Mosambik und Nigeria, aber auch aus Simbabwe. Viele der Menschen ohne Papiere suchen einfach eine bessere Zukunft. Es gibt unter ihnen aber auch solche mit schlechten Absichten, die etwa als Drogenhändler arbeiten. Darum wird es ein neues Gesetz zur Grenzsicherung geben. Wir werden eine Grenzschutzbehörde schaffen, und wir werden eine Registrierungspflicht einführen.

Plünderer in Johannesburg, Anfang September: "Wettstreit um knappe Ressourcen"
Foto: Michele Spatari/ AFPSPIEGEL: Migranten mit schlechten Absichten, sagen Sie. Haben Sie Zahlen?
Mashatile: Wir haben wohl mehr als vier Millionen Ausländer in Südafrika, den Aufenthalt vieler Simbabwer haben wir kürzlich legalisiert. Was die irregulären Einwanderer angeht, habe ich keine Zahlen. Wir suchen ein friedliches Zusammenleben, und wir wollen unseren regionalen Nachbarn helfen, damit ihre Wirtschaft wachsen kann. Wenn das nicht passiert, gehen die Menschen weiter von dort fort. Wir haben eben kein Meer zwischen uns und Simbabwe, da ist nur ein Zaun. Niemand wird in Simbabwe bleiben und freiwillig den Hungertod sterben.
SPIEGEL: Sie wollen ihren Nachbarn helfen, dabei steckt Ihre Wirtschaft selbst in einer ernsten Krise. Wie soll das gelingen?
Mashatile: Präsident Ramaphosa will einen Infrastrukturfonds aufsetzen. Die Mittel sollen unter anderem in den Eisenbahnsektor fließen. Der öffentliche Nahverkehr soll modernisiert werden, den Güterverkehr wollen wir auf die Schiene bringen.
SPIEGEL: Mangels Wachstum bedeutet das aber neue Schulden. Wollen Sie die machen?
Mashatile: Für Infrastrukturprojekte Geld zu leihen, ist nicht schlecht. Falsch war es, dass wir uns in der Vergangenheit für unseren Konsum verschuldet haben. Wir müssen die Lohnausgaben im öffentlichen Dienst senken und werden sicher keine Schulden machen, um Löhne zu bezahlen. Vielmehr müssen wir dort Personal abbauen. Unser Schuldenstand beträgt schon jetzt 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das müssen wir eindämmen. Aber wenn wir Bahnstrecken ausbauen sollen, können wir dafür auf jeden Fall Geld aufnehmen.
SPIEGEL: Welches Wachstumsziel haben Sie sich gesetzt?
Mashatile: Um mit der hohen Arbeitslosigkeit fertigzuwerden, brauchen wir ein jährliches Wachstum von vier Prozent und mehr - mit nur einem Prozent wie jetzt schaffen wir es nicht. Strukturreformen sind der Schlüssel. Der Finanzminister wird sie in wenigen Tagen vorstellen. Gerade an den Bahnbetreiber Transnet wollen wir ran, da ist auch in Zusammenhang mit state capture vieles schiefgegangen.
SPIEGEL: Wir müssen erklären: State capture beschreibt, dass reiche Unternehmerfamilien mit Beziehungen zu Ex-Präsident Jacob Zuma auf mutmaßlich illegale Weise Staatsaufträge erhalten haben - Korruption im ganz großen Stil, jahrelang. Eine eigene Kommission arbeitet diese Verdachtsfälle auf. Die Sorge wächst, dass es am Ende nur wenige Anklagen geben könnte. Was denken Sie?
Mashatile: Die Strafverfolger sagen, erst wenn die Kommission fertig ist, gibt es Anklagen. Ich kann aber nicht sagen, ob das noch dieses oder nächstes Jahr sein wird. Es gibt keine Deadline für die Kommission. Aber auch uns ist daran gelegen, dass es nicht mehr zu lange dauert.

Unsaubere Waffengeschäfte in den Neunzigerjahren? Jacob Zuma vor Gericht in Pietermaritzburg, Mitte Oktober
Foto: Michele Spatari/ AFPSPIEGEL: Ex-Staatschef Zuma soll im Zentrum des Skandals stehen, muss er am Ende auch vor Gericht?
Mashatile: Klar ist, dass es keine heiligen Kühe geben darf. Es muss Anklagen geben, ohne Wenn und Aber. Es geht hier nicht um eine parteiinterne Säuberung, aber wenn es Leute im Parteivorstand oder Minister gibt, die sich schuldig gemacht haben, sind sie dran. Natürlich wird es Leute geben, die sich auf ihre Position, auf ihren Rang im ANC berufen und Bevorzugung erwarten. Aber die liegen falsch.