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Präsidentenwahl in Polen Sieg über die Arroganz der Mächtigen

Polens liberale Macht-Elite hat die Stimmung der Wähler verkannt - nun bekommt sie die Quittung: Neuer Präsident ist der Nationalkonservative Andrzej Duda. Im Verhältnis zu Deutschland könnte eine neue Eiszeit anbrechen.

Der Tod der alten Dame zögerte den Machtwechsel in Warschau noch um eineinhalb Stunden heraus. Sie hatte um 17.30 Uhr ihr Kreuzchen gemacht, war zur Urne in einer Grundschule im schlesischen Dorf Kowale geschritten - und plötzlich zusammengebrochen. 90 Minuten dauerte die Reanimation, sie verlief erfolglos. Die 80-Jährige starb noch im Wahllokal, das um die Zeit des Notfalleinsatzes länger geöffnet blieb. Landesweit wurde deswegen die sogenannte "Wahlstille" entsprechend verlängert, jene Zeit, in der die Medien keine Umfrageergebnisse veröffentlichen dürfen.

Statt um 21 Uhr meldeten die Fernsehsender also erst um 22.30 den klaren Sieg von Andrzej Duda, des Kandidaten der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Amtsinhaber Bronislaw Komorowski von der liberalen Bürgerplattform liegt um etwa vier Prozent hinter Duda.

Dessen Sieg ist überraschend: Bis vor Kurzem war der Anwalt aus Krakau bestenfalls ein Hinterbänkler in der von Parteigründer Jaroslaw Kaczynski mit harter Hand geführten PiS. Ist der neue Mann im Präsidentenpalast an der Straße Krakowskie Przemiescie Nr. 48/50 nur Kaczynskis Handpuppe, oder ein eigenständiger moderner Rechtspolitiker? Zieht unter Duda wieder eine Eiszeit zwischen Polen und Deutschen herauf, wie damals vor acht Jahren, als Kaczynski und sein mittlerweile verstorbener Zwilling Lech in Warschau regierten?

Die Volkswut gegen die Regierung

Nichts sprach zunächst für den 43-jährigen Duda: Seine Partei, die PiS, dümpelte als Folklore-Gruppe am rechten Rand dahin, beschäftigt vor allem mit dem national-pathetischen Totenkult um Lech Kaczynski. Der war als Präsident 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Andrzej Duda trat zudem eher leise auf. Ein Intellektueller, kein polternder Volkstribun, der die Polen polarisiert.

Duda bei der Stimmabgabe mit Ehefrau Agata (verdeckt) und Tochter Kinga: Kein polternder Volkstribun

Duda bei der Stimmabgabe mit Ehefrau Agata (verdeckt) und Tochter Kinga: Kein polternder Volkstribun

Foto: Jacek Bednarczyk/ dpa

Komorowski dagegen sprach für die Partei des Erfolges: Unter der Regierung der Bürgerplattform hat Polen die Wirtschaftskrise ohne Rezession überstanden, war in der EU zu einem geachteten Partner herangewachsen. Den wichtigen Posten des Ratspräsidenten in Brüssel bekleidet mit Donald Tusk ein Pole.

Doch dessen Landsleute - das haben die beiden Wahlgänge zum höchsten Staatsamt gezeigt - waren schon lange unzufrieden und haben ihre Wut auf die Regierenden an Bronislaw Komorowski abreagiert. Der Mann stand in den Augen der Mehrheit wohl für jene Mischung aus Arroganz und Langeweile, die dem Regierungslager insgesamt nachgesagt wird.

Als arrogant gilt die regierende Bürgerplattform (PO), weil sie sich nach zwei Amtszeiten an der Regierung schon bequem mit der Macht eingerichtet hat. Im ersten Wahlgang war Komorowski so siegessicher, dass er zu einem echten Wahlkampf gar nicht antrat. Eine Diskussion mit seinem Herausforderer im Fernsehen sagte er ab. Dabei hat die Bürgerplattform ihren Landsleuten durchaus Härten zugemutet, etwa indem sie das Rentenalter auf 67 anhob. Gleichzeitig ließen Komorowski und seine Regierungen etliche Probleme liegen, wie etwa die Reform des Verwaltungsapparates und des Steuersystems.

Bronislaw Komorowski: Wechselstimmung nicht erkannt

Bronislaw Komorowski: Wechselstimmung nicht erkannt

Foto: PAWEL KOPCZYNSKI/ REUTERS

Die Wechselstimmung im Land haben sie einfach übersehen - und waren erstaunt, dass vor allem ihre junge Klientel im ersten Wahlgang massenhaft zu dem wirr politisierenden Rockstar Pawel Kukiz überlief und Duda sogar gewann.

Ein großer Verlierer sitzt in Brüssel

In der Stichwahl gab sich der neue Star der Rechten dann vor allem sozial, er vermied jeden nationalistischen Zungenschlag. Unermüdlich war er durch das Land gereist, hatte den Kontakt zu den Menschen gesucht - und einen Vorsprung ergattert, den Komorowski nicht mehr aufholen konnte. Auch nicht, indem dieser hektisch ein paar Reformvorschläge nachreichte. In Diskussionen wirkte Komorowski müde und alt, Duda frisch und kämpferisch.

PiS-Mentor Jaroslaw Kaczynski hielt sich im Hintergrund, selbst nach dem Sieg schwieg er. Das könnte darauf hindeuten, dass er dem Jüngeren das Feld räumt. Was Duda dann in Fragen der Europapolitik und im Verhältnis zu den Deutschen unternimmt, ist unklar. Diese Themen hatte er im Wahlkampf weitgehend vermieden.

Kaczynski könnte aber auch - wie er es so oft getan hat - aus dem Hintergrund die Fäden ziehen. Dazu würde er jetzt "seine Leute" in die Präsidialkanzlei schicken, auf dass sie Duda einmauern und auf Linie bringen - eine Linie, die ganz Europa verändern könnte. Zumal im Herbst Parlamentswahlen sind.

Kaczynski selber könnte wieder nach dem Amt des Premiers greifen, das er bereits von 2006 bis 2007 innegehabt hatte. Damals war Polen zum Paria in Europa geworden, hatte wichtige Brüsseler Beschlüsse blockiert. Den Deutschen hatte Kaczynski pauschal unterstellt, ihre Kriegsschuld wegdiskutieren zu wollen.

Jaroslaw Kaczynski (li., mit Bruder Lech †2010): Fäden ziehen aus dem Hintergrund

Jaroslaw Kaczynski (li., mit Bruder Lech †2010): Fäden ziehen aus dem Hintergrund

Foto: epa pap Radek Pietruszka/ dpa

Außer Komorowski gibt es noch einen weiteren Verlierer der jüngsten Präsidentenwahl: Donald Tusk.

Der Ex-Premier ist im Herbst ins Amt des EU-Ratspräsidenten gewählt worden. Dort ist eines seiner Ziele, seinem 40-Millionen-Land eine wichtige Position in der EU zu sichern. Er tut dies mit Augenmaß und Pragmatismus. Hardliner in Warschau, die mit national-egoistischen Positionen querschießen, kann Tusk nicht gebrauchen. In der Nacht ließ sich der Ratspräsident nichts anmerken und twitterte artig: "Ich gratuliere Andrzej Duda zu seinem Sieg und wünsche eine bestmögliche Zeit als Präsident."

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