
Westjordanland: Gewalt der jüdischen Siedler
Angriffe auf Soldaten Israels Armee will radikale Siedlerjugend stoppen
Es kommt selten vor, dass Berichte über Übergriffe radikaler jüdischer Siedler im Westjordanland die Schlagzeilen in Israel bestimmen. Diese Woche war das anders, und das liegt an den Opfern, die sich die Fanatiker aussuchten: Statt auf Palästinenser gingen sie auf jüdische Israelis los.
Am Montag griffen 300 junge Randalierer nahe der nördlich von Jerusalem im Westjordanland gelegenen Siedlung Ramat Gilad Soldaten der Ephraim-Brigade an. Einige vergriffen sich dabei auch am Fahrzeug des Kommandeurs, öffneten dessen Türen, warfen Steine in den Wagen und verletzten den Offizier und seinen Stellvertreter. Am Dienstag stürmten etwa 50 Siedler und rechtsnationale Aktivisten die Stellung derselben Brigade. Auf dem Gelände warfen sie Brandbomben und Steine auf Soldaten, zündeten Reifen an und beschädigten Jeeps der Armee.
Es nicht das erste Mal, dass Siedler mit der Armee aneinandergeraten: Wie auch in diesem Fall geht es dabei meistens um die Räumung von Kleinstsiedlungen durch die israelische Armee (IDF). Israel versucht, mit solchen Aktionen den Wildwuchs von Siedlungen auf dem von Israel seit 1967 besetzten palästinensischem Gebiet zu stoppen. Inzwischen leben etwa eine halbe Millionen Israelis im Westjordanland. Nach internationalem Recht ist die Besiedlung besetzter Gebiete mit Angehörigen des Besetzer-Volkes illegal.
Doch die Zeiten, in der die Mehrheit der Israelis die Siedlungspolitik rechtslastiger Gruppen und Politiker ohne große Proteste hinnimmt, könnten bald vorbei sein. Und auch die Reaktionen hochrangiger Offiziere auf die Ereignisse vom Wochenbeginn deuten darauf hin, dass die Armeeführung mit ihrer Geduld am Ende ist.
Die Siedlerjugend ist außer Kontrolle geraten
Die IDF müsse sich plötzlich gegen das eigene Volk verteidigen, sagt der israelische Oberkommandeur Benny Gantz. "Dies ist eine unvorstellbare Absurdität, eine unglaubliche und gefährliche Realität." Die Zeitung "Jedioth Achronoth" zitierte einen hochrangigen Offizier, der warnte, bald würden die Siedler Waffengewalt gegen Soldaten der IDF einsetzen. "Dann kann niemand überrascht tun." General Avi Mizrahi sagte der Zeitung, in seinen 30 Jahren in Uniform habe er keinen solchen Hass von Juden gegen Juden erlebt wie in dieser Woche. Es handele sich bei den Angriffen auf die Ephraim-Brigade um einen geplanten Akt, keine spontane Ausschreitung. Deutliche Worte fand auch Verteidigungsminister Ehud Barak, der die Vorfälle als "Terrorismus" bezeichnete.
Die IDF kündigte an, vergleichbare Vorfälle künftig als "jüdischen Terrorismus" zu kategorisieren. Zudem beraten die Militärs, wie sie gewalttätigen Siedlern weiterhin begegnen wollen. Dabei sind nach den Berichten israelischer Medien der Einsatz nicht-tödlicher Waffen wie Tränengas, Wasserwerfer, Geruchs- und Lärmwaffen im Gespräch. Auch müsse der Einsatz von Feuerwaffen gegen jüdische Angreifer überdacht werden. Der Minister für öffentliche Sicherheit, Jizchak Aharonovitch, empfahl, gewalttätige Siedler aus dem Westjordanland zu verbannen.
Fehlgeleitete Politik Netanjahus
Auf der Suche nach Ursachen für das Verhalten der Siedler verweisen die wichtigsten Kommentatoren in Israel auf eine fehlgeleitete Regierungspolitik des Kabinetts Benjamin Netanjahus. Die rechtslastige Koalition trage Mitschuld daran, dass die Siedlerjugend außer Kontrolle geraten sei, schrieb Israels wohl bekanntester Kolumnist Nahum Barnea in der "Jedioth Achronoth". Netanjahu, der kürzlich noch gefordert habe, dass Moscheen in Israel keine Lautsprecher mehr benutzen dürften, müsse sich nicht wundern, wenn die Jugend sich mit ihren Rechtsaußen-Ansichten im Recht glaube.
Alex Fishman schreibt in derselben Zeitung, Netanjahu und seine Gesinnungsgenossen hätten jahrelang tatenlos zugesehen, wie die Siedler die Interessen des Staates sabotiert und rechtlich bindende Entscheidungen ignoriert hätten. Netanjahus Empörung über die jüngsten Vorfälle sei scheinheilig und verlogen. Auch Ben Caspit von der "Maariv" attackierte den Regierungschef und erinnerte daran, dass es Netanjahu war, der sich kürzlich dafür ausgesprochen hatte, den Diebstahl von palästinensischem Land durch Siedler im Nachhinein zu legalisieren.
Bei aller Aufregung über die Attacke auf die Ephraim-Brigade dürfe nicht aus der Sicht geraten, wem die Gewalt der Siedler meistens gelte, mahnte Boaz Okon in der "Jedioth Achronoth". "Gegen Araber in den besetzten Gebieten werden viel abscheulichere Verbrechen begangen", schreibt Okon. Am Mittwoch allein wurden fünf palästinensische Autos angezündet, und Jugendliche bewarfen Palästinenser mit Steinen. Im Westjordanland und in Jerusalem wurden Moscheen in Brand gesteckt. Die Täter hinterließen Graffiti, in denen sie den Anschlag als Vergeltung für die Räumung von Siedlungen einordneten.
"Jeder, der von den Attacken rechter Aktivisten gegen die Armee abgestoßen ist, kann sich nur schwer vorstellen, was die Palästinenser jeden Tag erleiden müssen", schreibt Okon. "Es gibt niemanden, der die Araber schützen oder verteidigen könnte."