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US-Drohnen: Lautlose Killer über Pakistan

Foto: USAF

Angriffe in Pakistan Obamas Illusion vom sauberen Drohnenkrieg

Es war ein unerwartetes Geständnis. In einer Online-Fragestunde hat US-Präsident Obama erstmals zugegeben, was alle wussten - Amerika greift mit todbringenden Drohnen Ziele in Pakistan an. Das Risiko für Zivilisten sei minimal, beschönigte er. Die Realität sieht anders aus.

Hamburg - Ein einziges Mal ließ Barack Obama während der Online-Fragestunde beim Facebook-Rivalen Google+ wirklich aufhorchen. Von einem User nach den Drohnenflügen über dem Irak gefragt, räumte der US-Präsident zum ersten Mal auch den Einsatz unbemannter Kriegsgeräte über pakistanischem Staatsgebiet ein. Mit den Drohnen fliege das Militär "sehr präzise Angriffe gegen al-Qaida und seine Verbündeten", so Obama. Zahlreiche Luftschläge habe es im Fata-Gebiet gegeben, dem pakistanisch kontrollierten Stammesgebiet an der Grenze zu Afghanistan.

Es ist eine unerwartete Abkehr von der bisherigen Sprachregelung der US-Regierung. Zwar waren die Angriffe im In- und Ausland allgemein bekannt, eine offizielle Stellungnahme gab es bisher jedoch nicht. Diplomaten und hohe Mitarbeiter des Pentagons hatten sich nur hinter vorgehaltener Hand zum Thema geäußert. Nun folgt die Bestätigung - von allerhöchster Stelle.

International, vor allem aber in der pakistanischen Bevölkerung, sind die Attacken aus der Luft höchst umstritten. Immer wieder kommen dabei nicht nur Terroristen, sondern auch Zivilisten ums Leben. Erst am Freitag demonstrierten rund 100.000 Pakistaner in Karatschi gegen die Drohnenangriffe.

Obama schickte in seinem Online-Interview deshalb auch gleich eine ausführliche Rechtfertigung hinterher. Das Militär agiere "sehr vorsichtig bei der Verwendung" der Hightech-Waffen. Niemand solle davon ausgehen, dass es einen "Haufen wahlloser Angriffe" geben würde. Die Attacken richteten sich vielmehr gegen Personen auf einer Liste mit aktiven Terroristen. Diese versteckten sich in der bergigen Region und seien mit konventionellen Mitteln ohnehin kaum aufzuspüren.

Das also ist Obamas Botschaft: Ja, es gibt Angriffe in Pakistan. Jede Hysterie ist aber unbegründet. Viel zu genau operieren die Streitkräfte, als dass eine große Gefahr für Zivilpersonen bestünde.

Beobachter berichten von zahlreichen Zivil-Opfern

Gegen diese Einschätzung sprechen die Zahlen des Londoner Bureau of Investigative Journalism. Die Non-Profit-Organisation hat die US-Drohnen-Attacken in Pakistan seit 2004 analysiert. Damals hatte Obama-Vorgänger George W. Bush das Programm ins Leben gerufen, gesteuert werden die fliegenden Waffenträger durch den US-Geheimdienst CIA. Laut dem Londoner Büro kamen bei mehr als 300 Angriffen rund 2400 Menschen ums Leben - mindestens 400 davon Zivilisten (Stand August 2011).

Bereits in den letzten Monaten hatte sich ein Wandel in der Kommunikationspolitik rund um die US-Drohneneinsätze abgezeichnet. So sprach Verteidigungsminister Leon Panetta im Oktober über die Verwendung von unbemannten Flugobjekten durch die CIA. Dabei ließ er allerdings offen, wo diese Drohnen eingesetzt wurden - und ob sie zur reinen Überwachung oder auch für direkte Attacken genutzt wurden.

Obama selbst hatte das Thema bisher konsequent ausgeklammert. Nun geht er in die Offensive. Immer wieder kam der US-Präsident auf die Präzision der Hightech-Fluggeräte zurück, immer wieder betonte er die sorgfältige Auswahl der Ziele. "Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir das Drohnenprogramm an der kurzen Leine halten", so Obama mit Blick auf Attacken sowohl im Irak als auch im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet.

Massiver Widerstand in der pakistanischen Bevölkerung

Die wütenden Proteste in der pakistanischen Bevölkerung wird er mit diesen Beteuerungen kaum beruhigen können. Zu der Massendemo in Karatschi am vergangenen Freitag hatte Pakistans größte religiöse Partei, Jamiat Ulema-i-Islam (JUI), aufgerufen. Die Pakistaner seien keine Feinde des Westens und der USA, sagte Parteichef Maulana Fazlur Rehman vor den Demonstranten in der südpakistanischen Hafenmetropole. Pakistan lehne es aber ab, dass die USA "unterwürfigen Gehorsam" von dem Land erwarteten.

Unklar ist noch, warum die USA in ihrer Kommunikationsstrategie umschwenken. In der vergangenen Woche hatte das US-Magazin "Newsweek" gemeldet, dass sich die Obama-Administration in den kommenden Wochen auch zu einem anderen umstrittenen Drohnen-Einsatz äußern will. Im September 2011 war der Qaida-Führer Anwar al-Awlaki durch einen Angriff aus der Luft getötet worden. Die Aktion hatte scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisation nach sich gezogen.

Nach einer Unterbrechung hatten die USA ihre Drohnenangriffe in den pakistanischen Stammesgebieten Anfang Januar wieder aufgenommen. Die Einsätze gegen die radikalislamischen Taliban und andere militante Gruppen waren im November ausgesetzt worden, nachdem bei einem Nato-Angriff 24 pakistanische Soldaten getötet worden waren.

Islamabad hatte den USA und der Nato vorgeworfen, wissentlich auf die Stellungen geschossen zu haben. Der Vorfall hatte das ohnehin angespannte diplomatische Verhältnis beider Länder weiter verschärft.

Im Pentagon wächst seitdem die Angst vor einem möglichen Widerstand Pakistans gegen die US-Drohnen über dem eigenen Staatsgebiet. In einem geheimen Bericht eines amerikanischen Militärgeheimdienstes hieß es schon Ende September 2011, dass die pakistanische Armee die Grenzlinie zu Afghanistan mit zusätzlichen Radaranlagen, die den Himmel speziell nach Fluggeräten in niedriger Höhe wie Hubschrauber absuchen, und größeren Flugabwehrgeschützen vom Kaliber 155 ausgerüstet habe.

Pentagon will Drohnen-Flotte ausbauen

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE warnt der Bericht, dass die Aufrüstung an der Grenze "die Entdeckungsmöglichkeit, speziell von niedrig fliegenden Fluggeräten wie Helikoptern und Drohnen" steigern werde.

Trotz dieser Befürchtungen spielen die unbemannten Kriegsgeräte in den Planungen des US-Militärs eine wichtige Rolle. Wie das "Wall Street Journal" berichtet, will Verteidigungsminister Panetta den Drohnen-Bestand in den nächsten Jahren um rund ein Drittel ausbauen. Derzeit, so heißt es in dem Bericht, betreibe die Air Force rund um die Uhr 61 Drohnen-Kampfpatrouillen mit bis zu vier Flugzeugen pro Einsatz. Panettas Plan sehe vor, genug Drohnen für bis zu 85 Dauereinsätze zu haben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Leon Panetta sei der Außenminister der USA. Tatsächlich ist Panetta Verteidigungsminister. Wir haben den Text entsprechend geändert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Mitarbeit: Hasnain Kazim und Matthias Gebauer
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