Festgenommener Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft Diplomatischer Affront

Die Festnahme des Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft in Ankara verschärft die Krise im deutsch-türkischen Verhältnis. Wer ist Yilmaz S.?
"Nicht nachvollziehbar": Außenminister Maas und Amtskollege Cavusoglu

"Nicht nachvollziehbar": Außenminister Maas und Amtskollege Cavusoglu

Foto: Franck Robichon/ EPA-EFE/ REX

Yilmaz S. wusste nicht, dass der türkische Staat hinter ihm her ist.

Ein fünfköpfiges Team des Polizeidirektorats für organisierte Kriminalität in Ankara hatte ihn überwacht. Als S. am 17. September mit dem Bus von Istanbul nach Ankara reiste, saßen zwei Zivilbeamte hinter ihm. Er wurde direkt nach der Ankunft festgenommen.

So geht es aus einem Behördenvermerk hervor, der dem SPIEGEL vorliegt. Die Polizisten durchsuchten auch das Büro des Anwalts in Istanbul.

Seit Mitte September sitzt S. im Sincan-Gefängnis bei Ankara, in dem einige politische Gefangene festgehalten werden. Die Türkei wirft ihm Spionage vor.

S. hatte als sogenannter Vertrauensanwalt im Auftrag der Bundesregierung in der Türkei Informationen für Asylverfahren türkischer Schutzsuchender in Deutschland eingeholt. Der SPIEGEL hatte seinen Fall vergangenen Mittwoch öffentlich gemacht.

Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts befindet sich S. in Einzelhaft. Mitarbeiter der Botschaft haben kein Besuchsrecht, da er türkischer Staatsbürger ist. Anwalt Levent Kanat vertritt Yilmaz S. Kanat sagte der türkischen Zeitung "Evrensel", sein Mandant sei gesundheitlich angeschlagen.

S. hat Jura studiert, an der Dicle Universität in Diyarbakir, im mehrheitlich kurdischen Südosten der Türkei. Er vertrat unter anderem Politiker der prokurdischen Partei HDP. 2010 unterzeichnete er eine Petition, die für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts warb. Laut Berichten von Kollegen arbeitete S. seit 1997 für die deutsche Botschaft in Ankara. Die türkischen Behörden wurden offenbar auf ihn aufmerksam, als er in einer Datenbank des türkischen Justizministeriums recherchierte.

Deutsche Botschaft in Ankara (Archivfoto): Außenminister Maas nennt Festnahme "nicht nachvollziehbar"

Deutsche Botschaft in Ankara (Archivfoto): Außenminister Maas nennt Festnahme "nicht nachvollziehbar"

Foto: Rainer Jensen/ DPA

Der Fall S. hat die Krise im deutsch-türkischen Verhältnis verschärft: Die Bundesregierung fürchtet, sensible Daten über Asylbewerber könnten an den türkischen Geheimdienst gelangt sein. Nach Angaben eines Kollegen trug S. bei seiner Festnahme Akten von 43 Asylbewerbern bei sich. Der Staatsschutz hat mehrere Betroffene explizit gewarnt, dass der türkische Geheimdienst detaillierte Informationen erhalten hat.

Das Auswärtige Amt hat die Zusammenarbeit mit Vertrauensanwälten in der Türkei ausgesetzt. Außenminister Heiko Maas sprach den Fall Yilmaz S. am Rand des G20-Außenministertreffens in Japan gegenüber seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu an. Maas kritisierte die Festnahme des Anwalts als "nicht nachvollziehbar". Deutsche Diplomaten sprechen von einem Affront.

Regierungsnahe türkische Medien machen unterdessen gezielt Stimmung gegen S. Sie bezeichnen den Anwalt als "Spion" und "Terrorhelfer". Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, in Deutschland hielten sich Hintermänner des Putschversuchs von 2016 auf. Die türkische Regierung hatte deren Auslieferung in die Türkei gefordert.

Noch ist unklar, was genau die türkischen Behörden S. vorwerfen. Seine Akte ist unter Verschluss. Kollegen gehen jedoch davon aus, dass noch im Laufe dieser Woche Anklage gegen ihn erhoben werden könnte.

Schon jetzt zeigt der Vorgang, wie tief der Graben zwischen Berlin und Ankara nach wie vor ist: Während die Bundesregierung die Recherchen des Anwalts als Routine betrachtet, sieht die Erdogan-Regierung darin einen weiteren Beleg dafür, dass die Deutschen Staatsfeinde der Türkei unterstützen.

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