Tatverdächtiger Teenager des Barcelona-Anschlags "Alle Treulosen töten"

Moussa Oukabir
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Driss Oukabir
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Moussa Oukabir, der Hauptverdächtige von Barcelona
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Moussa Oukabir
Foto: imago/ E-PRESS PHOTO.comMoussa Oukabir hatte einen Traum. Vor zwei Jahren wurde er auf der Chat-App Kiwi gefragt: "Was würdest du an deinem ersten Tag als absoluter Herrscher machen?" Seine Antwort: "Alle Treulosen töten, nur diejenigen Muslime verschonen, die der Religion folgen."
Die Behörden halten es für wahrscheinlich, dass Moussa Oukabir der Todesfahrer von Barcelona ist. Der Teenager geriet ins Visier der Ermittler, nachdem sie seinen älteren Bruder Driss Oukabir und einen weiteren Verdächtigen verhaftet hatten.
Insgesamt wurden bislang vier Männer festgenommen - drei, darunter Driss Oukabir, stammen aus Marokko, einer ist Spanier. Sie sind 21, 28, 27 und 34 Jahre alt, keiner war den Anti-Terrorbehörden zuvor bekannt.
Diese halten sich aus ermittlungstaktischen Gründen bedeckt und viele Fragen zu den Hintergründen sind noch offen. Doch es gibt biographische Puzzleteile, die ein erstes, verstörendes Bild der beiden verdächtigen Brüder ergeben.
Wirre Weltanschauungen in sozialen Netzwerken
Spanischen Medienberichten zufolge soll Driss Oukabir 1989 in Aghbala geboren worden sein - einem kleinen Berberdorf im mittleren Atlasgebirge Zentralmarokkos. Er soll sich noch am Donnerstagabend in der katalanischen Stadt Ripoll den Behörden gestellt und erklärt haben, sein jüngerer Bruder Moussa habe seinen Pass gestohlen und damit den Fiat-Lieferwagen, der für den Anschlag auf der Flaniermeile Las Ramblas eingesetzt wurde, offenbar in Santa Perpetua angemietet.
Kurze Zeit nach Bekanntwerden seines Namens kursierte der Link zu seinem Facebook-Profil im Netz - mittlerweile wurde dieses gelöscht. Demnach lebte Driss Oukabir eine Zeit lang in Marseille, hört französische Hip-Hop-Musik und mag die US-Fernsehserie "Prison Break". Als Lieblingsbuch ist dort der Koran angegeben.
Driss Oukabir
Foto: Spanish National Police/ REX/ ShutterstockZudem soll er einige Zeit im Gefängnis von Figueres gesessen haben, wurde aber 2012 entlassen. Nun befindet sich Oukabir der Ältere wieder in Polizeigewahrsam.
Sein jüngerer, flüchtiger Bruder Moussa fungierte bei Facebook unter dem Namen "Moussa De la Vega". Der vermutlich 17-jährige Fußballfan gibt an, bei Coca-Cola zu arbeiten und an der Universität Barcelona zu studieren - nichts davon dürfte stimmen. Seine in sozialen Netzwerken zur Schau gestellte Weltanschauung wirkt wirr.
Im April etwa, zwei Tage nach dem verheerenden Giftgasangriff auf die syrische Kleinstadt Chan Scheichun, postete der Teenager bei Facebook ein Selfie von sich. Darauf zu sehen ist ein Jugendlicher, der lässig in einem Türrahmen posiert. Er trägt eine schwarze New York Yankees-Baseballmütze auf dem Kopf, ein weißes T-Shirt, eine große braune Uhr am rechten Handgelenk - und hat eine Flagge des Assad-Regimes in das Bild montiert mit der Aufschrift "Yo soy Siria - Ich bin Syrien."
Dieser Slogan wurde und wird von der "Syrischen Sozial-Nationalistischen Partei" (SSNP) in einer Onlinekampagne verwendet. Die Anfang der Dreißigerjahre gegründete SSNP ist eine panarabische, extrem nationalistische, antisemitische und säkulare Bewegung, deren Logo dem Hakenkreuz nachempfunden ist. Wie gefestigt der Teenager Moussa in seiner Ideologie aber wirklich ist, ist offen.
Moussa Oukabir, der Hauptverdächtige von Barcelona
Foto: privatEs scheint kaum möglich, dass er mit einigen wenigen mutmaßlichen Mittätern den komplexen Doppelanschlag in Barcelona und Cambrils in Eigenregie geplant hat. Die Behörden gehen deshalb von einer organisierten Terrorzelle aus. Möglicherweise steckt die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) dahinter.
Der IS hat den Anschlag über seine sogenannte Nachrichtenagentur Amaq noch am Donnerstagabend in einer Ein-Satz-Meldung für sich beansprucht. Die Attentäter seien "Soldaten des Islamischen Staates" gewesen und den "Rufen" gefolgt, die "Koalitionspartner anzugreifen". Diese Stellungnahme verstärkt die Zweifel an der SSNP-Gefolgschaft von Moussa Oukabir.
Spanien seit Langem im Visier des Terrors
Die Propaganda-Mitteilung verwundert wiederum nicht. Der Grund: Die Islamisten verlierenseit Monaten immer mehrihrer eroberten Gebiete in Syrien und im Irak. Seit das Fantasie-Kalifat bröckelt, ruft der IS vermehrt dazu auf, in Europa Attentate zu verüben.
Einen Anschlag gab es zwar in Spanien schon länger nicht mehr, aber das Land ist seit über einem Jahrzehnt im Visier islamistischer Terroristen. Am 11. März 2004 kamen bei den Anschlägen in Madrid auf vier Pendlerzüge 191 Menschen ums Leben. Damals bekannte sich al-Qaida zu der Tat. 2011und 2012vereitelten die spanischen Behörden weitere Anschläge des Terrornetzwerkes.
Seit 2004 gab es nach Angaben des spanischen Innenministeriums insgesamt 220 Anti-Terror-Operationen, mehr als 700 mutmaßliche Dschihadisten wurden dabei festgenommen. Die Tendenz ist steigend. Allein seit Anfang dieses Jahres gab es 36 Polizeiaktionen dieser Art, genau so viele wie im gesamten Jahr 2016.
Dschihadistenhochburg Katalonien
In Katalonien gebe es für die Drahtzieher in jedem Fall genug Sympathisanten für einen Doppelanschlag. Neben den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla gilt Katalonien seit Jahrzehnten als Dschihadistenhochburg.
Einer vor wenigen Wochen veröffentlichen Studie der spanischen Terrorexperten Fernando Reinares und Carola García-Calvo zufolge stammten rund ein Viertel aller Männer und Frauen, die zwischen 2013 und 2016 wegen islamistischer Terroraktivitäten im ganzen Land festgenommen wurden, aus dem Großraum Barcelona. Seit dieser Woche sind es vermutlich noch mehr.
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Spanische Ermittler inspizieren ein Auto in Cambrils, rund 120 Kilometer westlich von Barcelona: In dem Küstenort hatten die Ermittler in der Nacht auf Freitag fünf mutmaßliche Terroristen getötet. Ein Sprecher der Regionalregierung von Katalonien teilte mit, mutmaßliche Terroristen hätten auf der Strandpromenade gegen Mitternacht mehrere Menschen mit einem Audi A3 angefahren, bevor sie von Sicherheitskräften gestoppt wurden. Die Angreifer seien aus dem Fahrzeug geklettert, daraufhin sei es zu einer Schießerei gekommen.
Polizisten in Cambrils: Ob die Getöteten in direkter Verbindung zu dem Anschlag von Barcelona vom Donnerstagabend stehen ist noch unklar.
Die Ermittlungen laufen: Spaniens Polizei geht laut Twitter-Nachrichten bisher von einer Verbindung zwischen den Vorfällen in Cambrils und Barcelona aus.
Am Donnerstagabend in Barcelona: Auf Las Ramblas, der berühmten Flaniermeile, hatte sich ein Terroranschlag ereignet. Die Polizei hat den Tatort weiträumig abgesperrt, einer Passantin sind Stress und Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
Rettungskräfte im Einsatz: Mit einem Kleintransporter war der Täter in eine Menschenmenge gefahren. Regionalen Behörden zufolge kamen mindestens 14 Menschen ums Leben, mehr als 100 wurden verletzt.
Die Einsatzkräfte sperrten den Bereich im Zentrum von Barcelona ab.
Passanten flüchten, nachdem der Wagen auf die Ramblas gefahren war.
Ein französischer Tourist erzählte dem Sender BFMTV, das Fahrzeug sei im Zickzack über die Touristenmeile gefahren, "um ein Maximum an Fußgängern zu erwischen".
Ein Polizist sperrt die Straße ab. Die Ermittler haben zwei Verdächtige festgenommen. Der Fahrer des Vans scheint sich jedoch nicht darunter zu befinden, er ist nach bisherigem Stand auf der Flucht. Am Freitagmorgen gab es erste Meldungen, wonach es zu einer dritten Festnahme gekommen sei. In der Nacht behauptete die Terrormiliz "Islamischer Staat", hinter dem tödlichen Anschlag zu stecken.
Der Tatort in Barcelona: Die Bundesregierung sprach den Anschlagsopfern ihr Beileid aus. "Bin tief erschüttert über Nachrichten aus Barcelona. Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Freunden und Angehörigen", teilte Außenminister Sigmar Gabriel mit. Laut noch unbestätigten Meldungen gibt es mehrere deutsche Opfer.
Polizisten am Freitagmorgen in der Innenstadt von Barcelona: Obwohl laut Behörden aktuell keine erhöhte Gefahr für einen weiteren Anschlag bestehen soll, sind die Sicherheitsvorkehrungen weiter sehr hoch.
Trauernde in Barcelona zünden auf den Ramblas eine Kerze an.
König, Premier - und Tausende Bürger und Touristen: Mit einer Schweigeminute gedachten die Menschen in Barcelona am Freitag den 13 Toten des Angriffs vom Vorabend. Bei einem weiteren Vorfall in der Stadt Cambrils ist zudem eine weitere Passantin getötet worden.
Marta Fernandez, 24 Jahre, berichtet, wie sie den Anschlag in Barcelona erlebt hat: "Ich habe gestern in einem Restaurant direkt an Las Ramblas gearbeitet. Plötzlich fingen die Leute an zu schreien, Dutzende sind in unser Restaurant geflüchtet, ich habe mich dann hinten mit ihnen versteckt. Viele Touristen haben geweint. Ich dachte, ich werde sterben. Stundenlang waren wir eingeschlossen. Zusammen mit einer Argentinierin, die ich nicht kannte, habe ich mich dann in der Nacht zu meiner Wohnung durchgeschlagen."
Blumen für die Toten: Am Tatort, der Prachtmeile Las Ramblas, haben seit der Nacht die Bürger der Stadt ihre Trauer bekundet.
Nach der Schweigeminute machen viele Bewohner von Barcelona, zusammen mit Touristen, ihrer Wut und ihrer Trauer Luft.
"Es ist schrecklich, wir fühlen sehr mit den Familien der Opfer. Ich verstehe nicht, wie man so etwas tun kann. Wir wollen nur unsere Freiheit. Wir haben keine Angst!" - das sagt Antonio Santiago, 51 Jahre alt.
Marina Sandi Dagrada (3. von rechts): "Wir sind am Donnerstag zusammen mit einer befreundeten Familie aus Mailand gekommen und mitten in eine Panik auf den Ramblas geraten. Hunderte Menschen sind in Panik Richtung Hafen geflohen. Ich hatte unglaubliche Angst, wusste nicht, was vor sich ging. Der kleine Sohn unserer Freundin ist verloren gegangen, die Tochter bei einem Sturz verletzt worden."
"Wir sind gestern aus Menorca gekommen, leben nicht weit vom Zentrum der Stadt entfernt. Jeden Tag laufen wir hier an den Ramblas entlang. Hier auf den Ramblas halten sich normalerweise mehr Touristen auf, aber es ist auch unsere Straße. Wir fühlen mit den Familien der Opfer, als wären sie unsere Brüder. Die Attentäter haben uns nicht nur 13 Leben genommen, sondern auch unsere Sicherheit." (Meri Badia, 20, und Ernest Dift, 24)
Wir ergeben uns dem Terror nicht - diese Botschaft soll aus Barcelona in die Welt gehen. Und - vor allem - an die Terroristen. Die Miliz "Islamischer Staat" hat behauptet, für den Anschlag verantwortlich zu sein.
"Gestern waren hier Dutzende Personen in meinem Restaurant eingeschlossen. Wir haben die Eisengitter heruntergelassen und versucht, die Leute zu beruhigen. Viele von ihnen waren Touristen. Ein Kollege von mir wurde selbst von dem Lastwagen am Bein erwischt. Ich hoffe nicht, dass die Touristen nun wegbleiben. Nun ist es an der Zeit, Rückgrat zu beweisen." (Xavier Borbolla, 59, Geschäftsführer eines Restaurants an Las Ramblas)
Die Stadt weint, die Stadt trotzt: Trauernde legen auf Las Ramblas Blumen und andere Symbole ihrer Anteilnahme ab.