Terrorismus in den USA Auf dem rechten Auge blind

Der Terror in El Paso und Dayton setzt die US-Justiz unter Druck. In Texas liegt ein rechtsextremer Hintergrund nahe. Doch solche Fälle werden bisher halbherzig verfolgt.
Donald Trump: Wenig Interesse, die eigenen Wähler zu vergraulen

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Foto: SHAWN THEW/EPA-EFE/REX

Das Ritual ist altbekannt. Trauer, Wut, überparteiliche Appelle: Die Reaktionen auf die US-Schusswaffenmassaker von Texas und Ohio gleichen bisher den Reaktionen auf Dutzende frühere Attentate auch - und die endeten meist in Untätigkeit.

Doch noch während US-Präsident Donald Trump am Mittwoch mit Nothelfern in El Paso und Dayton für Fotos posiert, kocht eine neue, brisante Frage hoch, die weit hinausgeht über die übliche Waffendebatte.

Sind die mutmaßlichen Täter Terroristen?

Und das ist mehr als eine akademische Frage. Terrorismus ist eine Klassifikation, die automatisch den US-Justizapparat aktiviert, vom Heimatschutzministerium über das FBI bis hinunter zum lokalen Sheriff - und er hat viel höhere Strafen zur Folge.

Wichtiger noch: Er ist eine Klassifikation, die die Behörden seit den Anschlägen auf das World Trade Center fast ausschließlich auf islamistische Attentäter angewandt haben - nicht aber auf Rechtsextreme, meist weiße Rassisten und Anhänger der "White Supremacists"-Theorie.

Das könnte sich nun ändern.

Den ersten Schritt macht El Paso: Dort behandelt die Justiz den Anschlag vom Wochenende, bei dem 22 Menschen umkamen, als Hassverbrechen und domestic terrorism - also Inlandsterrorismus. Bestätigung ist ein Online-"Manifest" des mutmaßlichen Täters, in dem dieser das Blutbad mit rechtsextremen und rassistischen Thesen begründet haben soll.

Wahlkampf am Krankenbett: Trump besucht Verletzte in Dayton

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Foto: Shealah Craighead / White House / dpa

Diese Ermittlungen bleiben freilich - noch - die Ausnahme: Gesetzliche Hürden bremsen die Behörden. Und: Donald Trumps Regierung zögerte bisher auffällig, rechte Gruppen zu verfolgen.

Rechtsextremisten töteten 2018 mindestens 50 Menschen

Dabei haben immer mehr Attentate in den USA rechtsextreme oder rassistische Hintergründe - während die Zahl der islamistischen Anschläge stark gesunken ist. Die Lobbyorganisation Southern Poverty Law Center (SPLC) , welche die Entwicklung dokumentiert, führt das auf die Wahl Trumps zurück: Diese habe "die radikale Rechte elektrisiert".

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Trump an den Tatorten: Schilder der Wut, Tweets aus dem Jet

Foto: Jose Luis Gonzalez/ REUTERS

Rechtsextremisten töteten nach Angaben der Menschenrechtsgruppe Anti-Defamation League (ADL)  allein 2018 mindestens 50 Menschen - so viele wie seit 1995 nicht mehr, als beim Bombenanschlag in Oklahoma City 168 Leute umkamen. Die meisten dieser Taten gingen aufs Konto von White Supremacists - Anhängern einer rassistischen Ideologie, die Weiße als überlegen sehen und alle anderen bekämpfen.

Video: Proteste bei Trump-Besuch in El Paso

SPIEGEL ONLINE

Waren die Vereinigten Staaten bisher auf dem rechten Auge blind? Der Kampf gegen den Terrorismus im eigenen Land müsse endlich "dieselbe hohe Priorität bekommen wie der Kampf gegen internationalen Terrorismus seit dem 11. September", warnten Dutzende frühere Antiterrorexperten diese Woche in einer gemeinsamen Erklärung. Dazu bedürfe es aber erheblich besserer Ressourcen als bisher. "Wir können einfach nicht länger warten."

Noch ist der Inlandsterrorismus in den USA kein eigener Straftatbestand. Dylann Roof, der 2015 in einer Kirche in Charleston neun Schwarze erschoss, wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

"Wir untersuchen keine Ideologien, egal wie abscheulich"

Der Unterschied ist mehr als symbolisch. Weshalb der Verband der FBI-Agenten  den Kongress jetzt aufforderte, Inlandsterrorismus zu einem separaten Delikt zu erklären: Das würde sicherstellen, dass solche Fälle genauso ernst genommen würden wie internationale Terrorakte und "FBI-Agenten und Staatsanwälte die besten Mittel dagegen besitzen".

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Das gilt auch für Taten, die nicht klar der rechten Szene zugeordnet werden können. So sind die Motive des mutmaßlichen Attentäters von Dayton, der neun Menschen, darunter sechs Schwarze, erschoss, weiter unklar. Laut FBI hatte er sich mit "Gewaltideologien" beschäftigt. Zugleich hatte er in sozialen Medien Unterstützung für die Demokraten Bernie Sanders und Elizabeth Warren angedeutet - was Rassismus natürlich nicht ausschließt.

Allerdings erlaubt die im ersten US-Verfassungszusatz verankerte Rede- und Meinungsfreiheit selbst Hassrede, so rassistisch sie auch sein mag. Der Ku-Klux-Klan und andere rechtsextreme Gruppen sind legal. Dem FBI ist es untersagt, aufgrund von Meinungsäußerungen oder politischer Ausrichtung zu ermitteln. "Wir untersuchen keine Ideologien, egal wie abscheulich", sagte FBI-Direktor Christopher Wray neulich.

Trauriges Ritual: Mahnmal für die Opfer von El Paso

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Foto: CALLAGHAN O'HARE/ REUTERS

Eine Ausweitung des Spielraums, den die Justiz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegen den internationalen Terrorismus bekam, wäre auch aus anderen Gründen kontrovers. "Wenn sie täten, was sie mit den Muslimen taten, müssten sie jeden Weißen zum potenziellen Terroristen erklären", sagte der Bürgerrechtsanwalt Martin Stolar der "New York Times". "Der Widerstand wäre unerhört."

Das Weiße Haus hat wenig Interesse daran, Rechte zu verfolgen

Widerstand dagegen gibt es auch von ganz oben. Nach Informationen von CNN  weigerte sich das Weiße Haus offenbar seit mehr als einem Jahr, der Bekämpfung des rechtsextremem Terrors "höhere Priorität" zu geben - obwohl das Heimatschutzministerium darum gebeten habe. Das Weiße Haus wolle sich nur auf die Dschihadistenbedrohung konzentrieren, berichtete CNN unter Berufung auf Quellen.

Trauer an der Grenze: Gedenken an ein mexikanisches Opfer von El Paso

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Foto: Mario Tama/ Getty Images/ AFP

Trump selbst beließ es bisher bei Lippenbekenntnissen gegen den Rassismus. So sah er sich auch bei seiner Besuchen in Dayton und El Paso am Mittwoch mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe mit seinen Tiraden gegen Migranten rechte Gewalt geduldet, ja, ermutigt. Unterdessen schaltete sein Team weiter Wahlwerbung, in der Einwanderer mit denselben Worten verteufelt wurden, wie sie der mutmaßliche Täter von El Paso hinterlassen hat.

Schon im März hatten in einer Umfrage 56 Prozent der Amerikaner Trump vorgeworfen, er tue "zu wenig, um sich von rechtsextremen Gruppen zu distanzieren". Vermutlich nicht von ungefähr: Er weiß, dass Teile diese Gruppen zu seinen treuesten Wählern gehören.

Seither verstärkt sich dieser Trend noch. CNN meldete unter Berufung auf FBI-Kreise, die US-Bundespolizei habe in den letzten Monaten einen "erheblichen Anstieg rechtsextremer Terrorfälle" beobachtet. San Diego, Gilroy - und jetzt El Paso.

Bis die Behörden dem nachkommen, bleibt vielen nur eins - Selbstverteidigung. Neuester Hit bei US-Eltern, deren Kinder demnächst wieder in die Schule müssen: kugelsichere Rucksäcke.

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