Anschlag auf Hotel in Bagdad Blutige Terrorserie zum Jahrestag
Bagdad - Das Bettlaken hat seine unschuldige weiße Farbe verloren. In Fetzen gerissen hängt es aus dem zersplitterten Loch, das mal ein Fenster war. Mal verschwindet es im wirbelnden Staub, mal bilden sich auf ihm die Farben der Warnlichter aus den Ambulanzen ab. Leblos ist der Stoff, wie eine zerrissene Fahne nach verlorener Schlacht. Nur manchmal zerrt der Wind an ihm und haucht ihm noch etwas Leben ein. Ein kleines, letztes Aufbäumen.
Der Terror hat viele Gesichter in Bagdad. Am Mittwochabend gegen 20 Uhr Ortszeit zeigte er wieder eines seiner hässlichsten. Vor dem Mount Lebanon Hotel (Dschabal Lubnan) im Stadtteil Karrada, unweit des Platzes, der weltweite Berühmtheit erlangte, als dort im April 2003 medienwirksam die erste Saddam-Statue gestürzt wurde, explodierte eine Autobombe.
Der Sprengstoff zerstörte das Hotel fast vollständig, auch ein Appartmenthaus nebenan wurde stark beschädigt. Ein Auto wurde in ein Möbelgeschäft geschleudert, die Druckwelle war noch mehrere Hundert Meter entfernt zu spüren. Meterhoch schlugen die Flammen in den nachtschwarzen Himmel, mehrere Autos und die Bäume der Umgebung fingen ebenfalls Feuer. Durch dichte Staubwolken rannten Passanten ziellos umher und schrien im Schock: "Nein, nein, nein".
Direkt nach der Detonation versuchten Menschen mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden zu suchen. Ein circa vierzigjähriger Mann glaubte, einen Überlebenden gefunden zu haben - und schrie auf, als er einen abgerissenen Arm zwischen den Steinen hervorzog. Noch eine Stunde später stand er reglos angelehnt an eine Wand in der Straße, tränenlos, unbeachtet von den Umstehenden, unfähig, sich zu bewegen.
Mindestens 27 Tote zählten die Rettungskräfte bis 23 Uhr Ortszeit und 41 Verletzte. Aber da war noch nicht absehbar, wie viele Menschen noch unter den Trümmern lagen. Am Donnerstagmorgen wurde die Opferzahl drastisch reduziert: Der irakische Innenminister Nuri Badran bezifferte die Zahl der Todesopfer auf sechs. Bei den Opfern handele es sich um fünf Iraker und einen Briten, sagte Badran vor Journalisten.
Zwei US-Soldaten, die zufällig in der Nähe des Tatortes waren und helfen wollten, wurden von der wütenden Menge abgedrängt. Sie mussten sich in ihrem Humvee verbarrikadieren. Irakische Polizisten versuchten den Menschenauflauf vom Tatort abzudrängen, damit die Rettungskräfte durchkommen.
Warum schützen sie uns nicht?
Zwei Tage vor dem Jahrestag des Angriffs auf den Irak kehrte der nie gewonnene Krieg einmal mehr zurück nach Bagdad. Einer der Schaulustigen forderte lautstark Lynchjustiz: "Diese Tiere sollen alle öffentlich gehängt werden." Eine Gruppe von Frauen stimmte schreiend Trauerklagen an, die in Wut umschlugen: "Warum schützen sie uns nicht?" riefen sie.
Aber es fanden sich auch Passanten, die dagegenhielten: "Gott schütze die USA. So was tut kein Iraker. Das sind Terroristen. Ein Iraker tötet keinen Iraker." Ein Kellner des Hotels saß regungslos auf dem Gehweg. Seine feine schwarze Uniform verschwand unter dem Staub. "Es ist einfach alles eingestürzt", sagte er. Immer wieder. Seine Haare wirkten durch die Schmutzschicht grau. Anschläge auf Hotels sind keine neue Erscheinung in Bagdad. Damit sollen vor allem Ausländer getroffen, Unsicherheit geschürt werden.
Das Mount Lebanon in der Innenstadt gehört zu den kleineren Herbergen und war nicht außergewöhnlich geschützt. Großhotels wie das Palestine oder auch das al Hamra werden mittlerweile durch großräumige Betonabsperrungen und strenge Sicherheitskontrollen gesichert.
Beides fehlte im Mount Lebanon, in dem angeblich hauptsächlich Geschäftsleute aus dem Ausland wohnten. Vermutlich sahen die Attentäter deshalb im Lebanon ein "weiches Ziel".
Die Sicherheitskräfte begannen noch in der Nacht damit, die Straße von den Trümmern zu befreien. Schon nach wenigen Stunden legte sich das Chaos und die Unruhe auf den Straßen wieder. In Bagdad ist das Außergewöhnliche zur Gewohnheit geworden. Bis zur nächsten Explosion.