Anschlag in Beirut Letzter Tweet vor dem Tod
Leider ist es traurige Routine: Irgendwo in Beirut kracht es gewaltig, die Wucht der Detonation lässt in weitem Umkreis Gebäude erzittern. Viele Libanesen eilen in den Sekunden nach einer solchen Explosion ans Fenster, sie klettern auf die Dächer ihrer Apartmentblöcke. Denn üblicherweise bricht nach einem Bombenanschlag das Handynetz zusammen. Also versucht man, den Ort des Attentats anhand der Rauchsäule auszumachen. So kann man ungefähr bestimmen, wen es getroffen hat und ob es vielleicht Opfer unter Freunden und Verwandten geben könnte.
Auch am Freitagmorgen streikten nach der Explosion die Handynetze. Der Blick vom Dach ließ ahnen, dass es einen von Hariris Leuten getroffen haben musste: Die Rauchsäule der um kurz nach neun Uhr morgens explodierten Bombe stand über dem Stadtzentrum Beiruts, nicht weit vom wichtigsten Sitz der Zukunfts-Partei der libanesischen Sunniten, deren Führer Saad Hariri ist.
Wenig später war dann klar: Die Autobombe, die etwa 60 Kilo schwer gewesen sein soll, galt Mohammed Schatah, dem ehemaligen Finanzminister des Libanon. Schatah war ein Vertrauter des fünffachen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri und von dessen Sohn Saad. Hariri Senior war 2005 keine 500 Meter vom aktuellen Anschlagsort entfernt ebenfalls per Autobombe ermordet worden. Mit ihm starben damals 22 Menschen, mit Schatah kamen jetzt sechs ums Leben.

Attentat auf Ex-Minister: Bombenanschlag in Beirut
Wenn im Libanon Autobomben hochgehen, geht es nie nur um den Zedernstaat, sondern um die ganze Region. Das war so im November, als sich eine Qaida-nahe Gruppe zu einem Anschlag auf die iranische Botschaft im Süden Beiruts mit mehr als 20 Todesopfern bekannte. Und das galt auch für die Attentate auf schiitische Wohngegenden, mit denen sich radikale Sunniten im Sommer für die Einmischung der schiitischen Hisbollah in den syrischen Bürgerkrieg rächen wollten.
Grund dafür, dass der Libanon immer wieder Schauplatz von Stellvertreterkriegen ist, ist das komplexe Gesellschaftsgefüge des Landes. Die wichtigsten ethnischen und religiösen Gruppen der Region - seien es Sunniten, Schiiten, Christen oder Drusen - sind hier vertreten. Gleichzeitig gibt es keinen funktionierenden Staat. Wer Schutz will, muss sich an den Führer seiner eigenen Minderheit halten. Das schweißt die einzelnen Gruppen zusammen, macht sie leicht lenk- und manipulierbar.
Kampf um die Vormachtstellung in der Region
Die Hegemonialmächte des Nahen Ostens - Iran für die Schiiten, Saudi-Arabien für die Sunniten - bedienen sich gern der von ihnen protegierten und finanzierten Milizen im Libanon, um dort ihre Konflikte auszutragen. Auch Schatahs Tod ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Der auch im Westen hochgeschätzte Finanzexperte war einer der deutlichsten Kritiker der libanesischen Hisbollah, die von Iran und Damaskus gestützt wird und derzeit an der Seite des Regimes die Rebellen in Syrien bekämpft. Nur wenige Minuten vor seinem Tod twitterte Schatah: "Die Hisbollah macht Druck, um die gleiche Macht in Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik zu bekommen, die Syrien 15 Jahre lang im Libanon ausgeübt hat."
Hintergrund: Syrien hatte den Libanon 1976 nach Ausbruch des dortigen Bürgerkriegs besetzt und dort auch mit Hilfe der Hisbollah mit eiserner Faust regiert. Damaskus sieht das Land als abtrünnige Provinz. Nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 kam die Wirtschaft wieder in Schwung, das Selbstbewusstsein der Libanesen erstarkte.
Rafik Hariri stieg zum Führer der libanesischen Sunniten auf, die sich von Syrien und der dort herrschenden schiitischen Sekte der Alawiten lossagen wollten. Mit zunehmender Macht wurde Hariri von Damaskus als Bedrohung wahrgenommen. Am 14. Februar 2005 fiel er einem Attentat zum Opfer, dass die libanesische Hisbollah im Auftrag Syriens ausgeführt haben soll.
Hisbollah-Gegner leben riskant
In der Folge erhob sich das libanesische Volk in der sogenannten Zedernrevolution, Syrien musste sich zurückziehen. Seitdem nutzt Damaskus die Hisbollah, um seine Belange im Libanon durchzusetzen. Wer sich - wie Schatah - öffentlich gegen sie stellt, lebt gefährlich.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschuss im EU-Parlament, der deutsche CDU-Politiker Elmar Brok, hatte Schatah noch kurz vor Weihnachten in Beirut getroffen. Bei den Gesprächen hätte die Bedrohung des libanesische Staates durch die Hisbollah, aber auch die persönliche Gefährdung von Hisbollah-kritischen Politikern gestanden, sagte Brok SPIEGEL ONLINE. "Schatah zeigte sich schockiert, dass die Hisbollah es kategorisch ablehnt, sich aus dem Syrien-Krieg zurückzuziehen oder eine Regierungsbildung im Libanon zuzulassen."
Der Zeitpunkt des Anschlags auf Schatah ist symbolträchtig: Ein von der Uno eingesetztes Sondertribunal will am 16. Januar 2014 den Prozess gegen fünf des Mordes an Hariri Verdächtige - allesamt Hisbollah-Mitglieder - eröffnen. Die Miliz will diese Schmach nicht hinnehmen, sie fürchtet um ihr Ansehen, sollten ihr eine Verwicklung nachgewiesen werden.
Die Hisbollah torpediert die Arbeit des Tribunals seit Jahren. So sind alle fünf Beschuldigte immer noch auf freiem Fuß, weil die Hisbollah für den Fall ihrer Verhaftung gewaltsamem Widerstand angekündigt hat.
Schatahs Tod ist eine Warnung an alle, die dem Tribunal zuarbeiten.