
Anschlag nach Diplomatentreffen Selbstmordkommando stürmt Luxushotel in Kabul
Die gut koordinierte Attacke der Taliban auf das Hotel Intercontinental wirft einen dunklen Schatten auf die geplanten Feierlichkeiten zur symbolischen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen in den kommenden Tagen. Viele Details der Attacke waren in der Nacht noch unklar, die Angaben über Verletzte und Tote widersprüchlich.
Eine Gruppe von Aufständischen, die sich umgehend zu der Tat bekannten, hielt das Gebäude im Westen von Kabul für mehrere Stunden mit einer Gruppe von Kämpfern unter Kontrolle. In der Nacht gelang es der Polizei und Spezialkräften der afghanischen Armee offenbar, die Angreifer außer Gefecht zu setzen. Allerdings waren immer noch Schusssalven und Explosionen aus dem Hotelkomplex zu hören. Am frühen Morgen afghanischer Ortszeit griffen laut Agenturberichten Nato-Hubschrauber drei Aufständische auf dem Dach des Hotelkomplexes an und töteten sie.
Begonnen hatte die konzertierte Attacke auf das schwer gesicherte Hotelgelände gegen 22 Uhr Ortszeit. Mindestens drei Selbstmordattentäter hätten das Intercontinental angegriffen, sagte der Chefermittler der Kriminalpolizei in der Hauptstadt, Mohammad Sahir. Zunächst sprach er von mehreren Toten und Verletzten. Zuletzt war von drei verletzten Polizisten die Rede, über zivile Opfer äußerte sich Sahir nicht - wohl auch deshalb, weil die Lage bis in die frühen Morgenstunden völlig unübersichtlich war.
Ein Polizeioffizier vor Ort sagte SPIEGEL ONLINE, eine Gruppe von bewaffneten Männern sei in das Hotel eingedrungen. Einer der Männer habe sich in der Halle des Hotels in die Luft gesprengt, die anderen hätten das Gebäude gestürmt. Die Polizei sperrte umgehend die Zufahrten des Hotels, das auf einem Bergrücken am Rand von Kabul liegt und eine der wenigen von westlichen Besuchern genutzten Unterkünfte der afghanischen Hauptstadt ist. Der Polizist sagte kurz nach dem Beginn der Attacke, bis zu sechs Selbstmordattentäter seien in dem Hotel, immer wieder waren auch aus der Ferne Maschinengewehrsalven zu hören.
Ähnliche Angaben machte auch ein Sprecher des Innenministeriums: Drei oder vier Selbstmordattentäter hätten sich in die Luft gesprengt oder wären erschossen worden. Zwei Angreifer feuerten aber noch Stunden nach dem Angriff vom Hoteldach. Angeblich seinen die Gäste sicher in ihren Räumen. Ein Vertreter der Sicherheitstruppen sagte der BBC: "Wir haben es mit einer sehr gut organisierten Gruppe von Selbstmordattentätern zu tun."
Taliban spricht von mindestens 50 Toten
Nur eine halbe Stunde nach dem Beginn der Kämpfe meldeten sich die Taliban per Telefon bei mehreren Journalisten. Ihr Sprecher Sahibullah Mudschahed berichtete, eine Gruppe von Kämpfern sei in das Hotel eingedrungen und halte die Anlage besetzt. Der Sprecher, der regelmäßig das Ausmaß von Anschlägen der Guerilla-Armee übertreibt, sagte, die Kämpfer hätten alle sechs Etagen besetzt und würden nun von Raum zu Raum gehen und sämtliche ausländischen Gäste töten.
Angeblich habe einer der Kämpfer aus dem Hotel per Telefon gemeldet, die Gruppe habe bereits bis zu 50 Menschen getötet. Eine unabhängige Bestätigung von der afghanischen Polizei gab es für diese Angaben jedoch nicht. Ein Polizist wollte gegenüber SPIEGEL ONLINE nichts zur Zahl der Opfer sagen, allerdings habe er viele Leichen gesehen. Der private Fernsehsender Tolo TV meldete, mehr als zehn Menschen seien getötet oder verletzt worden.
Eine Augenzeugin berichtete SPIEGEL ONLINE per Telefon, gegen Mitternacht Ortszeit seien aus dem Hotel mehrere Panzerfäuste in Richtung Stadt abgefeuert worden. Aus dem Gebäude, so ihr Bericht, seien immer wieder Schüsse zu hören. Rund um das Hotel würden sich Spezialeinheiten der US-Armee in Stellung bringen - wohl um das Intercontinental zu stürmen. Ein AFP-Reporter berichtete zudem von mindestens einer Explosion. Nach seinen Angaben lag das Hotel im Dunkeln, möglicherweise wurde der Strom gekappt.
Terror vor der "Transition"
Ziel des Anschlags war offenbar ein hochrangiges Treffen von internationalen und afghanischen Politikern. Bei dem Meeting trafen sich nach Angaben von Diplomaten afghanische, pakistanische und amerikanische Vertreter. Bisher gibt es keine Angaben, ob Teilnehmer getötet oder verletzt worden sind. Aus Polizeikreisen in Kabul war zu erfahren, dass der US-Botschafter kurz vor dem Beginn der Attacke das Hotel verlassen habe. Der Botschafter ist stets umgeben von einem ganzen Tross von Sicherheitspersonal. Möglicherweise hatten die Angreifer abgewartet, bis diese das Hotelgelände verlassen hatten.
Hotelgäste berichteten SPIEGEL ONLINE, dass sich auch viele Gouverneure aus verschiedenen Provinzen Afghanistans in dem Hotel befunden hätten. Die Lokalpolitiker waren bereits am Dienstag nach Kabul gereist, da am Mittwoch eine große Konferenz als Startpunkt der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in einigen Provinzen abgehalten wird. Westliche Diplomaten sagten in der Nacht zum Mittwoch, dass die Taliban mit der Attacke diese Feierlichkeiten stören wollten.
Der Angriff erfolgte in der Tat in einem hochsensiblen Moment: Bereits am Sonntag und Montag hatten internationale Diplomaten in Kabul auf einer Konferenz die Sicherheitsübergabe geplant und letzte Details besprochen. Die Übergabe der Verantwortung, im Nato-Jargon "Transition" genannt, soll am 1. Juli beginnen und schrittweise den Abzug der rund 150.000 ausländischen Soldaten, die im Rahmen der Nato-Truppe Isaf in Afghanistan stationiert sind, möglich machen.
Mit dem Anschlag in der Hauptstadt bewiesen die Taliban erneut, dass sie zu komplexen Attacken auch in Kabul in der Lage sind. Ob die geplante Konferenz der Gouverneure und der afghanischen Regierung nach der Attacke noch stattfindet, war in der Nacht unklar.
Bisher gab es keine Hinweise, dass bei dem Angriff auch westliche Diplomaten getötet oder verletzt worden sind. Die meisten der Sonderbotschafter für die Krisenregion waren bereits am Montag nach Hause geflogen. Michael Steiner, der für Deutschland in der Kontaktgruppe für Afghanistan und Pakistan sitzt, war bereits am Dienstagabend wieder in Berlin eingetroffen und erfuhr nach der Landung von dem Angriff auf das Intercontinental.