Anschlag von Kairo "Der Staat muss aufräumen, ein für allemal"
Kairo - Der erste Sprengsatz, versteckt unter einer Bank nahe der Hussein-Moschee im Zentrum von Kairos Altstadt, explodierte um genau 18.30 Uhr am Sonntag. Splitter trafen eine Gruppe französischer Studenten; ein 17-jähriges Mädchen wurde zerfetzt und verblutete. 19 Passanten, darunter Franzosen, Ägypter, Saudi-Araber und Deutsche, wurden verletzt, alle konnten das Krankenhaus jedoch wenige Stunden später wieder verlassen.
So weit lässt sich der Anschlag rekonstruieren.
Wie die Attentäter dabei vorgegangen sind, lässt sich noch nicht erklären; die ägyptische Presse brachte unterschiedliche Darstellungen des Tathergangs. Augenzeugen berichteten SPIEGEL ONLINE jedoch, dass Unbekannte das "Todespaket" einfach hätten liegenlassen, "so wie man eine Tüte Früchte bei einem Stadtbummel vergisst" - eine besonders perfide Taktik.
Nach der ohrenbetäubenden Detonation eilten in weniger als einer Minute in schwarze Uniformen gekleidete Tourismuspolizisten und Geheimdienstler in Zivil zum Ort des Geschehens, der als zentraler Treffpunkt arabischer und ausländischer Besucher im weltberühmten islamischen Khan-Al-Khalili-Viertel gilt - jenem Karree, in dem die Hauptfiguren der Geschichten des ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Mahfus gelebt haben. Eine angeblich in Deutschland geschulte Sondereinheit des Innenministeriums fand kurz darauf ein zweites, in Plastik gehülltes Sprengstoffpaket und konnte es rechtzeitig entschärfen.
Ermittlungen "in alle Richtungen"
Umstehende Verkäufer und Altstadtflanierer, welche auf der Steinbank gesessen hatten, unter der die Bombe plaziert wurde, gaben den Staatsschützern den Tipp. Sie wollen sich an zwei vollverschleierte Frauen und einen langbärtigen jungen Mann erinnern. Am Abend war in Kairo von zwölf Festgenommenen die Rede. Das Ergebnis ihrer Befragung ist aber noch nicht bekannt. Die Ermittlungen laufen - und sie gehen "in alle Richtungen", wie ein Sprecher des Innenministeriums bekannte.
Am Tag danach ist dies die Frage, über die in Kairo jedermann diskutiert: Wer ist für den Terroranschlag im Herzen der Stadt verantwortlich? Wie nicht anders zu erwarten, liefert die Gerüchteküche in der 18-Millionen-Stadt ein buntes Allerlei an möglichen Hintergründen. "Das waren iranische Agenten", ereifert sich etwa ein Kaffeehausbesitzer schräg gegenüber der Hussein-Moschee. "Die Perser wollen uns Sunniten erniedrigen, darum haben sie sich für diese hinterhältige Attacke diese Bank ausgesucht, unmittelbar vor der heiligen Al-Azhar-Moschee."
In der Tat gilt die Al-Azhar-Moschee als prominenteste Bildungsstätte der sunnitisch-islamischen Welt. Umstehende lachen jedoch verächtlich über solche Phantastereien. "Die Täter waren Mitglieder von Osama Bin Ladens al-Qaida, für die nicht-muslimische Fremde hier nichts zu suchen haben", belehrt ein jugendlicher Fremdenführer die Gäste des Traditionscafés al-Fischawi. "Der Staat muss mit diesem Unkraut aufräumen - ein für allemal."
Blutspur des religiösen Extremismus
Dafür erntet der junge Mann Applaus, sogar die weißgeschürzten Kellner fallen ein. So ganz Unrecht hat der aufgebrachte "Tourist Guide" nicht, der wie über zwei Millionen seiner Landsleute vom Tourismus lebt. Hatte nicht der in London abgeurteilte Extremisten-Imam Hamsa al-Masri schon 1997 sämtliche Auslandstouristen als "Feinde Allahs" gebrandmarkt und die bestialische Ermordung von 60 Schweizer und britischen Besuchern der pharaonischen Altertümer in Luxor als gottgefällige Tat gepriesen?
Zwar zerstückelten oberägyptische Fellachen damals die sechs Touristenmörder mit Spitzhacken und Schlachtermessern. Und selbst Sprecher islamistisch eingestufter Vereinigungen halten es bis heute für angebracht, sich immer wieder deutlich von den gewaltbereiten Ultras zu distanzieren.
Doch "die Krebsgeschwüre der Irregeleiteten" ("Nile TV") brechen in größeren Abständen immer wieder auf. "Es geht nicht um Zahlen, schon gar nicht um Prozentsätze", weiß Abdul Muneim Said, der Direktor des renommierten "Ahram-Zentrums für Strategische Studien". "Der Staat muss mehr Kontrolle ausüben, die wahnsinnigen Einpeitscher des im Grunde faschistischen Gedankenguts gehören hinter Schloss und Riegel".
Die vergleichsweise radikale Muslimbruderschaft, die sich als politische Partei etablieren möchte und um Sympathisanten ringt, hält jetzt zwar deutlicher Abstand zu den Alles-oder-Nichts-Kämpfern und ihrer eigenen militanten Vergangenheit.
Doch die Blutspur des religiösen Extremismus zieht sich bis in die jüngste Gegenwart. Verblendete Koran-Streiter verschiedenster Splittergruppen verübten immer wieder Anschläge in Ägypten - nicht selten auf Touristenhotels, etwa in den mondänen Sainai-Zentren Scharm al-Scheich, Dahab und Taba. Ein "Dickicht der Verrückten", nennt ein erfahrener Beamter die Szene.
"Ich bleibe optimistisch"
Doch der Tourismus, inzwischen zum Devisenbringer Nummer eins aufgerückt, brach nicht wie befürchtet zusammen, sondern verzeichnete zuletzt sogar Zuwachs. Im vergangenen Jahr kletterten die Besucherzahlen auf über zwölf Millionen - "mehr als wir zu träumen gewagt hatten", bekannte der erfolgreiche Tourismusminister Soheir Garana, der als langjähriger Inhaber eines Reiseunternehmens weiß, wovon er spricht.
Dass die Branche boomt, hat sie wohl nicht zuletzt den Anstrengungen der ägyptischen Terrorismusbekämpfer zu verdanken und deren enger Zusammenarbeit mit Kollegen im europäischen Ausland. Aber die nahezu komplette Absicherung ganzer Touristenzonen durch engmaschige Fahndungsnetze mit hohem personellen Einsatz macht sich bezahlt.
Auch wenn der gestrige Anschlag erneut zeigte: Gebiete wie die Kairoer Innenstadt kann man nicht sichern. "Die ausländischen Reiseunternehmen leben mit dem Risiko, sie wissen, dass es nirgendwo hundertprozentige Sicherheit gibt", glaubt Antoine Riad, der eine Touristenfirma leitet. Auch im Angesicht des neuerlichen Schreckens sagt er: "Ich bleibe optimistisch".
Hartnäckige Gerüchte über Hamas-Conncetion
Ob der Optimismus angebracht ist, hängt auch davon ab, wer die Drahtzieher des Anschlags vom Sonntag waren - und ob es ein Einzelfall oder der Beginn einer Kampagne war, wie Ägypten sie in der Vergangenheit mehrfach zu bewältigen hatte.
Insider gehen im Moment davon aus, dass politisch motivierte Tätergruppen für den gestrigen Anschlag nicht in Frage kommen. "Weder Sozialisten, noch arabische Nationalisten passen in diesem Fall ins Muster", sagt ein Polizeigeneral mit einschlägiger Erfahrung im Aufspüren von Terroristen.
Eine Antwort auf die Frage, was er von dem Gerücht hält, zu allem entschlossene Hamas-Kämpfer seien aus dem Gaza-Streifen durch Tunnels auf ägyptisches Territorium eingeschleust worden, mochte der Fahndungsexperte allerdings nicht geben.
Obwohl er es könnte, wie zumindest ein US-Diplomat mit Landeskenntnis glaubt. "Aber das geht jetzt nicht, weil Kairo immer noch versucht, die islamistische Hamas-Führung im Gaza-Streifen mit der nach wie vor auf Friedensverhandlungen mit Israel erpichten palästinensischen Autonomieregierung unter Präsident Mahmud Abbas zu versöhnen."
Wahrscheinlich wird es noch Tage oder Wochen dauern, bis gesicherte Informationen vorliegen. Bekannt hat sich bislang noch keine Terrororganisation.
Hinweis der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes hieß es, in der Hussein-Moschee würden die Gebeine Johannes des Täufers verehrt. Tatsächlich tut dies nur eine kleine Gruppe von Sufis. Wir bitten unsere Leser, die Ungenauigkeit zu entschuldigen.