Antisemitismus und Rassismus Auch Täter unter den Opfern

Black Lives Matter-Demonstranten in Washington
Foto: Jacquelyn Martin/ APKönnen Schwarze gleichzeitig unter Rassismus leiden und Antisemiten sein? In den USA ist darüber eine Diskussion entbrannt. Sie begann mit dem Instagram-Post eines schwarzen Footballspielers: Am 6. Juli veröffentlichte DeSean Jackson, Mitglied der Philadelphia Eagles, eine abfotografierte Seite eines Buchs. Markiert war ein Zitat, das angeblich von Adolf Hitler stammt. Die Juden wüssten, dass Schwarze "die wahren Kinder Israels" seien. Um dieses Geheimnis zu bewahren, erpressten die Juden Amerika.
Alles daran ist Unfug: Weder hat Hitler so etwas je gesagt noch "erpressen" die Juden die USA. Seitdem werden weitere Äußerungen von schwarzen Prominenten publik. Der US-Moderator Nick Cannon wurde entlassen, weil er in einem Podcast fabuliert hatte, die Schwarzen seien "die wahren Hebräer". Cannon begründete das so: Die Schwarzen seien das echte "semitische Volk" - deshalb könne man als Schwarzer "nicht antisemitisch sein".
Schwarze werden in den USA seit Jahrzehnten auf beispiellose Art und Weise diskriminiert. Millionen Menschen wachsen nicht nur mit dem Gefühl auf, weniger wert zu sein. Sie haben bei jeder Polizeikontrolle Angst, teils müssen sie um ihr Leben fürchten. Aber dass ihnen Unrecht widerfährt, heißt nicht, dass sie nicht auch anderen Unrecht tun können.
Unordnung überfordert uns
Es ist nicht leicht, diese Ambivalenz auszusprechen und auszuhalten. Es gibt Schwarze, die Vorurteile gegen Juden haben. Andersherum hegen manche Juden Ressentiments gegen Muslime.
Warum fällt es uns so schwer, diese Komplexität anzuerkennen? Auch Medien tragen dazu bei. Geschichten lassen sich am besten erzählen, wenn es einen Helden gibt und einen Bösewicht. Das gilt erst recht für soziale Medien. Oft geht es darum, klare Meinungen zu vertreten. Plattformen wie Twitter sind selten Orte der Differenzierung. Fast niemand lässt andere Sichtweisen zu oder gesteht Fehler ein. Unordnung überfordert uns. Also ordnen wir die Welt in Gut und Böse. Aber so ist sie nicht.

Black Lives Matter-Proteste in Paris, Frankreich
Foto: CHRISTOPHE PETIT TESSON/EPA-EFE/ShutterstockSynagoge in Los Angeles beschmiert
Nick Cannon und DeSean Jackson haben sich inzwischen entschuldigt. Jackson will die Holocaust-Gedenkstätte Auschwitz besuchen, Cannon traf sich mit Rabbinern. Der Moderator sagt, er habe viel über die jüdische Gemeinschaft gelernt und sehe seine Aussagen nun in einem anderen Licht.
Manchen Juden fällt es trotzdem schwer, die Black Lives Matter-Bewegung zu unterstützen, nicht nur wegen der Aussagen von Cannon und Jackson. Bei einem BLM-Protest in Los Angeles wurde eine Synagoge beschmiert. Einige Akteure, die sich für Rechte von Schwarzen einsetzen, fordern gleichzeitig einen Boykott Israels, des einzigen jüdischen Staates.
Weder Helden noch Bösewichte
Es ist wahrscheinlich nicht das letzte Mal, dass sich ein Schwarzer judenfeindlich äußert. Genauso wird es Juden geben, die durch islamfeindliche Kommentare auffallen. Manche Flüchtlinge, die in ihrer Heimat verfolgt und an ihrem Zufluchtsort diskriminiert werden, brechen das Gesetz.
All das muss man ansprechen und auch anprangern. Doch nichts davon ändert etwas an dem Leid, das diesen Menschen widerfährt. Erst recht darf man Einzelfälle nicht nutzen, um Rassismus und Antisemitismus zu relativieren oder gar zu rechtfertigen.
Die wenigsten Menschen sind nur gut oder böse. Fast jeder trägt Vorurteile mit sich herum oder tut anderen manchmal Unrecht. Das gilt umso mehr für Bevölkerungsgruppen: Keine Minderheit der Welt besteht nur aus Opfern, es wird immer auch Täter geben. Schutz verdienen sie trotzdem.