Arabische Presse zur Irak-Wahl Angst vorm Schwarzen Loch
Berlin - "Was wird am kommenden Sonntag passieren?", fragt der Kommentator Ibrahim al-Abbasi in der jordanischen Tageszeitung "al-Dustur". "Wird es wirklich zu dem glücklichen Ende kommen, von dem die amerikanische Regierung träumt?" Die Frage beantwortet al-Abbasi mit Nein - ein Wahlerfolg sei aufgrund der schlechten Voraussetzungen im Land unwahrscheinlich. Hinter der Wahl wittert er eine Verschwörung Israels und der USA: Sollte die neue Regierung schwach sein, könnte der Irak in seine Einzelteile zerfallen, die sich dann wiederum leicht von den USA und Israel beherrscht ließen - "so wie es Washington seit dem Überfall und der Besetzung des Irak geplant hat", behauptet er.
Tiefes Misstrauen gegenüber den Motiven der USA bekundet auch der Journalist Hassan Nafaa, der für die englischsprachige ägyptische Wochenzeitung "Al-Ahram Weekly" schreibt: "Die USA wollen ein Marionetten-Regime, dessen Überleben von einer dauerhafter Militärpräsenz der USA abhängig ist." Auch er sieht in den Wahlen ein Mittel der USA zur Aufteilung des Irak und zur anschließenden Umgestaltung des gesamten Nahen Ostens. "Wenn die USA wirklich ein demokratisches Regime im Irak wollten, dann müssen sie akzeptieren, dass die Wahlen unter der Überwachung der Uno stattfinden. Wann werden die USA begreifen, dass sie nicht länger Teil der Lösung, sondern des Problems sind?"
In der englischsprachigen "Jordan Times" charakterisiert Rami G. Khouri die kommenden Wahlen als "Made in Washington", da das irakische Volk kaum an der Organisation der Abstimmung beteiligt sei. Die neue Regierung könne es aufgrund mangelnden Rückhalts in der Bevölkerung schwer haben: "Solange die amerikanischen Truppen im Irak bleiben, wird die regierende Autorität in Bagdad immer als Marionette gesehen werden, die von Washington eingesetzt wurde und nun geschützt und manipuliert wird." Trotzdem ist Khouri optimistisch. Bei gutem Verlauf könnten die Wahlen dennoch "ein entscheidender Schritt vorwärts" sein, hin zu einem "friedlichen, demokratischen und souveränen Irak".
Pragmatisch und nüchtern ist der Tenor eines Kommentar von Mohammed Galadari in der "Khaleej Times", die in Dubai erscheint: "Wahlen sind die einzige Hoffnung für den Irak. Sie müssen der erste große Schritt sein, um den Irak auf den richtigen Weg zu bringen." Die Iraker rief er dazu auf, den harten Zeiten geduldig zu widerstehen und mit Hoffnung in die Zukunft zu blicken.
Für eine Verschiebung des Wahltermins aufgrund der gefährlichen Lage im Irak plädiert Patrick Seale in der arabischen Tageszeitung "al-Hayat". Die ständigen Anschläge hätten bislang eine öffentliche Diskussion vieler grundlegender Fragen verhindert. Zum Beispiel sei noch immer unklar, ob das neue System im Irak säkular oder islamisch sein solle. Wahlen seien jedoch bedeutungslos, wenn es keinerlei nationale Übereinstimmung gebe. "Die Wahlen werden daher entweder überhaupt nicht stattfinden oder von einem Großteil der Gesellschaft als illegitim abgelehnt werden. Sie werden jedoch weder das Blutvergießen beenden noch eine Demokratie errichten."
Auch Seale sieht in der Militärpräsenz der USA im Irak ein großes Problem: "Eine äußere Macht kann einem Land nicht einfach ein politisches System entgegen den Wünschen von dessen Einwohnern aufzwingen." Die "wahren Kriegsziele" der USA hätten darin bestanden, die Kontrolle über Iraks Öl zu gewinnen und eine potentielle Bedrohung Israels auszuschalten. "Frisches Denken" sei nun notwendig, damit "das Gift von der Wunde im Irak nicht die ganze Region infiziert".
Vor den Folgen gescheiterter Wahlen im Irak warnt auch Amir Taheri in der englischsprachigen saudischen Tageszeitung "Arab News". Der Kommentator schreibt, dass die Wahlen im Irak die Machtverhältnisse im Nahen Osten und den Status der USA neu bestimmen werden. Sollten die Wahlen scheitern, wäre möglicherweise ein die gesamte Region destabilisierender Bürgerkrieg die Folge: "Der Irak könnte zu einem schwarzen Loch werden, das den ganzen Nahen Osten ins Ungewisse zieht." Auch in der arabischen Tageszeitung "al-Quds al-Arabi", die in London erscheint, werden Bedenken vor Bürgerkrieg und einem Zerfall des Irak geäußert. Der Journalist Abd al-Bari Atwan beschwört den Gedanken eines "Wiedererwachens der irakischen Nation" und ruft die zahllosen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen im Irak dazu auf, an der "Einheit des Irak" und an seiner "arabischen und islamischen Identität" festzuhalten.
In der pro-saudischen Zeitung "al-Sharq al-Awsat" fragt sich Amir Taheri, wie die zahllosen Gruppierungen im Irak mit ihren unterschiedlichen Interessen jemals zusammenfinden sollen - und wie auf diese Weise künftig die massiven Probleme des Landes gelöst werden sollen. Dennoch spricht er sich gegen einen Zerfall des Irak in mehrere Einzelstaaten aus: Wichtig sei jetzt, "die Einheit der Iraker, ihr Streben nach Demokratie und die Einheit des Landes beizubehalten. Die Rückkehr von Tyrannei in jeder Form muss verhindert werden."