Arafat im Koma Palästinensergruppen rangeln um Nachfolge
Ramallah/Gaza/Damaskus - Arafats offenbar bevorstehender Tod hat Befürchtungen ausgelöst, es könnte in den palästinensischen Gebieten und in den arabischen Staaten, in denen viele palästinensische Flüchtlinge leben - wie Jordanien, Syrien und Libanon - zu Unruhen oder gar blutig ausgetragenen Diadochenkämpfen kommen. Arafat hat keinen Nachfolger ernannt und auch keinen starken Mann unter sich aufgebaut. Er setzte damit auf eine Taktik, die auch viele arabische Staatschefs aus der Angst vor potenziellen Rivalen anwenden.
Sowohl einzelne Vertreter aus Arafats Palästinensischer Befreiungsbewegung (PLO) als auch konkurrierende Organisationen forderten am Donnerstag, Arafats Tod nicht abzuwarten, sondern bereits jetzt eine "kollektive palästinensische Führung" zu bilden. Der Versuch, dadurch ein Machtvakuum zu vermeiden, scheint dabei noch eines der hehreren Motive zu sein. "Es gibt viele islamische Gruppen außerhalb der PLO, deshalb rufen wir dazu auf, eine gemeinsame und vereinte Führung zu bilden, die alle einschließt - sowohl islamische wie auch nationale Kräfte", sagte Maher Taher vom syrischen PLO-Zweig.
Doch die Nachfolgekämpfe um die Macht haben bereits begonnen. Die im Gaza-Streifen operierende islamistische Organisation Hamas rief zwar ebenfalls zu einer gemeinsamen Führung auf. Dabei war allerdings offensichtlich der Hintergedanke ausschlaggebend, endlich an der palästinensischen Führung beteiligt zu werden. "Wegen Arafats Krankheit und der aktuellen inner-palästinensischen Entwicklung glauben wir, dass eine kollektive Führung jetzt zwingend notwendig ist", sagte Hamas-Vertreter Osama Hamdan in Gaza, "und wir wollen dabei sein".
Die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde rief die Bevölkerung dagegen zu "Einigkeit und Standfestigkeit" auf. Die Menschen sollten nicht auf Gerüchte über den Gesundheitszustand Arafats hören, sagte Arafats Chefberater Tayyib Abdarrahim in Ramallah. Dort kam das PLO-Exekutivkomitee am Donnerstagabend zu einer Krisensitzung zusammen. Wegen Arafats schwerer Erkrankung übertrug es dem palästinensischen Ministerpräsidenten Ahmed Kureia die Befugnis zur Erledigung "dringender Finanzangelegenheiten", hieß es. Die Abwicklung von Finanzgeschäften hatte bisher nahezu vollständig in Arafats Händen gelegen. Kureia und Außenminister Nabil Schaath wollen am Freitag in den Gaza-Streifen reisen, um einen möglichen Gewaltausbruch zu verhindern, wie ein Mitglied der Autonomiebehörde mitteilte.
In den palästinensischen Gebieten im Gaza-Streifen und im Westjordanland verharrten viele Menschen am Donnerstagabend angespannt vor dem Radio oder dem Fernseher, berichteten Korrespondenten. "Das wird eine Katastrophe, wenn Arafat stirbt", sagte der 18-jährige Student Hassan Ali in Gaza-Stadt. "Nur Gott weiß, wann er stirbt, aber es wird ein großer Verlust sein, der Tür und Tor für Kämpfe zwischen den Bürgern öffnen wird", meinte Tamam Hamud, ein Angestellter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Und die Studentin Dana al-Scheich Taha sagte: "Ich kann mir einen palästinensischen Staat ohne Arafat einfach nicht vorstellen."