Neue Uno-Studie Wo Armut zu Hause ist

Händler verkaufen Wassermelonen auf einem Markt in Agadez, Niger (Archivbild). In dem afrikanischen Land gelten 90,5 Prozent der Menschen als arm.
Foto: Joe Penney/ REUTERSSubsahara-Afrika und Südasien sind die Weltregionen, in denen die meisten armen Menschen leben. Das geht aus einem aktuellen Armutsindex hervor, den das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und die "Oxford Poverty and Human Development Initiative" am Donnerstag veröffentlicht haben. Demnach leben 84,5 Prozent der als arm geltenden Menschen in diesen beiden Weltregionen.
Die Forscher definieren dabei Armut nicht nur darüber, wie viel Geld Menschen zur Verfügung haben, sondern anhand von insgesamt zehn Indikatoren in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensstandard.
Sie sprechen deshalb von "multidimensionaler Armut". Der Index ergänze so die von der Weltbank festgesetzte Armutsgrenze, schreiben die Autoren. Die liegt derzeit bei kaufkraftbereinigten 1,90 Dollar pro Tag.

Quelle: Multidimensional Poverty Index 2019, OPHI, UNDP
Insgesamt untersuchten die Forscher im "Global Multidemensional Poverty Index" in diesem Jahr 101 Länder mit 5,7 Milliarden Einwohnern. Die Daten stammen aus den Jahren 2007 bis 2018.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie:
In den 101 untersuchten Ländern leben 1,3 Milliarden Menschen, die dem Index zufolge als arm gelten. Das sind 23,1 Prozent der Bevölkerung dieser Staaten.
Zwei Drittel dieser Menschen leben demnach in Staaten mit einem im Vergleich mittelhohen Pro-Kopf-Einkommen. Das zeige, dass der Kampf gegen Armut nicht auf Staaten mit geringem Pro-Kopf-Einkommen begrenzt werden könne, schreiben die Autoren.
Allerdings variiere das Auftreten von Armut stark innerhalb einer Region und auch innerhalb von Staaten. So sei Subsahara-Afrika zwar insgesamt arm, die Armutsquote im zentralafrikanischen Gabun aber mit 14,9 Prozent weitaus niedriger als beispielsweise in Niger oder im Südsudan. Und in einem Land wie Uganda reiche die Armutsquote - je nach Region - von 96 bis sechs Prozent. Ganze Regionen, Länder oder sogar Haushalte als arm zu bezeichnen, sei eine allzu starke Vereinfachung.
Kinder tragen den Autoren zufolge die größte Last und seien mit höherer Wahrscheinlichkeit arm als Erwachsene. Von den 1,3 Milliarden als arm identifizierten Menschen sind etwa die Hälfte Kinder und etwa ein Drittel sogar unter zehn Jahre alt. Von den 663 Millionen als arm identifizierten Kindern lebten die meisten in Subsahara-Afrika und Südasien. In Burkina Faso, Niger, Äthiopien und im Tschad gelten dem Index zufolge 90 Prozent oder mehr der Kinder unter 10 Jahren als arm.

Anmerkung: Die Daten stammen aus Umfragen, die zwischen 2007 und 2018 durchgeführt wurden.
Foto:Quelle: Multidimensional Poverty Index 2019, OPHI, UNDP
"Um Armut zu bekämpfen, müssen wir wissen, wo arme Menschen leben", sagte Achim Steiner, Leiter des Uno-Entwicklungsprogramms. "Sie sind nicht gleichmäßig über Länder oder sogar einen Haushalt verteilt." Der Index solle vor allem Politikern mit wenig Ressourcen helfen, zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen.
Werden die Ärmsten abgehängt?
Einen besonderen Fokus legt der Bericht unter anderem auf zehn ausgewählte Staaten: Peru, Bangladesch, Kambodscha, Indien, Nigeria, Pakistan, Vietnam, Kongo, Äthiopien und Haiti. In diesen Ländern betrachten die Forscher die Entwicklung ihres Armutsindexes über mehrere Jahre hinweg. Sie wollen so vor allem herausfinden, ob die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung Wege aus der Armut finden oder abgehängt werden.
Das Ergebnis der Forscher: Außer Nigeria machten alle Länder in den vergangenen Jahren signifikante Fortschritte. Allein in Indien gab es 2016 217 Millionen weniger arme Menschen als noch 2006.
Und auch die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung wurden in der Regel nicht abgehängt, wenn man den multidimensionalen Index betrachtet. So machten laut Studie in neun der zehn Ländern die ärmeren Bevölkerungsschichten sogar größere Fortschritte als die Gesamtbevölkerung. Diese Fortschritte der Ärmsten seien "ermutigende Nachrichten", sagte Sabina Alkire, die Direktorin der "Oxford Poverty and Human Development Initiative".
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