
Bürgerkrieg in Syrien Plan B für Assads Entmachtung
Auf einmal ist der Jemen in aller Munde. Das Land am Südzipfel der Arabischen Halbinsel, sonst wegen Terroranschlägen oder der Entführung von Ausländern in den Schlagzeilen, wird dieser Tage als Positiv-Beispiel für einen gelingenden Übergangsprozess von jahrzehntelanger Diktatur zu einer zumindest etwas demokratischeren Staatsform angeführt.
Westliche Chefdiplomaten beraten schon länger darüber, ob eine sogenannte jemenitische Lösung auch für Syrien denkbar sein könnte. Nachdem am Montag nun erstmals auch das Syrien-freundliche Russland andeutete, einem solchen politischen Prozess aufgeschlossen gegenüber zu stehen, könnte aus der Idee bald ein konkreter Plan werden.
Dieser könnte auf dem Machtverzicht von Staatschef Baschar al-Assad zugunsten eines Übergangspräsidenten beruhen. Andere Verantwortliche der derzeitigen syrischen Führung würden ihre Ämter behalten. Der Kompromiss könnte den seit 15 Monaten andauernden Bürgerkrieg in Syrien beenden, so die Hoffnung.
Dass eine Lösung für den Konflikt in Syrien dringender denn je ist, wurde am Freitag deutlich. Bei einem Massaker in der nordwestlichen Ortschaft Hula starben an jenem Tag über hundert Menschen, darunter mindestens 30 Kleinkinder. Zu dem Blutbad war es Augenzeugenberichten nach gekommen, nachdem Sicherheitskräfte zuerst eine friedliche Demonstration unter Feuer genommen hatten. Kämpfer der Aufständischen-Truppe Freie Syrische Armee griffen daraufhin Checkpoints des Militärs an.
Strategen richten den Blick gen Jemen
Nachdem sich die Freischärler angesichts der Übermacht der regulären Streitkräfte schließlich geschlagen geben mussten, bombardierte die Armee den Marktflecken. Regimetreue Schlägertrupps sollen in Feuerpausen von Haus zu Haus gezogen sein und ganze Familien abgeschlachtet haben.
Das Massaker von Hula hatte weltweit Entsetzen ausgelöst. Nachdem in Syrien eingesetzte Beobachter der Vereinten Nationen die Schuld an dem Blutbad eindeutig den Sicherheitskräften der Regierung zusprachen, sah sich Damaskus am Wochenende zunehmend isoliert. Selbst Russland und China, bislang zurückhaltend, wenn es um Kritik an ihrem Verbündeten Assad ging, unterzeichneten eine Erklärung des Uno-Sicherheitsrats, in der die Vorgänge in Hula scharf verurteilt wurden.
Hula hat jedoch nicht nur viele Tote gefordert, es hat auch die Fronten des syrischen Bürgerkriegs erneut verhärtet. Auf der einen Seite stehen die Aufständischen, die nicht mehr an eine politische Lösung glauben und am Wochenende ankündigten, Rache sei die einzig mögliche Antwort auf Hula. Und zum anderen ist da das in seiner Bunkermentalität gefangene Regime, das überzeugt zu sein scheint, dass es im Kampf um die Macht in Syrien nur Sieg oder Tod, auf keinen Fall jedoch einen Kompromiss geben kann.
Um diese verfahrene Situation aufzubrechen und weiteres Blutvergießen zu vermeiden, richten die Strategen der großen Nationen und Organisationen ihren Blick nun also nach Jemen.
Westerwelle: Werbung für das jemenitische Modell
Dort war es im Frühjahr vergangenen Jahres ähnlich wie in anderen arabischen Staaten zu einem Volksaufstand gegen den seit 30 Jahren regierenden Präsident Ali Abdullah Salih gekommen. Anfangs wurden die Proteste brutal niedergeschlagen. Als sich jedoch immer mehr Jemeniten den Aufständischen anschlossen und Salih bei einem Attentat schwer verwundet wurde, dämmerte es der Führungsriege, dass sie den Kampf um die Macht verlieren könnte.
Auf Vermittlung diverser Golfstaaten, die kein Interesse an bürgerkriegsähnlichen Zuständen in ihrem Nachbarland haben, einigten sich Regierung und Opposition schließlich auf eine Lösung, bei der die alte Garde ihr Gesicht wahren und schrittweise abgelöst werden würde.
Salih kündigte im November 2011 seinen Rücktritt an. Bei der folgenden Präsidentschaftswahl wurde der bisherige Vizepräsident und einzige Kandidat Abed Rabbo Mansur Hadi für eine Amtszeit von zwei Jahren gewählt, in der er eine Verfassungsreform erwirken soll.
Außenminister Guido Westerwelle hatte bereits bei seiner Nahost-Reise im März Werbung für das jemenitische Modell gemacht. Ein Abgang des Despoten Assad gegen die Zusage von Straffreiheit und Asyl, das sei doch eine denkbare Variante, trug er damals in Saudi-Arabien vor. "Wenn auf diese Weise ein politischer, friedlicher Wandel auch in Syrien gelingen könnte, dann wäre das eine gute Nachricht für die Menschen, die jetzt so viel leiden", so Westerwelle damals.
Assad: Abgang auf Raten?
Inzwischen scheint sich die Idee, Assad einen Abgang auf Raten zu ermöglichen, auch in Washington durchzusetzen. Mitte Mai hatte US-Präsident Barack Obama auf dem G8-Gipfel in Camp David seine Unterstützung für einen Machtwechsel in Syrien nach jemenitischen Vorbild signalisiert.
Jemen könnte als Modell für den politischen Übergangsprozess in Syrien dienen, zitierte das US-Präsidialamt Obama. Ben Rhodes, ein Vertreter des nationalen Sicherheitsrates, sagte damals: "Es ist unsere Einschätzung, dass man dieses Problem nicht nur mit Beobachtern und Waffenstillständen lösen kann, sondern dass man einen politischen Prozess in die Wege leiten muss, der auf das syrische Volk eingeht."
Am Montag sah es nun so aus, als sei ein möglicher jemenitischer Fahrplan für Syrien seiner Umsetzung ein entscheidendes Stück näher gekommen. Russland, das eine mögliche Absetzung Assads und eine Einmischung des Auslands in syrische Belange bislang kategorisch abgelehnt hatte, sei unter Umständen bereit eine jemenitische Lösung mitzutragen, signalisierte der russische Außenminister Sergej Lawrow.
Bei einem Treffen mit seinem britischen Amtskollegen William Hague in Moskau schlug Lawrow neue Töne an, als er sagte, Russlands Loyalität gelte nicht der Person Assad, sondern der syrischen Nation. "Es ist nicht das Wichtigste, wer die Macht in Syrien hat, welches Regime die Macht hat", so der Außenminister. Für Russland sei es entscheidend, dass die Gewalt unter Zivilisten aufhöre und dass ein politischer Prozess möglich gemacht werde, der es den Syrern erlaube, ihre eigenen Entscheidungen über die Souveränität ihres Landes zu fällen. Lawrow deutete an, dass eine von Russland akzeptierte Lösung jedoch beinhalten könnte, dass Assad noch für eine gewisse Zeit im Amt bleiben werde.
Kofi Annan: "Schockiert und entsetzt"
Sollten sich Entscheidungsträger rund um den Globus darauf einigen, Assad die Möglichkeit der Machtübergabe an einen Mann seines Vertrauens anzudienen, wäre jedoch die nächste Frage, ob sich die Opposition darauf einlassen würde, dass nur die Spitze des Regimes ausgewechselt werden würde. Die jüngsten Racheschwüre der Freien Syrischen Armee deuten schon an, dass es äußerst schwierig werden könnte, die Rebellen unter solchen Bedingungen von der Notwendigkeit zur Niederlegung ihrer Waffen zu überzeugen.
Unterdessen hat der Syrien-Sonderbeauftragte Kofi Annan seine Vermittlungsbemühungen mit einem erneuten Besuch in Damaskus fortgesetzt. Er sei "persönlich schockiert und entsetzt" von den Vorfällen in Hula, sagte Annan bei seiner Ankunft in der syrischen Hauptstadt am Montag. Annan sprach von einem "Abscheu erregenden Akt mit weitreichenden Konsequenzen". Er wollte während seines Besuchs in Damaskus mit Präsident Baschar al-Assad, Oppositionsvertretern und General Mood zusammenkommen, wie Annans Sprecher Ahmad Fawzi sagte. Es ist Annans zweiter Besuch in Damaskus seit dem Beginn seiner Vermittlungsmission im Auftrag von Vereinten Nationen und Arabischer Liga vor rund drei Monaten.