Protest gegen Erdogan TV-Sender meldet Tod eines 22-jährigen Demonstranten

Protest gegen Erdogan: TV-Sender meldet Tod eines 22-jährigen Demonstranten
Foto: Uriel Sinai/ Getty ImagesIstanbul/Antakya/Ankara - Bei den Protesten gegen die islamisch-konservative Regierung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist laut Medienberichten ein zweiter Demonstrant getötet worden. Ein Unbekannter habe dem 22-Jährigen in der südtürkischen Stadt Antakya demnach in den Kopf geschossen, meldete der türkische Nachrichtensender NTV. Dieser berief sich auf den Gouverneur der Provinz Hatay.
Der Vorfall ereignete sich am Montag in der Provinz Hatay nahe der Grenze zu Syrien, wie der TV-Sender weiter berichtete. Nach Angaben des Oppositionsabgeordneten Hasan Akgöl war der junge Mann Mitglied in der Jugendorganisation der laizistischen Republikanischen Volkspartei, kurz CHP.
Die Polizei leitete Ermittlungen ein. Demonstranten berichteten, dem Mann sei von Sicherheitskräften in den Kopf geschossen worden. Später sei der 22-Jährige im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen.
Tränengas und Wasserwerfer
In mehreren türkischen Städten lieferten sich regierungskritische Demonstranten in der Nacht zum Dienstag erneut Straßenkämpfe mit der Polizei. In Ankara und Istanbul setzten Sicherheitskräfte Tränengas und Wasserwerfer ein. Nach Angaben von Augenzeugen und dem Fernsehsender CNN-Türk gingen Beamte in beiden Städten gegen Hunderte Protestierende vor. Aus deren Reihen seien Steine auf Polizisten geworfen worden.
In Istanbul kam es auch in der vierten Nacht in Folge zu gewaltsamen Zusammenstößen. Wie Aktivisten und türkische Medien berichteten, ging die Polizei im Stadtteil Besiktas am späten Montagabend mit Tränengas gegen Erdogan-Gegner vor. Dabei soll es wieder Verletzte gegeben haben. Die Auseinandersetzungen waren aber nicht mehr so schwer wie in der Nacht zuvor. Auf dem zentralen Taksim-Platz hielten Regierungsgegner weiter die Stellung. Im europäischen Teil von Istanbul im Viertel Gümüssuyu errichteten Demonstranten laut CNN-Türk Barrikaden und entzündeten Feuer.
Schwere Zusammenstöße gab es zudem in Ankara rund um den zentralen Kizilay-Platz. CNN-Türk zufolge setzte die Polizei im Stadtteil Kavaklidere auch Gummigeschosse gegen Protestierende ein.
Kritik am brutalen Vorgehen der Polizei
Die Demonstranten werfen Erdogan einen zunehmend autoritären und selbstherrlichen Regierungsstil vor. Zudem verdächtigen sie ihn, die schleichende Islamisierung der Türkei zu betreiben. Entzündet hatten sich die Proteste an der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers in Istanbul. Mit diesem wollten die Besetzer die Zerstörung des Gezi-Parks am zentralen Taksim-Platz in Istanbul verhindern.
Beobachter kritisieren, dass die Polizei im unverhältnismäßigen Maß Gewalt gegen die Demonstranten einsetzt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen und Ärzteverbänden wurden bei den Protesten bisher mehr als 1700 Menschen verletzt. Die türkische Regierung sprach hingegen bis Sonntag von 173 Verletzten.
Seit Tagen kursieren Berichte über mehrere getötete Demonstranten, die bisher offiziell nicht bestätigt wurden. Der Ärzteverband TTB meldete bereits einen Toten. Am Sonntag kam demnach ein junger Demonstrant, der an der Blockade einer Stadtautobahn in Istanbul teilnahm, ums Leben. Er soll gestorben sein, als ein Auto in die Menge raste.
Das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte löst international Besorgnis aus. Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union und die US-Regierung forderten angemessene Reaktionen auf die Proteste.
"Wir haben schon einen Frühling in der Türkei"
Angesichts der schweren Gewalt forderte der Wortführer der parlamentarischen Opposition das Eingreifen von Staatspräsident Abdullah Gül. Der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, sagte nach einem Treffen mit dem Staatschef am Montag in Ankara, er habe Gül auf seine verfassungsmäßigen Amtsvollmachten angesprochen.
Erdogan sagte am Montagabend bei einem Besuch in Marokko, die Lage in seinem Land "beruhigt sich allmählich". Wenn er zurückkehre, seien "die Probleme erledigt". Der Regierungschef war ungeachtet der anhaltenden Proteste am Montag zu einer Nordafrika-Reise aufgebrochen.
Zuvor hatte er seine Drohungen gegen die Demonstranten verschärft. Der türkische Geheimdienst sei inländischen und ausländischen Gruppen auf der Spur, mit denen noch abgerechnet werde. Die Protestwelle gegen ihn und seine Regierung sei von Extremisten organisiert. Vergleiche mit den Volksaufständen des Arabischen Frühlings wies Erdogan zurück. "Wir haben schon einen Frühling in der Türkei. Einige versuchen aber, diesen in einen Winter zu verwandeln. Sie werden keinen Erfolg haben." Seine Partei habe bei drei Parlamentswahlen wachsende Zustimmung erfahren und das Volk hinter sich.
Dagegen erklärte Staatspräsident Gül: "Demokratie bedeutet nicht allein, Wahlen zu haben." Unterschiedliche Meinungen müssten geäußert werden, aber mit gegenseitigem Respekt. "Wir leben in einer offenen Gesellschaft."