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Aufstand in Syrien: Christen in Todesangst

Foto: Hussein Malla/ AP

Aufstand gegen Assad Syriens Christen fliehen vor radikalen Rebellen

Tausende Syrer fliehen in den Libanon - und nicht nur aus Angst vor dem Assad-Regime. Vor allem syrische Christen haben unter Attacken von Rebellentrupps zu leiden. Im ostlibanesischen Bekaa-Tal finden christliche Familien eine erste Zuflucht. Die Angst vor dem Terror bleibt.

Warnungen, dass Familie Churi* nicht reden würde, gab es viele: "Die sagen kein Wort, die sind viel zu verängstigt", hatte der Bürgermeister von Kaa, dem nordost-libanesischen Marktflecken, in dem die Churis untergekommen sind, prophezeit. "Die machen Journalisten noch nicht mal die Tür auf", sagte einer, der die Familie im Auftrag einer Nichtregierungsorganisation befragt hatte.

Doch irgendwie klappt es dann doch, und nun sitzen die Churis da und erzählen: Verhalten und zögerlich berichten die Frauen, was ihren Männern, Brüdern und Neffen in ihrer syrischen Heimatstadt Kusair widerfahren ist: Sie wurden von syrischen Rebellenkämpfern getötet, erzählen die Frauen. Ermordet, weil sie Christen waren, und somit aus der Sicht der radikalislamischen Freiheitskämpfer keinen Platz im neuen Syrien haben.

Seit eineinhalb Jahren, seit der Aufstand gegen den Diktator Baschar al-Assad begann, sind Hunderttausende Syrer aus ihrer Heimat ins Ausland geflohen. Weiterhin sollen nach Schätzungen der Vereinten Nationen eine Million Menschen als Binnenvertriebene innerhalb des Landes auf der Flucht sein. Die Mehrzahl dürfte vor der Brutalität der staatlichen Truppen geflohen sein: Die meiste Gewalt im syrischen Bürgerkrieg geht nach wie vor von der Armee, den Geheimdiensten und staatlich organisierten Schlägertrupps aus.

Doch mit dem Anhalten der Kämpfe verrohen auch die Rebellen. Fraktionen der bunt zusammengewürfelten Freien Syrischen Armee haben sich in den vergangenen Monaten rasant radikalisiert. Einige sind dabei unter den Einfluss von aus dem Ausland nach Syrien gereisten Dschihadisten geraten: So berichten es Augenzeugen auch aus Kusair, wo in vergangenen Monaten heftige Kämpfe tobten. Der Ort fiel dabei abwechselnd in die Hand der Rebellen und der Regierungstruppen. Derzeit haben die Kämpfer der Freien Syrischen Armee die Oberhand - und haben die 40.000 Einwohner-Stadt zu einem Ort gemacht, in dem Christen sich nicht mehr sicher fühlen.

Kampagne gegen Christen

"Es gab immer Christen in Kusair, vor dem Krieg waren wir etwa zehntausend", sagt Leila, die Matriarchin des Churi-Clans, der zu elft - Oma, Opa, drei Töchter, eine mit Mann, fünf Kinder - in zwei Zimmern haust. "Obwohl die meisten unserer Männer einen Job im Staatsdienst hatten, kamen wir in den ersten Monaten des Aufstands gut mit den Rebellen aus." Die Aufständischen hätten die Christen in Ruhe gelassen, die ihrerseits versuchten, in dem sich zuspitzenden Machtkampf Neutralität zu wahren. Doch vergangenen Sommer wendete sich das Blatt, sagt Leila, murmelt noch etwas und verstummt dann.

"Wir haben Angst zu reden", erklärt ihre Tochter Rim und fasst sich dann doch ein Herz: "Vergangenen Sommer kamen Salafisten nach Kusair, Ausländer. Sie haben die örtlichen Rebellen gegen uns aufgehetzt", sagt sie. Schon bald sei eine regelrechte Kampagne gegen die Christen von Kusair im Gange gewesen. "Sie haben am Freitag in der Moschee gepredigt, dass es eine heilige Pflicht sei, uns zu vertreiben. Ständig wurden wir beschuldigt, für das Regime zu arbeiten. Immer wieder mussten Christen Schmiergelder an die Dschihadisten zahlen, um nicht an die Wand gestellt zu werden." Großmutter Leila bekreuzigt sich: "Jeder, der dieses Kreuz schlägt, leidet."

Ausländische Dschihadisten kämpfen in Kusair

Die Erzählungen der Khoury-Frauen sind nicht zu überprüfen, aber Eckdaten stimmen. Am 20. April erbrachte Abd al-Ghani Dschauhar unfreiwillig den Beweis, dass ausländische Dschihadisten in Kusair kämpfen: Dschauhar, Libanese und Kommandeur der radikalen Terrorgruppe Fatah al-Islam, starb an jenem Tag in dem syrischen Ort. Der Sprengstoffexperte, der in Kusair war, um die Rebellen im Bau von Sprengfallen zu unterweisen, jagte sich beim Basteln mit Sprengstoff versehentlich in die Luft. Dschauhar war bis zu seinem Tod der meistgesuchte Mann des Libanon, wo wegen 200-fachen Mordes nach ihm gefahndet wurde. Die libanesischen Behörden bestätigten seinen Tod in Syrien. Dass die Rebellen mit einem Mann wie Dschauhar gemeinsame Sache gemacht hatten, schürte nach seinem Tod die Angst, dass die Reihen der Aufständischen zunehmend von internationalen Terroristen durchsetzt zu sein scheinen.

Doch zurück zu den Churis: Dass sie kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres schließlich aus Kusair flohen, lag einerseits an den Drohungen, die sie und ihre christlichen Nachbarn da schon beinahe täglich erhielten. Andererseits waren die Kämpfe in der Stadt unerträglich geworden: "Die Bomben fielen mitten in unser Viertel. Wir können nicht sagen, wer sie schickte, ob die Rebellen oder die Armee." Während einer Feuerpause an einem bitterkalten Wintertag machte sich die Familie schließlich davon: "Wir haben ein Auto organisiert und sind in den Libanon rüber. Es sind ja nur 45 Minuten Fahrt."

Auch Rims Mann war bei der Flucht dabei. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er am 9. Februar zurück nach Kusair fuhr: Er wollte für seine Familie im Exil Lebensmittel aus dem Minimarkt holen, den er in seiner Heimatstadt betrieben hatte. Was dann passierte, wissen die Frauen nur aus den Erzählungen von in Kusair verbliebenen Verwandten und Freunden. "Er wurde an dem Rebellen-Checkpoint nahe der staatlichen Bäckerei aufgehalten. Die Rebellen wussten, dass er Christ ist. Sie haben ihn mitgenommen und nach fünf bis sechs Stunden tot vor die Tür seiner Eltern geworfen", sagt Rim.

Großmutter Leila bekreuzigt sich: Nicht nur ihr Schwiegersohn ist tot. Auch ihr Bruder wurde getötet, ebenso zwei ihrer Neffen. "Einen meiner Neffen, einen Apotheker, haben sie in seiner Wohnung erschossen, weil er für das Regime war."

Furcht vor den syrischen Landsleuten

Es sind genau 32 christliche Familien, die in Kaa, nur zwölf Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, Unterschlupf gefunden haben. Obwohl der Ort ebenfalls christlich ist und Kaa die vor den Rebellen Geflohenen auch deshalb schützt, leben die Churis und ihre Leidensgenossen in ständiger Angst: Da ist zum einen das dumpfe Wummern der Artillerie, das über die Grenze schallt und das sie nicht vergessen lässt, was in ihrer Heimat los ist. Eine Rauchsäule steht hinter der nächsten Bergkette: Am Vortag hat ein Geschoss eine Tankstelle auf der syrischen Seite der Grenze getroffen. Sie steht seitdem in Flammen. Vor vier Wochen haben die Churis erfahren, dass ihr Haus in Kusair von einer Rakete getroffen und komplett zerstört wurde.

Doch es sind vor allem ihre syrischen Landsleute, vor denen sich die Churis fürchten: Kaa als Grenzstadt ist ein Magnet für zwei Sorten Flüchtlinge, sagt Bürgermeister Mansur Saad. "Da sind zum einen die Christen, die vor den Rebellen geflohen sind. Und dann sind da Flüchtlingsfamilien, deren Männer in den Reihen der FSA kämpfen" Im libanesischen Exil träfen die beiden verfeindeten Gruppen aufeinander: "Es gibt eine Menge Spannungen zwischen ihnen. Wir tun unser Bestes, die beiden Gruppen auseinanderzuhalten."

Saad ist, wie viele libanesische und syrische Christen, ein Anhänger des Assad-Regimes. Als religiöse Minderheit bliebe den Christen in Nahost nichts anderes übrig, als sich einem starken Mann anzuschließen, der sie beschützen kann, sagt er. "Die Rebellen haben es nicht geschafft, mich zu überzeugen, dass sie für die Demokratie kämpfen", so der Bürgermeister.

Zwar gebe es eine Menge Fragezeichen, was das Assad-Regime angehe. "Meinungsfreiheit gibt es in Syrien sicher nicht." Doch seien die Rebellen keinen Deut besser, meint Saad. Der Aufstand in Syrien möge zu Beginn noch redliche Ziele gehabt haben, inzwischen sei die gute Sache jedoch von Islamisten vereinnahmt worden, sagt der Bürgermeister. "Und wir kennen die Sorte Muslime, die sich an die Spitze der Rebellion gesetzt haben. Das sind die, die die Leute zurück in die Steinzeit führen wollen."

*alle Namen von der Redaktion geändert
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