
Augenzeugen des Anschlags in Moskau "Hier liegen Leichenteile"
Es war der Twitter-User Ilya Likhtenfeld, der gegen 16.30 Uhr Ortszeit als Erster berichtete: "Terrorakt in Domodedowo! Schreckliche Explosion im Gebäude des Flughafens! Dutzende Körper auseinandergerissener Menschen!"
Dann folgten erste Videos aus dem Terminal, ebenfalls via Twitter verbreitet. Sie zeigten die verzweifelte Lage im Flughafen nur wenige Minuten nach dem Attentat: Männer irren mit Taschenlampen durch den dichten Qualm. An einer Stelle brennt es, auf dem Boden sieht man schemenhaft Dutzende bewegungslose Körper, Schreie sind zu hören, Koffer und umgestürzte Gepäckwagen liegen herum. Dann rennen auch schon Sanitäter in blauen Jacken mit fahrbaren Krankentragen über das Parkett innerhalb des Flughafens Domodedowo. "Aus dem Weg!", rufen sie.
Augenzeugen berichten im Radio von einem regelrechten Blutbad. "Es gab eine Explosion", erzählt ein Augenzeuge dem Radiosender Russkaja Sluschba Nowostei. "Dann habe ich einen Polizisten gesehen, der mit Körperteilen und Blut bedeckt war."
Unter den Opfern soll nach Angaben der russischen Agentur Inferfax auch eine Deutsche sein. Der Zustand der Frau sei stabil, meldete die Agentur unter Berufung auf Mediziner. Die Identität der Frau war vorerst nicht bekannt. Die Deutsche Botschaft in Moskau konnte die Angaben zunächst nicht bestätigen. Auch dem Auswärtigen Amt lagen zunächst keine Erkenntnisse vor. Seinen Angaben zufolge sind Mitarbeiter der Botschaft aber am Flughafen und im Kontakt mit den russischen Behörden. Nur Minuten nach der Explosion landete am internationalen Terminal des Flughafens ein Flugzeug der Fluggesellschaft Air Berlin aus Berlin. Die Lufthansa musste drei Flüge nach Moskau umleiten.
"Hier laufen Menschen mit Verbrennungen herum, und Leichenteile liegen auf Bahren", berichtet ein Augenzeuge namens Andrej, der zum Zeitpunkt der Explosion am Informationsschalter stand, dem Sender City FM. "Hier geschieht etwas Furchtbares." Ein anderer Augenzeuge namens Alexej sagt: "Wir sind in diesem Land einfach nicht sicher." Eine Lufthansa-Stewardess namens Elena berichtet der Nachrichtenagentur AFP von einem "großen Knall": "Alle standen unter Schock."
Das bestätigt Augenzeuge Lew Grigorjan im Fernsehkanal Rain: "Es gab einen Knall, dann war überall Qualm.
"Die Fenster der Vitrinen zersplitterten. Es gab sehr viele Verletzte", erzählt eine junge Russin, deren zitternde Stimme erkennen lässt, dass sie sich noch nicht von dem Schock erholt hat. "Danke Gott, dass ich am Leben geblieben bin."
Kopf des mutmaßlichen Attentäters gefunden
Und auch dies wurde berichtet: Kurz bevor er den Sprengsatz zündete, soll der mutmaßliche Selbstmordattentäter angeblich gerufen haben: "Ich werde euch alle töten!" Das haben Augenzeugen dem russischen Sender Vesti 24 laut mehreren Twitter-Usern gesagt.
Am Abend gab die Polizei bekannt, dass sie den Kopf des mutmaßlichen Attentäters gefunden habe. Es handele sich um einen Mann im Alter zwischen 30 und 35 Jahren mit südländischem Aussehen. Nach Berichten russischer Medien wird vermutet, dass der Mann aus dem Konfliktgebiet im russischen Nordkaukasus kam. In der Region liefern sich Terroristen, kriminelle Banden und Kreml-treue Einheiten fast täglich Gefechte. Islamisten haben immer wieder gedroht, den Terror auch in die russische Hauptstadt zu tragen. In den vergangenen Jahren ist Russland wiederholt von Terroristen attackiert worden.
Bei dem Anschlag in der Ankunftshalle des Flughafens sind den russischen Behörden zufolge mindestens 35 Menschen getötet worden. Unklarheit herrschte zunächst über die Zahl der Verletzten. Die Behörden sprachen von 46 Personen, russische Medien und eine Airportsprecherin berichteten dagegen von mehr als 170 Verletzten.
Wieder hatten die Terroristen einen Montag ausgewählt - so wie schon im März des vergangenen Jahres. Damals hatten sich zwei Attentäterinnen aus dem Nordkaukasus während des Berufsverkehrs in der Moskauer Metro in die Luft gesprengt und rissen 41 Menschen mit in den Tod. Der Führer der Islamisten im Nordkaukasus, Emir Doku Umarow, bekannte sich zu dem Attentat. Wer hinter dem Attentat von diesem Montag steht, ist bisher unbekannt.
Ein Bekennerschreiben gibt es zwar noch nicht. Eine naheliegende Vermutung ist jedoch, dass es eine Verbindung zu Dschihadisten aus der Region Tschetschenien, dem sogenannten Emirat Kaukasien, gibt. Allerdings ist es dort im vergangenen Jahr zu internen Verwerfungen gekommen. Der Führer, Emir Doku Umarow, hat sich einen öffentlichen Führungsstreit mit seinem Vize geliefert. Ob sich die Organisation wirklich aufgespalten hat, ist offen.
Retter stecken im Stau fest
Unklarheit herrscht noch über die Machart des Attentats. Während die meisten Medien davon ausgehen, dass die Bombe in einem Koffer deponiert war und per Handy gezündet wurde, berichtet die Internetzeitung "Gazeta.ru" unter Berufung auf Augenzeugen, dass die Bombe von einem Selbstmordattentäter gezündet wurde.
Erschwert wurde der Abtransport der Verletzten dadurch, dass sich das Attentat kurz vor der Moskauer Rushhour ereignete. Die Kaschirskoje- und Warschawskoje-Chaussee, die aus der Stadt zum Flughafen führen, sind traditionell sehr stark vom Stau betroffen. Das wurde zum Problem für die Rettungskräfte. "Die Autofahrer lassen die Krankenwagen nicht durch", berichteten mehrere Russen per Twitter direkt aus den Staus.
Der Fernsehsender Rossija-24 zeigt am Abend einen niedergeschlagenen Präsidenten Dmitrij Medwedew, der feststellen muss, dass offenbar nicht alle Sicherheitsmaßnahmen, die nach den Terroranschlägen im vergangenen März angeordnet wurden, "so wie geplant ausgeführt wurden". Er ordnete weitere Sicherheitsvorkehrungen an allen Flughäfen und Verkehrsknotenpunkten an.
Die zwei großen staatlichen Fernsehkanäle unterbrachen ihr Programm übrigens nicht. Sie zeigten wie planmäßig die Sendungen "Das Institut der edlen Jungfrauen" und "Lass uns heiraten".
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