
S.P.O.N. - Im Zweifel links Auferstehung West?


"Eurofighter" am Start: Ukraine-Krise hat dem Westen neue Kraft eingeflößt
Foto: Robin Van Lonkhuijsen/ dpaOstern ist die Zeit der Wunder. Und die Auferstehung ist bekanntlich das größte Wunder von allen. Aber der Herr, der diesmal tätig wurde, ist nur der des Kreml und seine Wunderkraft entsprechend begrenzt: Wladimir Putin hat dem Westen, der vor der Ukraine-Krise zerstritten und schwach daniederlag, neue Kraft eingeflößt. Die NSA-Krise ist vergessen, die Nato erwacht zu neuem Leben. Dem gemeinsamen Feind sei Dank.
Aber der Schein trügt: Die Zerstrittenheit heilt nur vorübergehend, und die Selbstzweifel werden zurückkehren. Denn der Anspruch des Westens, für die gesamte Welt sprechen zu dürfen, war eine historische Anmaßung. Sie beruhte nicht auf einer höheren Moral, sondern auf der stärkeren Macht. Aber die Macht des Westens ist zerbrochen. Und sie wird nicht wieder heil.
"Darum, mein Heinrich, / Beschäft'ge stets / die schwindlichten Gemüter / Mit fremden Zwisten, / dass Wirken in der Fern' / das Angedenken vor'ger Tage banne."
Was Shakespeares König Heinrich IV. seinem Erben auf dem Sterbebett riet, gilt heute wie damals. Es kommt dem Westen zur rechten Zeit, dass Wladimir Putin die innere Krise der Ukraine zum eurasischen Zerwürfnis eskalierte. Wer wollte den USA jetzt noch kleinlich vorwerfen, Freund und Feind gleichermaßen mit dem Schatten der totalen Überwachung zu überziehen?
Der Westen nutzt die Ukraine-Krise, um sein Lager zu ordnen. "Wie hältst Du es mit Putin?" wird zum Lackmus-Test westlicher Vasallentreue, zur neuen Gesinnungsfrage. Wer nicht an der richtigen Stelle klatscht, wird als "Putin-Versteher" beschimpft und muss gleich auch erklären, wie er zu Putins Schwulen-Politik steht - und der Vorwurf des Antiamerikanismus liegt ohnehin nahe.
Stark wie ein römischer Gott
Sechs "Eurofighter" will die Bundeswehr ins Baltikum schicken. Verteidigungsministerin von der Leyen droht Russland mit neuen Sanktionen, und im neuen SPIEGEL beschwört Dirk Kurbjuweit eindringlich die westlichen "Eigenschaften des Mars, also Waffen, kriegerische Fähigkeiten und manchmal die Entschlossenheit, all das einzusetzen".
Es ist wie weiland im Prager Frühling, dem die Russen ein brutales Ende setzten. Franz Josef Strauß frohlockte damals, dass Moskau "die Maske vom Gesicht gerissen" sei, und tönte von der "Erhöhung der deutschen Verteidigungskraft" und der "Stärkung der Aktionsfähigkeit und des Verteidigungspotentials des atlantischen Bündnisses". Aber damals hätte die stärkste Nato den Tschechen nicht helfen können, und heute werden noch so entschlossene West-Marsianer den Zerfall der Ukraine nicht aufhalten können, wenn die Ukraine denn zerfallen soll.
Einsicht in die eigene Begrenztheit ist eine Eigenschaft, die der Westen nur langsam lernt. Aber das ist auch kein Wunder. Die westliche Weigerung, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, aus Erfahrungen und Fehlern, ist nur scheinbar frappierend. Totalitäre Ideologien neigen nicht zum Selbstzweifel - und das, was der Historiker Heinrich August Winkler "das normative Projekt des Westens" genannt hat, war seinem Wesen nach von Anfang an eine totalitäre Ideologie: Universalismus ist totalitär.
Am 19. November 1792 traf der französische Nationalkonvent eine weitreichende Feststellung: Dass die französische Nation in dem Moment, da sie ihre eigene Souveränität erklärte, auch allen anderen Nationen ihre Souveränität zuerkannt hatte. Große Erleichterung: Auch im säkularen Zeitalter brauchte der Westen beim Erobern kein schlechtes Gewissen mehr zu haben. Früher brauchte man das Christentum - jetzt das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Universalität der Menschenrechte war damit gleich zu Beginn geradezu zwangsläufig in den "Imperialismus des Universellen" (Pierre Bourdieu) umgeschlagen. Seitdem gibt es überall auf der Welt - nicht nur in Vietnam - Dörfer, Städte, Länder, die der Westen erst zerstören musste, um sie zu befreien.
Kollateralschäden westlicher Moral
Wer über einen Abschied vom westlichen Alleinvertretungsanspruch nachdenkt, der wird im neuen SPIEGEL daran erinnert, dass der Westen sich dem Konflikt zwischen "Macht und Mission" nicht entziehen könne - wobei die Macht eine Kategorie böser Russen und Chinesen ist und die Mission eine des guten Westens.
Viele Menschen auf der Erde hätten Mühe, diesen Unterschied zu erkennen, von den Nachkommen der 80.000 Herero, die die Deutschen zu Beginn des Jahrhunderts niedergemacht haben, bis hin zu den vier oder fünf Unbeteiligten, die am Ostersonntag im Jemen Opfer eines amerikanischen Drohnenangriffs wurden. Aber das sind alles Kollateralschäden westlicher Moral. Und wenn man sich einmal an das gute Gewissen gewöhnt hat, will man nicht gerne davon lassen. So hat es sich der Westen erlaubt, über seine moralisch-militärischen Katastrophen in Afghanistan und im Irak hinwegzusehen. Und wenn jetzt der amerikanische Geheimdienstchef in die Ukraine reist, schnoddert die "Süddeutsche Zeitung" das einfach so weg: "Ja, auch der CIA-Direktor war in der Ukraine - eine Blödheit besonderer Güte und willkommenes Futter für alle, die eine große Verschwörung vermuten."
Denn selbst die CIA ist am Ende doch ein Werkzeug des Guten.
