Ausländer in der Schweiz Zürcher hadern mit deutschen Zuwanderern

Mehr als 25.000 Deutsche leben in Zürich. Sie arbeiten als Mediziner, Anwälte oder Werber, verdienen gut und können sich die horrenden Mieten mühelos leisten - zum Ärger vieler Einheimischer.
Von Michael Soukup

Zürich - Es ist beinahe schon ein Ritual. Frühmorgens in der Tram beobachtet Elmar Ledergerber amüsiert seine dahindösenden Mitreisenden. Wie sie plötzlich zusammenzucken, wenn der Tramführer in schroffem Berlinisch die nächste Haltestelle ansagt. Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) begannen vor einem Jahr gezielt Bus- und Straßenbahnführer aus Nord- und Ostdeutschland anzustellen. Zum Missfallen einiger Passagiere allerdings. Die haben sich nämlich bei der VBZ beschwert, weil die Stationen nicht mehr in Züridütsch angekündigt werden.

Stadtkulisse Zürich: Großer Zulauf aus Deutschland

Stadtkulisse Zürich: Großer Zulauf aus Deutschland

Foto: swiss-image.ch

Einige Einheimische sind aber auch entzückt: "Der Tramführer sagt es dann auf eine so charmante Art und wünscht am Schluss einen schönen Tag, dass alle wieder lächeln." Elmar Ledergerber hat offensichtlich keine Probleme mit den Deutschen. Nicht zuletzt, weil er Stadtpräsident der größten Schweizer Stadt ist.

Der 64-Jährige weiß, dass der Wirtschaftsaufschwung Zürichs ohne die Masseneinwanderung deutscher Arbeitskräfte so nicht möglich gewesen wäre. Seit dem Inkrafttreten der bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU Mitte 2002 erlebt die Schweiz großen Zulauf aus Deutschland. Nur vergleichbar mit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung deutsch waren.

"Ob im Kulturbereich, an den Universitäten, im Bankensektor, aber auch in der Gastronomie und im öffentlichen Verkehr, überall trifft man Deutsche, die einen guten Job machen", lobt der Stapi, wie Zürichs Bürgermeister liebevoll genannt werden.

Bittere Wohnungsnot im Trendquartier

In der Schweizer Wirtschaftsmetropole bilden deutsche Staatsangehörige mittlerweile die mit Abstand größte Ausländergruppe. 2007 stammten 25.379 Personen aus Deutschland – doppelt so viele wie Italiener, lange Zeit die dominierende ausländische Nation. Letztes Jahr übertraf zudem erstmals die Zahl der Gäste aus Deutschland die Zahl der Logiernächte von Inlandgästen.

Kein Wunder, dass man Deutsche auf Schritt und Tritt trifft. Selbst in den entlegensten Winkeln Zürichs. "In der Waldhütte Fallätsche, die eigentlich nur wenigen Einheimischen bekannt ist, begegne ich garantiert immer auch ein paar Deutschen", muss Ledergerber schmunzeln. "Die sind sehr unternehmungslustig." Tatsächlich bedarf es schon einiger Anstrengung. Das Haus des Vereins "Alpenklub zur steilen Wand" befindet sich 740 Meter über dem Meeresspiegel und ist nur zu Fuß erreichbar.

Elmar Ledergerber legt einen Stadtplan auf den Tisch. Je dunkler das Blau, desto höher ist der Anteil der Deutschen. Die Quartiere um das Seebecken, am Zürichberg sowie im Trendquartier Escher Wyss sind ganz dunkelblau eingefärbt. Es sind die begehrtesten und teuersten Quartiere. Hier wohnen mit elf Prozent Bevölkerungsanteil die meisten Deutschen. "Ich könnte mir keine Wohnung hier leisten", kokettiert der sozialdemokratische Politiker ein wenig mit seinem Beamtenstatus.

Zürich ist nicht nur eines der teuersten Pflaster der Welt, es herrscht auch noch bittere Wohnungsnot. Gemäß aktuellster Statistik vom Juni zählte die Stadt 57 freie Mietobjekte auf 380.000 Einwohner, was einem Leerstand von 0,03 Prozent entspricht. "Eine große Wohnung mit günstiger Miete zu finden, ist im Moment sehr, sehr schwierig", so Ledergerber. Für die deutschen Professoren, Mediziner, Rechtsanwälte und Werber sind die hohen Mieten kein Problem. In diesen Stadtgebieten konnte man deutliche Steigerungen der Mietzinse und Eigentumswechsel feststellen. "Das löste in den Quartieren Unsicherheiten aus." Auf die Frage, ob es antideutsche Stimmung gebe, sagt Ledergerber: "Im Zusammenhang mit dem Wohnungsmarkt muss man diese Frage sehr ernst nehmen."

Um die heikle Frage angemessen zu beantworten, verlassen wir das Stadthaus und begeben uns zur Seilbahnstation Rigiblick oben auf dem Zürichberg. Die ganze Stadt liegt uns zu Füßen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Stelle ausgerechnet Germania-Hügel heißt.

Der Name hat aber nichts mit dem massenhaften Auftreten Deutscher auf dem Nobelhügel zu tun. Hier liegt Georg Büchner begraben. Er wurde an diesem Ort von patriotischen deutschen Studenten, die sich "Germania" nannten, bestattet. Der 1837 verstorbene deutsche Schriftsteller floh vor den reaktionären Verhältnissen nach Zürich und wurde Professor an der Universität. "Als vor 175 Jahren die Universität Zürich gegründet wurde, gab es keinen einzigen Schweizer Professor. Alle waren Deutsche", erklärt Elmar Ledergerber. Ein im deutschsprachigen Raum "einzigerartiger Import von Wissen" sei das gewesen.

Von damaligen Verhältnissen ist Zürich heute weit entfernt. Deshalb ist für Ledergerber die Angst vor der Überdeutschung unbegründet. "Auch wenn bereits sechs Prozent der Stadtbewohner aus Deutschland stammen, ist beispielsweise der Anteil der muslimischen Bevölkerung mit acht Prozent wesentlich höher." Beides sei für Zürich kein Problem. Insgesamt ist der Ausländeranteil mit 30 Prozent doppelt so hoch wie in Berlin. Das Problem liegt woanders. Beklagten die rechten Parteien jahrzehntelang die Einwanderung von unqualifizierten Gastarbeitern aus Italien und jugoslawischen Kriegsflüchtlingen, sind sie nun mit einer neuen Art von Ausländern konfrontiert. Diese sprechen besser deutsch, sind oft besser gebildet und verdienen mehr.

"Während Jahrzehnten ermöglichte die Zuwanderung uns selbst sozial aufzusteigen und gleichzeitig den Migranten einen Platz am unteren Rand der Gesellschaft zuzuweisen, dieses tief eingeschliffene Muster hat Risse bekommen", heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Stadt Zürich. So verfügen denn auch 26 Prozent der in Zürich lebenden Deutschen über einen Hochschulabschluss, bloß 0,1 Prozent sind in der Reinigung tätig. Ende 2007 stammten bereits 31 Prozent der Professoren aus dem "großen Kanton", wie Deutschland sarkastisch genannt wird. Tendenz steigend. Der Präsident des Zürcher Studentenrats beklagte sich darauf hin über die "Germanisierung" der Universität. Eine ähnliche Entwicklung ist im Gesundheitswesen zu beobachten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten Spitäler hier zu Lande ohne deutsches Personal längst zumachen könnten.

Die Feindfigur: Ein gewisser "Uwe aus Deutschland"

Am 8. Februar stimmt das Schweizer Volk über die Weiterführung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit den bisherigen EU-Staaten sowie dessen Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien ab. Zwar warnt die rechte Schweizerische Volkspartei reflexartig vor "der Plünderung der Arbeitslosenkasse, der Mutterschaftsversicherung, Arbeitsplatzverlust und Ausländerkriminalität." Schuld daran soll die bevorstehende Masseneinwanderung von Rumänen und Bulgaren sein. Für die Deutschen gibt es aber Lob: "Von dieser Zuwanderung profitiert die Schweiz in hohem Maße, denn Einsatzbereitschaft und Arbeitswille der meisten Zuzügler aus Deutschland sind vorbildlich."

Umso komischer wirken die Versuche einzelner Medien, Deutsche als Schmarotzer hinzustellen. Kürzlich machte sich die rechtskonservative "Weltwoche" wieder einmal Sorgen um den Schweizer Sozialstaat. Im Visier standen aber nicht wie üblich balkanische Sozialhilfeschnorrer.

Süffisant wird die Geschichte von einem gewissen Uwe aus Deutschland erzählt. "Ihr habt ein feudales System hier", lässt sich der Ahnungslose zitieren. Deshalb bleibe er "jetzt sicher die nächsten zwei Jahre hier", um als Arbeitsloser zwei Jahre 70 bis 80 Prozent seines letzten Gehaltes zu beziehen. Die monatliche Leasingrate von 1300 Franken für seinen Traumwagen könne er sich nun problemlos leisten. "Mit Hilfe der Schweizer Arbeitslosenkasse", schließt die "Weltwoche" triumphal.

Seit dem vergangenen Dezember sind landesweit 4326 arbeitslose Deutsche in der Schweiz gemeldet. "Das sind 61 Prozent mehr als noch im August", so das Wochenblatt. Verschwiegen wird hingegen, dass die Arbeitslosenrate der Deutschen nicht höher ist als die gesamtschweizerische Quote. Nämlich drei Prozent. Damit gibt es abgesehen von den Einheimischen unter den Deutschen die wenigsten Stellenlosen. Für Elmar Ledergeber sind die Berichte über die angeblich RAV-gierigen Deutschen – RAV ist die Abkürzung für Arbeitsamt – "tiefster Boulevard". Die Raffgier sei vermutlich viel eher in der Bankenbranche anzutreffen.

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