Influencerinnen müssen Bali verlassen Abgeschoben aus dem Paradies

Das Ende vom Inselglück: Einige Reisende mussten zuletzt Bali verlassen, weil sie gegen Corona-Regelungen verstießen
Foto:Fabio Formaggio / EyeEm / Getty Images

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Drei Tage, bevor sie in ein Abschiebeflugzeug von Indonesien zurück nach Los Angeles gesetzt wird, twittert die US-Amerikanerin Kristen Gray noch voller Euphorie:
»Ich bin mit meiner Freundin vor einem Jahr nach Bali gezogen.«
»Unser Lebensstil ist gestiegen bei gleichzeitig viel niedrigeren Lebenshaltungskosten.«
»Ich habe 1300 US-Dollar für meine kleine Wohnung in L.A. bezahlt. Hier habe ich ein Holzhaus für 400 US-Dollar.«
»Eine digitale Nomadin zu sein, bedeutet mir alles.«
Gray berichtet bei Twitter von ihrem Leben auf der indonesischen Insel Bali, dem Luxus, den Yoga-Retreats; und dass der Umzug dorthin ein »Game Changer« gewesen sei. Ganz am Ende lädt Gray ihre Follower ein, trotz Pandemie ebenfalls nach Bali zu reisen. Und ihr Buch zu kaufen, »Our Bali is Your Bali«.
Dann, am 19. Januar, endet der Traum. Die indonesische Polizei nimmt Kristen Gray und ihre Partnerin fest. Am Donnerstag vergangener Woche muss das Paar mit einem Flugzeug Richtung Los Angeles das Land verlassen. »Die Abschiebung verlief reibungslos«, teilte der Leiter der balinesischen Einwanderungsbehörde hinterher mit. Abgeschoben aus dem Paradies.
Die Behörden werfen den Frauen vor, gegen die Einwanderungsbestimmungen verstoßen, ihre Visa überschritten und keine Steuern in Indonesien gezahlt zu haben. Und sie hätten Informationen verbreitet, »die die Öffentlichkeit verunsichern könnten«.
Paradies ja – aber für wen?
Bali, 4,4 Millionen Einwohner, überwiegend hinduistisch, ist Indonesiens Tourismusmotor. Sechs Millionen Reisende aus dem Ausland kamen im Jahr 2019. In der Pandemie darf aktuell niemand einreisen, um Urlaub zu machen. Zwar sind die Infektionszahlen niedrig auf der Insel, dafür im Rest des Landes sehr hoch. Die Hälfte der Menschen vor Ort hängt direkt vom Tourismus ab. Sie bangen ums wirtschaftliche Überleben, bauen nun Gemüse an, fangen Fische, um überhaupt etwas zu verdienen. Laut der Bali Tourism Agency hat die Insel allein zwischen März und Juli 2020 umgerechnet 2,7 Milliarden Euro an Einnahmen verloren.

»Ich bin nicht schuldig«: Die US-Amerikanerin Kristen Gray auf der Einwanderungsbehörde auf Bali
Foto:ANTARA FOTO / via REUTERS
Man könnte meinen, in so einer Zeit wären die Tweets von ausländischen Influencerinnen eine gute Werbung. Doch Kristen Grays Verhalten hat nicht nur die Behörden, sondern vor allem viele Balinesinnen und Balinesen aufgebracht. Vielleicht ist gerade jetzt, in der Coronakrise, da die Ungleichheit zwischen den Inselbewohnern und den prahlenden »digital nomads« so deutlich zutage tritt wie nie, die Geduld der lokalen Bevölkerung an ein Ende gelangt.
Einheimische werfen Gray vor, die Lebensrealität vor Ort komplett zu verkennen und bewusst auszublenden. Seit Jahren zieht Bali westliche Expats an, Surfer, Auswanderer. Diese stilisierten Bali zu einer Insel der Glückseligen. Das Paradies, das sie in den sozialen Medien zeigen, sagen jetzt viele, habe nichts mit der Realität der lokalen Bevölkerung zu tun. Die Freiheit, die Happiness, das Low-Budget-Leben derjenigen, die ihren Bali-Alltag bei Instagram posten, werde auf dem Rücken der Einheimischen ausgetragen.
Ein Paradies ja – aber für wen?
Damit das Leben für die einen leicht, sorglos und schön exotisch sei, müssten die anderen unter härtesten Bedingungen arbeiten. Preise und Mieten auf der Insel steigen, auch für die lokale Bevölkerung. Hotels werden gebaut, wo früher die Dörfer der Einheimischen standen.
»Warum glauben die Amerikaner, dass ihr Seelenfrieden es wert ist, eine ganze Insel zu gentrifizieren und die Menschen vor Ort in schlecht bezahlte Jobs zu drängen?«, schrieb einer auf Twitter.
»Dieser Ort ist nicht queer-friendly«
Wie wenig sich Kristen Gray tatsächlich mit den politischen und gesellschaftlichen Umständen vor Ort auseinandergesetzt hat, offenbart diese Passage in ihrem Twitter-Thread: Bali, schreibt Gray, sei ein Ort, der Schwarze und queere Menschen willkommen heiße. In den sozialen Medien diskutierten viele Indonesier über die Stelle.
Denn zur Realität gehört, dass die gleichgeschlechtliche Ehe im konservativen Indonesien verboten ist, die LGBTQI-Community immer wieder von schwerer Diskriminierung berichtet. Eine Twitter-Nutzerin antwortete Kristen Gray in einem Video, sie sagt:
»Du denkst, Bali ist queer-friendly? Das gilt vielleicht für dich. Denn erstens bist du eine Ausländerin, und zweitens ist Geld dein Druckmittel. Die indonesische Gesellschaft ist finanziell abhängig davon, dich bei Laune zu halten.«
Die Nutzerin erklärt, wie die LGBTQI-Community in Indonesien an den Rand gedrängt werde. Sie spricht über den Versuch der indonesischen Regierung, per Gesetz eine sogenannte Konversionstherapie zu verordnen, um LGBTQI zu »heilen«.
»Während du dich also auf deine Privilegien berufst, solltest du wissen, dass wir in Indonesien tagtäglich einer frappierenden Homophobie ausgesetzt sind. Dieser Ort ist nicht queer-friendly.«
Corona-Party mit 50 Gästen
Kristen Grays Anwalt erklärte laut »New York Times«, die Frauen seien »gutherzige Menschen«, die gern »armen Kindern helfen und ihnen Essen kaufen«. Die Abschiebung sei nicht gerechtfertigt.
Gray selbst hatte sich eine Erklärung für ihre Abschiebung zurechtgelegt, die eine seltsame Logik in sich trägt – wenn man bedenkt, dass sie Bali kurz vorher noch als »queer-freundliches« Reiseziel gelobt hatte. Sie sagte zu den Reportern vor dem Gefängnis, als sie vergangene Woche festgenommen wurde: »Ich bin nicht schuldig. Ich habe eine Erklärung über LGBT abgegeben und nun werde ich wegen LGBT abgeschoben.«
Grays Twitteraccount ist inzwischen nicht mehr öffentlich einsehbar, ihr E-Book aktuell nicht erhältlich.
Diese Woche hat Indonesien einen weiteren Influencer von Bali abgeschoben. Der Russe Sergej Kosenko, 4,9 Millionen Instagram-Follower, hatte eine Party mit 50 Gästen veranstaltet und gegen die Corona-Auflagen verstoßen.
Die Einheimischen hatten sich vor allem über einen Beitrag beschwert, in dem Kosenko, gemeinsam mit einer Frau, auf einem Moped über den Pier ins Meer rast. »Ich liebe Bali. Es tut mir leid und ich entschuldige mich«, sagte er hinterher.
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